Macron kämpft für Europa und sich selbst
Für Emanuel Macron bringt das neue Jahr eine dreifache Herausforderung: während er weiter das Tagesgeschäft als Präsident der Republik führen muss, wirbt er landauf, landab um seine Wiederwahl und führt gleichzeitig Frankreichs EU-Ratspräsidentschaft an.
Bereits vor der Corona-Pandemie bewegte sich Herr Macron auf dünnem Eis: die Gelbwesten-Proteste, die ihn und ganz Frankreich seit 2018 in Atem halten, richteten sich gegen eine geplante Steuererhöhung auf Benzin, mit der die Energiewende des Landes hätte finanziert werden sollen.
Triumph für Paris
Nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland wissen die Strategen in den Parteien, dass das Thema Benzinpreis eine Wahl entscheiden kann. Um hier nicht in die Bredouille zu kommen, hat Wahlkämpfer Macron in Brüssel einen entscheidenden Sieg errungen.
Die von Frankreich nach wie vor geschätzte Atomkraft soll künftig unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich gelten. Das wird Paris einige Erleichterung im Hinblick auf die Kosten bringen, die bei der Energiewende anfallen, was wiederum Herrn Macron Spielraum in seinem Wahlkampf lässt.
Diesen muss er gegen zwei rechte Kandidierende führen, an deren Wahlsieg in Brüssel keiner Gefallen finden würde: Die bereits bekannte Madame Le Pen und Eric Zemmour. Von Le Pen nahm man bisher an, dass rechts neben ihr nur noch die Wand stehe. Sie teilt sich nun den radikalen Rand mit Zemmour, einem Publizisten und Buchautor, an dessen These von einem "Bevölkerungsaustausch" - weiße Christen gegen muslimische Araber - die Buchkaufenden in Frankreich sich berauschten.
Christliches Erbe
Es besteht die Gefahr, dass es eine von diesen beiden Personen in einer Stichwahl in den Elysee-Palast schafft, sollte sich das rechtsradikale Lager auf eine der beiden als aussichtsreichste kandidierende Person einigen.
Zwar hat sich Herr Macron nach dem Brand, der im April 2019 den Dachstuhl und die Gloriole der weltberühmten Kathedrale Notre Dame verheerte, als katholischer Präsident inszeniert, der die Kultur und das christliche Erbe Frankreichs schützen will.
Allerdings kann und will er, Gottlob, mit dem menschenfeindlichen Ansatz von Zemmour und Le Pen nicht mithalten. Er muss die vernünftige Mitte für sich gewinnen und auch im linken Lager Menschen von sich überzeugen, um die Wahl zu gewinnen.
Berliner Blockade
Zumindest auf europäischer Ebene steht Frankreich, nicht zuletzt wegen des Atomdeals in Brüssel, im Moment stark da. Das hat auch damit zu tun, dass Angela Merkel, die Herrn Macrons Ideen für Europa immerzu ausgebremst hat, nun nicht mehr im Amt ist.
Zwar haben die beiden nach außen immer wieder bekräftigt, wie gut sie sich verstünden. Das konnte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es jenseits von Symbolischem keine echte gemeinsame deutsch-französische Reform-Agenda für die Europäische Union gab.
Ratspräsidentschaft zur richtigen Zeit
Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz wird kaum zum neuen Taktgeber in Europa werden. Seine erste Rede kam den Bericht erstattenden Journalisten so blass und hölzern vor, dass sie auf den Begriff des "Scholzomaten", also eine Stanzen speiende Maschine, zurückgriffen.
Zwar treiben die Grünen und die Liberalen den neuen SPD-Kanzler an, um nicht zu sagen, vor sich her. Doch Herr Scholz, der vorsichtige, wird sich nicht aus der Deckung wagen, um das schlafende Europa mit einer Vision wach zu küssen.
Dass sich Herr Scholz, angesichts zweiter Koalitionspartner, die Europa weiter entwickeln und nach vorn bringen möchten, den von Paris initiierten Reformideen dauerhaft in den Weg stellen oder sie gar sabotieren würde, darf bezweifelt werden.
Herr Macron hat also in diesem seinem Wahlkampfjahr die beste Chance, nicht nur als Präsident aller Franzosen zu agieren, sondern sich darüber hinaus auch als Europäischer Präsident zu gerieren. Man kann sich, im Hinblick auf die Zukunft Europas und die Frankreichs gleichermaßen nur wünschen, dass es gelingen wird, einen Sieg der radikalen Rechten zu verhindern.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009 bis 2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin "The European" heraus.