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PolitikChina

Görlach Global: China und Hongkong - ein Land, ein System

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
2. Juli 2024

Seit drei Jahren gilt in Hongkong ein "Sicherheitsgesetz", das de facto jeden Einsatz für Demokratie unter Strafe stellt. Von Chinas ehemaliger Garantie, den Sonderstatus der Stadt beizubehalten, ist nichts mehr übrig.

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Ein Mann sitzt vor der Skyline von Hongkong
Seit 1997 gehört die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong zu ChinaBild: ANTHONY WALLACE/AFP/Getty Images

Der 1. Juli ist ein spezieller Tag für Hongkong: am 1. Juli 1997 wurde die britische Kronkolonie an China zurückgegeben. Damals verbanden sich große Hoffnungen mit der für diese Rückübertragung verbundenen Formel "Ein Land, zwei Systeme”. Die halb-autonome Finanzmetropole würde an diesem Tag ein Teil der Volksrepublik werden, gleichzeitig aber ihre demokratischen Sonderrechte, die die Stadt vom Rest Chinas unterschied, beibehalten dürfen. Mehr noch: Ein Fahrplan wurde vertraglich abgestimmt und von Peking unterzeichnet, der die demokratische Selbstverwaltung Hongkongs sogar weiter ausgebaut hätte.

Hongkong: das gebrochene Versprechen "Ein Land, zwei Systeme"

Am 1. Juli 2020 erlosch die Hoffnung der Menschen in Hongkong auf eine Umsetzung dieser Versprechen vollends.

An diesem Tag führte Peking ein so genanntes "Sicherheitsgesetz" ein, das, verkürzt aber treffend gesagt, in Konsequenz demokratisches Denken und Handeln unter drakonische Strafen stellt. Bereits seit dem Jahr 2003 hatte die Kommunistische Führung an einem solchen "Gesetz” gearbeitet, das, ganz anders als versprochen, nicht die Eigenständigkeit von Hongkong stärken, sondern, im Gegenteil, die Stadt unter die Knute der Kommunistischen Partei zwingen und knechten sollte.

Hongkong | Verhaftung bei Gedenken zum 35. Jahrestag des Tiananmen-Massakers
Verhaftung eines Demokratieaktivisten in Hongkong während eines verbotenen Gedenkens zum 35. Jahrestag des Tiananmen-Massakers am 4. Juni 2024 Bild: Tyrone Siu/REUTERS

Damals kam es zu Massenprotesten, an denen sich alle Gewerke der Gesellschaft beteiligten. Dasselbe geschah im Jahr 2018, als Peking - wieder einmal - zum Angriff blies und ein solches "Sicherheitsgesetz” durchdrücken wollte. Doch die Statthalterin Pekings, Carrie Lam, schätzte die Chancen dafür falsch ein: Rund zwei der sieben Millionen Einwohner*innen Hongkongs gingen dagegen auf die Straße, bei der Regionalwahl im November desselben Jahres verloren die Peking ergebenen Kandidaten und Kandidatinnen 17 der 19 Distrikte der Stadt. 

Flucht aus Hongkong statt Protest

Carrie Lam war darauf hin bei nächster Gelegenheit ihren Job los. Die COVID-Pandemie allerdings, die im chinesischen Wuhan ihren Ausgang nahm, erlaubte es Chinas Diktator Xi Jinping, sein drastisches "Gesetz” endlich einzuführen. Im vergangenen Jahr, ebenfalls zum 1. Juli, wurde dieses sogar noch einmal verschärft.

Autorenbild | Alexander Görlach
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Mittlerweile traut sich daher niemand mehr, über Demokratie zu sprechen. Buchhändler nehmen Titel aus den Regalen, bestimmte Lieder werden nicht mehr im Radio gespielt, das Gedenken an die Massaker der Kommunisten auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni darf nicht mehr stattfinden.

Diejenigen, die konnten, haben Hongkong verlassen. Mittlerweile sollen rund 145.000 Menschen im Vereinigten Königreich Zuflucht gefunden haben. Viele von ihnen sind gut ausgebildet und können sich dank eines Übersee-Passports relativ problemlos für eine bestimmte Zeit auf den britischen Inseln aufhalten und sich dann für eine permanente Bleibe-Berechtigung bewerben. Die Regierung in Westminster schätzt, dass fast drei Millionen Einwohner Hongkongs einen solchen Pass haben. Nachdem die Fluchtwelle einsetzte, drohte Peking jedoch London damit, diese Ausweise einzuziehen, so dass die Menschen in China eingesperrt blieben.

China: Einschüchterung bis ins Ausland

Auch aus der Ferne will Chinas Xi Jinping den Menschen, die vor ihm und seiner Diktatur geflohen sind, keine Ruhe lassen. Der Machthaber ließ ein Kopfgeld in Höhe von rund 100.000 Pfund auf Demokratie-Aktivisten aussetzen. Das betrifft auch die Menschen im Vereinigten Königreich, die deshalb in permanenter Angst leben. Xi arbeitet bewusst mit diesem Angstkalkül, möchte er doch die Menschen in permanenter Furcht wissen. Darüber hinaus versucht die KP, chinesische Studierende im Ausland dazu zu zwingen, für Peking zu spionieren. Sie sollen Meldung machen, welche Chinesen sich auf dem Campus kritisch zu China äußern, wer Kontakte zu "Separatisten” aus Hongkong oder Taiwan unterhält.

Kopfgeld auf Hongkong-Aktivisten

In Hongkong selbst waren am Festtag, der an die Rückgabe der Stadt erinnern soll, Fahrgeschäfte für Kinder kostenfrei, die Straßenbahn gratis und ausgewählte Attraktionen konnten zu verbilligten Ticketpreisen besichtigt werden. Traditionell war der 1. Juli ein Tag, an dem Demokratie-Aktivisten zu Protesten gegen die Führung in Peking, die die Erfüllung ihres Versprechens "Ein Land, zwei Systeme" schuldig blieb, aufriefen. Doch diesen hat Chinas Machthaber Xi Jinping endgültig den Garaus gemacht.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.