Auf der Neuen Seidenstraße zur Weltmacht
24. März 2021Chinas Projekt "Neue Seidenstraße", im Fachjargon abgekürzt mit BRI für "Belt & Road Initiative", ist das ehrgeizigste und größte Infrastruktur-Programm, das je aufgelegt wurde. Bislang beteiligen sich über 100 Länder auf vier Kontinenten an dem Kreditprogramm, mit dem die Volksrepublik Straßen, Bahntrassen, Häfen und Kraftwerke finanziert.
Dabei verfolgt das Programm zwei Ziele: Zum einen sollen über die BRI der strukturschwache Westen Chinas mit den reichen Küsten-Provinzen verbunden werden. Von der Provinz Xinjiang im Westen des Landes, wo rund eine Million Menschen aufgrund ihrer Ethnie und Religion in Lagern einsitzen müssen, über Kasachstan führt eine neue Eisenbahntrasse Richtung Europa.
Die neue Kolonialmacht
Mit jedem Land verabredet die Volksrepublik die Modalitäten der zugeteilten Kredite separat, China macht keine Details seiner Verträge öffentlich. Die Wahl der Länder und Projekte scheinen folglich keiner ökonomischen Arithmetik zu entspringen, sondern werden aufgrund politischer Maßgaben vergeben. Xi Jinping hat das Projekt im Jahr 2013 aus der Taufe gehoben, im ersten Jahr seiner Regentschaft als Präsident. Und damit nicht nur ökonomische Ziele verknüpft, sondern seinem Willen Ausdruck verliehen, mit den Ländern, durch welche die neue Seidenstraße laufen wird, auch politisch, kulturell und im Bildungsbereich in einen vertieften Austausch zu treten.
Einige Länder können schon jetzt die Kredite, die ihnen China aus politischen Motiven gewährt hat, nicht mehr stemmen. In Sri Lanka fällt das Hafenprojekt Hambantota und das Areal um den Hafen herum für die kommenden 99 Jahre an China. Diese Art der Pachtverträge haben die europäischen Kolonialmächte ihrerzeit China aufgezwungen, Hongkong wurde so für 99 Jahre von Großbritannien "geleast". Jetzt möchte China die neue Kolonialmacht sein und geht entsprechend vor. Der Hafen auf Sri Lanka, der natürlich auch militärisch genutzt werden kann, befindet nahe Indien, der nominell größten Demokratie der Welt und zugleich Erzrivale Chinas.
Auch mit dem größten Feind Indiens, Pakistan, unterhält die Volksrepublik sehr gute Beziehungen. Als Dank für einen BRI-Korridor nach Pakistan unterstützt das Land politische Initiativen der Volksrepublik und nennt sich einen "Bruder" Chinas. Der chinesische Yuan ist mittlerweile in Pakistan als Zahlungsmittel neben dem Dollar eingeführt.
Neugestaltung der weltweiten Sicherheitsarchitektur
Damit dürfte China seinem Ziel, die Dominanz der USA und der gesamten demokratischen, freien Welt zu brechen, einen Schritt näher kommen. Sollte es China über das Vehikel der Belt & Road Initiative gelingen, die Sicherheitsarchitektur der Welt neu zu gestalten, hat das auch Folgen für Europa und für Deutschland. In Europa gehören Italien und Griechenland und neuerdings auch Ungarn und Serbien zum Einzugsgebiet Pekings. Dort schwingt man sich auf die Politik Chinas ein und verurteilt die Menschenrechtsverletzungen, die die Volksrepublik begeht, nicht mehr.
Wenn Xi Jinping von seiner Vision für China spricht, dann spricht er gerne vom "chinesischen Traum", der "Verjüngung der chinesischen Nation". Was damit gemeint ist, brachte "The People's Daily", eine staatsnahe Zeitung bereit 2013 in einem Beitrag auf den Punkt: "Der chinesische Traum ist die Kommunistische Partei". Alles wird der Vorherrschaft der Partei untergeordnet - die Politik, die Ökonomie, zuvorderst jedoch das Recht. In der freien Welt kommt als Quelle des Rechts Gott, die Natur oder der Verstand in Frage. In China ist es die Partei, die Partei und die Partei. Diese Weltanschauung wird über die neue Seidenstraße nun in die gesamte Welt exportiert.
Keine multipolare Welt
Samuel Huntington beschrieb die Welt des 21. Jahrhunderts in seinem Klassiker "Der Kampf der Kulturen" als eine, in der verschiedene Kraftzentren existieren, die miteinander im Wettstreit liegen und in diesem Wettstreit so etwas wie eine Balance zwischen den Mächten kreieren. Auch die chinesische Welt ist in seiner Vorstellung einer dieser mächtigen Kulturkreise. Diese Sichtweise, die von vielen Menschen in der politischen Arena geteilt wird, übersieht völlig, dass die Volksrepublik aufgrund ihrer Größe und ihrer ökonomischen Macht, nicht ein Kraftzentrum ist, sondern das Kraftzentrum schlechthin. Eine multipolare Welt wird es daher auf Dauer nicht geben.
Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hong Kong.