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PolitikChina

Görlach Global: Der Globale Süden will endlich mitreden

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
22. Mai 2023

Der G7-Gipfel in Japan hat gezeigt: Der sogenannte Globale Süden will nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch mehr Macht - und einen Dialog auf Augenhöhe, meint Alexander Görlach.

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G7-Treffen in Japan
G7-Treffen in Japan: Hat das westliche geprägte Ordnungsmodell ausgedient? Bild: Susan Walsh/REUTERS

Die Einladung an Brasilien, Indien und Indonesien zum G7-Gipfel in Japan verdeutlichte eindrucksvoll den Wandel, vor dem die internationale Ordnung, wie wir sie kennen, steht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kam nicht nach Hiroshima, um die bereits verbündeten Vertreter der reichsten Demokratien der Welt davon zu überzeugen, seine Sache zu unterstützen. Sondern um die Führer der Länder für sich zu gewinnen, die in ihrer Gesamtheit oft als "Globaler Süden" bezeichnet werden.

Indien und Brasilien haben eine andere Haltung gegenüber der russischen Invasion in der Ukraine eingenommen als die G7 und die Verteidigungsbemühungen Kiews und seiner Verbündeten nicht unterstützt.

Auch wenn man mit Fug und Recht sagen kann, dass weder Brasilien noch Indien den Krieg begrüßen, da er auch negative Folgen für sie hatte, haben sie dennoch bis heute die Aggression von Kreml-Diktator Putin nicht verurteilt und auch die Sanktionen, die von den USA initiiert wurden, nicht mitgetragen. Brasilien und Indien haben Neutralität für sich beansprucht, ebenso wie andere Mächte wie die Türkei und die Volksrepublik China. Aber in Wirklichkeit hat sich jedes Land auf die eine oder andere Weise positioniert, um entweder vom Krieg zu profitieren oder zumindest keinen Schaden durch ihn zu erleiden.

Globaler Süden hält sich bei Streit zurück 

Während die Türkei Beziehungen sowohl weiter zu Kiew als auch zu Moskau unterhält, hat Peking die Sicht des Kremls zum Krieg unverhohlen unterstützt, indem es sogar die Sprache Moskaus übernahm und die von der russischen Armee begangenen Gräueltaten als "militärische Spezialoperation" bezeichnete. Indien hingegen importiert zu einem ermäßigten Preis Öl aus Russland und profitiert so vom Terror des Krieges. Je weiter ein Land von der Ukraine entfernt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es seine eigenen Interessen verfolgt und nicht in einen Konflikt der "Großmächte" USA und Russland verwickelt werden will.

DW-Kolumnist Alexander Görlach
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Der globale Süden lehnt es auch, Position in der Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China zu beziehen. Wenn sie es täten, würden sie ihren eigenen Interessen, also ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, schaden. Es steht zu viel auf dem Spiel: Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts erwirtschafteten die G7 fast 75 Prozent des weltweiten BIP. Heute ist diese Zahl auf 41 Prozent gesunken. Auch die demografische Entwicklung der G7-Länder ist nicht ermutigend. Mittlerweile ist Indien das bevölkerungsreichste Land der Erde und die sechststärkste Volkswirtschaft der Welt. Brasilien liegt an zwölfter, Indonesien an fünfzehnter Stelle.

Nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Macht 

Diese wirtschaftliche Macht soll jetzt endlich auch in politischen Einfluss auf der Weltbühne umgesetzt werden. Die Länder werden sich nicht mehr einfach den etablierten Mächten anschließen, wie sie es vielleicht in der Vergangenheit getan haben. Ihre Vertreter weisen auch darauf hin, dass die liberale, auf Regeln basierende Ordnung für sie nicht funktioniert, wenn ihre Nationen nicht in den Gremien vertreten sind, die sie lenken. Ihre Forderungen nach einer Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, der Führung von Weltbank und IWF wird lauter, nicht leiser werden.

Auch weisen die Länder des globalen Südens zurecht darauf hin, dass der den politischen Unternehmungen der etablierten Mächte oft zugrunde liegende moralische Grundton angesichts des faktischen Vorgehens der USA auf sie wie eine Farce wirkt. Die Invasion des Irak und die von Washington zugelassene Waffenlieferung an viele Diktaturen in der Welt sind für sie Beweis genug für Doppelmoral und Heuchelei. Auch die Ära des europäischen Kolonialismus ist in Afrika und Südasien alles andere als vergessen. 

Weg mit dem moralischen Zeigefinger

Die Distanzierung von westlichem Führungsanspruch, der auf moralischen Gründen fußen soll, bedeutet nicht automatisch eine Umarmung des autoritären Models Pekings. Doch zeigen Umfragen deutlich, dass China in Brasilien und Indien weniger negativ gesehen wird als in Australien und Deutschland. Zieht man die Ergebnisse einer Umfrage des PEW-Instituts in Washington heran, ist die Welt in der Mitte geteilt, wenn es um positive oder negative Ansichten zur Volksrepublik geht.

In diesem Umfeld, der Konfrontation zwischen USA und China, haben aufstrebende Mächte zwei Möglichkeiten: Entweder sie werden in einer Weise in die etablierte Ordnung einbezogen, die sie als eine faire Repräsentation gelten lassen, oder sie entscheiden sich für eine neue Ordnung. Aus diesem Grund wird der Versuch Pekings, den Wirkungsbereich der BRICS-Staaten (in denen Indien und Brasilien eine wichtige Rolle spielen) zu erweitern, neue Gremien wie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit zu gründen und neue Foren wie den Zentralasien-Gipfel zu etablieren, in Brasilia und Neu Delhi mit Interesse verfolgt.

Das Vorbringen von Argumenten, das Gewinnen durch Sprechen auf Augenhöhe ohne moralischen Zeigefinger könnte die einzige Chance für eine Zukunft der etablierten Weltordnung sein. Der G7-Gipfel hat einen Ausblick gegeben, wie eine solche erneuerte liberale internationale Ordnung der Zukunft aussehen könnte. Bis zu ihrer Verwirklichung ist es noch ein weiter Weg. 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.