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Görlach Global: Chinas Griff nach dem Globalen Süden

7. Mai 2024

Chinas Präsident Xi ist auf Europareise. Doch die EU spielt längst nicht mehr die erste Geige bei Chinas Handelsbeziehungen. Peking ist vor allem im globalen Süden auf Expansionstour.

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Chinas Xi Jinping und Emmanuel Macron
Xi Jinping zu Gast bei Emmanuel MacronBild: Jacques Witt/AFP

Während Europas Spitzenvertreter Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron in Paris versuchen, den chinesischen Präsidenten Xi Jinping von einer faireren Handelspraxis zu überzeugen, machen neue Zahlen die Runde, die den Schluss zulassen, dass die Volksrepublik an Europa als Handelspartner nicht mehr wirklich interessiert ist. Peking richtet sein Augenmerk mittlerweile mehr und mehr auf die Länder des sogenannten "globalen Südens”.

Eine Untersuchung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft kommt nach einer Auswertung von Handelsdaten von 25 Schwellenländern zu dem Schluss, dass der Anteil der Volksrepublik am wirtschaftlichen Austausch mit diesen Nationen von 2019 bis 2023 um 47 Prozent gestiegen ist. Unter den ausgewerteten Ländern sind Mexiko, Brasilien, Thailand und die Türkei. Ihnen kommt im Systemkampf zwischen Xis autoritärer Volksrepublik und der freien, demokratischen Welt eine besondere Bedeutung zu. 

Hafenarbeiter in Nantong löschen eine Ladung brasilianischer Sojabohnen für den chinesischen Markt.
Hafenarbeiter in Nantong löschen eine Ladung brasilianischer Sojabohnen für den chinesischen MarktBild: AFP via Getty Images

Chinas staatskapitalistisches System macht es möglich, dass die Kommunistische Partei ihre politischen Ziele mittels ökonomischer Steuerung erreichen kann. Nicht umsonst beklagen die USA und die EU unisono Pekings unfaire Subventionierung chinesischer Exportgüter. Auch die Bundesrepublik fürchtet, dass Pekings rabattierte Elektrofahrzeuge und Solarpanels der heimischen Industrie den Garaus machen könnten. Es ist Xis erklärtes Ziel, die Abhängigkeit Chinas von den westlichen Nationen massiv zu reduzieren und gleichzeitig Schwellenländer an die Volksrepublik zu binden. Chinas Machthaber hat auf dem Weg dahin keine Veranlassung, Frau von der Leyen und Herrn Macron entgegenzukommen und die europäische Wirtschaft zu stützen.

Peking diversifiziert seine Handelswege längst

"De-risking” und "De-coupling”, zwei Begriffe, um deren genauen Inhalte und Abgrenzung in Hauptstädten von Washington bis Berlin diskutiert und gerungen wird, ist beileibe keine Debatte, die die Volksrepublik zu erdulden und deren Ergebnis sie hinzunehmen hat, sollte man sich im alten Westen irgendwann einmal auf eine Strategie geeinigt haben. Vielmehr diversifiziert China schon seit Langem seine Handelswege und -partner selbst. 

Pekings Tun ist auch hier politische Akrobatik, denn die KP will Chinas Unabhängigkeit von den USA und Europa, sich zur gleichen Zeit aber auch des Aufstiegs in die Riege dieser Länder versichern. Deshalb hören Pekings Lippenbekenntnisse für die bestehende internationale Ordnung nicht auf, während simultan an einer neuen, alternativen Weltordnung gebaut wird: die Shanghai Cooperation Organization, die Erweiterung der BRICS-Staaten, die Etablierung des Yuan als globale Leitwährung und nicht zuletzt die 900 Milliarden Dollar schwere Neue Seidenstraße, durch die aller Güter Wege nach Peking führt, sind unübersehbare Marken für den Weg, den Peking gehen will.  

Alexander Görlach
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Ein weiterer Baustein in der Ideologie des chinesischen Machthabers ist, die Volksrepublik als Vertreterin und Stimme des globalen Südens zu etablieren. Xi spricht von einem "Jahrhundert der Demütigung”, das China durch die imperialen Mächte des Westens erfahren habe (- von den Gräueln der japanischen Besatzung und Kolonialzeit und ihrem Ende aufgrund des US-amerikanischen Eintritts in den pazifischen Krieg spricht er in diesem Zusammenhang eher wenig). So versucht er, sich mit den Ländern zu solidarisieren, die noch heute unter den Folgen des Kolonialismus leiden. Zwar nehmen viele der so Angesprochenen Präsident Xi seine Worte nicht ab; gleichwohl zeigen sie sich zufrieden mit der Tatsache, dass es nun eine (ökonomische) Alternative zum Mandat Amerikas und der Europäischen Union und damit einen gewissen Ausgleich potenziell überbordender Forderungen aus Washington oder Brüssel gibt. 

Sitzt Peking am längeren Hebel?

Die Zahlen erlauben diesen Schluss: Während Chinas Handel mit den 25 Schwellenländern von zwölf auf 20 Prozent gestiegen ist, stagnierte der Anteil mit den USA bei 18 Prozent, der der Europäer schrumpfte gar von 17 auf 14 Prozent. Peking versteht, dass es am längeren Hebel sitzt. China kann die europäischen Industrien ausbluten lassen, sollte es seinen Marktzugang weiter erschweren und durch Subventionen europäische Produkte im Rest der Welt zu teuer machen. In Chile und Bolivien werden chinesische Verbrenner-Autos gefahren und die US-amerikanische Coca-Cola in chinesischen Kühlschränken gelagert. Bei der Kaufentscheidung einer neuen, aufstrebenden Mittelklasse interessiert kein Systemkonflikt, sondern nur der Preis. Interessant sind für Xi Jinping im Moment nur noch jene europäischen Länder, die sich in der einen oder anderen Weise für seine politische Agenda einspannen lassen. Nach diesem Kriterium hat er die Ziele seiner Reise festlegen lassen.