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PolitikEuropa

Die Besten gehen, wenn Repression zunimmt

Alexander Görlach
18. August 2022

Auf den ersten Blick mögen Hongkong und Russland nicht viel gemeinsam haben. Doch die Folgen des Herrschaftssystems sind genau die gleichen, meint Alexander Görlach.

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Ein Reisepass aus Hongkong und einer aus Großbritannien nebeneinander
Hongkong-Chinesen müssen die Möglichkeit haben, unkompliziert von anderen Ländern aufgenommen zu werden, meint Alexander GörlachBild: Kin Cheung/AP/picture alliance

Die Diktatoren-Freunde Wladimir Putin und Xi Jinpingteilen eine weitere Gemeinsamkeit: Ihre Untertanen verlassen ihren Herrschaftsbereich, wo immer das möglich ist, so schnell sie können. Jüngste Zahlen belegen einen Brain Drain sowohl in Russland als auch in Hongkong. Dieser Trend zeigt, dass es Menschen trotz aller gleichgeschalteten Medien schaffen, sich einen realistischen Überblick über die Lage ihres Landes zu verschaffen. Wer seine Heimat verlässt, hat vorher genau abgewogen, ob er oder sie unter ökonomischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten anderswo eine bessere Zukunft als zuhause hat.

Das Magazin "The Economist" schätzt, dass seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Putins auf die Ukraine 150.000 bis 300.000 Menschen Russland verlassen haben. Davon haben sich 50.000 Menschen allein in Georgien niedergelassen. Wer sind die Menschen, die Putins Russland für den Moment oder für immer den Rücken kehren? Der Economist schreibt dazu: "Es sind vor allem junge, gut ausgebildete, politisch denkende, aktive, meinungsstarke und einfallsreiche Menschen, mit anderen Worten, Russlands intellektuelle Elite. Die Exilanten haben mit sich ihre Gewohnheiten, ihre Netzwerke und die Fähigkeit, sich zu organisieren mitgebracht, und ihre Werte. Das wird einen tiefgreifenden Einfluss sowohl auf das Land, das sie verlassen, als auch auf jenes, in dem sie sich niederlassen, haben."

Die gut Ausgebildeten stimmen mit den Füßen ab

7000 Kilometer weiter in Hongkong findet man das gleiche Bild. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" fasst die Situation dort so zusammen: "Die Bevölkerung in der einstigen britischen Kronkolonie schrumpft deutlich. Wie Medien übereinstimmend unter Berufung auf Daten der Regierung berichteten, sank die Einwohnerzahl zwischen Mitte 2021 und Mitte 2022 um 121.500 Menschen. Nun leben demnach noch 7,291 Millionen Menschen in der Großstadt, ein Rückgang von 1,6 Prozent. Laut CNN ist es der größte Bevölkerungsschwund seit Beginn der Statistik im Jahr 1961." Auch hier stimmen vor allem die gut Ausgebildeten mit den Füßen über ihre Zukunft ab. 

Autorenbild | Alexander Görlach
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Die Stadtregierung des Hardliners John Lee, der am 1. Juli von Machthaber Xi Jinping ins Amt berufen wurde, behauptet, dass die Geburten- die Sterberate nicht ausgleiche. Der Nachrichtensender CNN macht sowohl die Maßnahmen Pekings gegen die Corona-Pandemie als Ursache für den Wegzug aus, als auch die politische Situation. John Lee ist der Architekt des sogenannten Sicherheitsgesetzes, das demokratisches Denken und Tun unter drakonische Strafen stellt.

Zwischen Juli 2021 und März 2022 beantragten etwas über 100.000 Hongkonger einen Aufenthaltstitel in Großbritannien. Das Vereinigte Königreich bot den Einwohnern seiner ehemaligen Kronkolonie an, vor Xis Schergen nach England zu fliehen. Auch das benachbarte, demokratische Taiwan bot Flüchtenden eine neue Heimat an, allerdings nicht vergleichbar mit dem Exodus nach England.

Die freie Welt muss Fluchtpunkte schaffen

In dieser Situation ist es wichtig, dass Länder in der freien Welt Visa-Möglichkeiten schaffen, um Menschen aufzunehmen, die ihre ehemalige Heimat als Dissidenten verlassen müssen. Es würde der gemeinsamen, demokratischen Sache schaden, würden die Fliehenden keinen Ort in der freien Welt finden. Diejenigen in den demokratischen Staaten, die als Putin- oder Xi-Liebhaber von den blühenden Landschaften einer Diktatur träumen, sollten sich mit jenen unterhalten, die alles daran setzen, aus Russland oder Hongkong zu entkommen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.