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Hürriyet-Chefredakteur Ergin erhält DW-Preis

Martin Muno13. Juni 2016

Es gibt Preise, die will jeder haben. Und solche, die ein mulmiges Gefühl bereiten. So geht es Sedat Ergin mit dem "Deutsche Welle Freedom of Speech Award", der ihm zum Auftakt des Global Media Forum verliehen wurde.

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Bonn Global Media Forum GMF 02 | Award Ceremony Limbourg, Ergin und Diekmann
Bild: DW/M. Müller

"Ich gebe offen zu, ich habe gemischte Gefühle bei diesem Preis", bekennt Sedat Ergin, nachdem er auf dem Global Media Forum den "Deutsche Welle Freedom of Speech Award" entgegengenommen hat. Und der Chefredakteur der türkischen Zeitung "Hürriyet" hat eine gute Erklärung dafür: "Eigentlich sollte eine Preisverleihung ein Gefühl von Zufriedenheit vermitteln. Aber einen Preis für die Meinungsfreiheit entgegenzunehmen, ist kein glücklicher Anlass. Denn indem man eine Person auszeichnet, hebt man zugleich den prekären Zustand der Pressefreiheit hervor."

Ergin steht derzeit in der Türkei wegen Beleidigung von Präsident Recep Tayyep Erdogan vor Gericht. "Hürriyet" ist die auflagenstärkste unabhängige Tageszeitung in der Türkei. Ihre Redaktionsräume wurden im vergangenen Jahr zweimal von mit Steinen und Knüppeln bewaffneten Anhängern der konservativen Regierungspartei AKP gestürmt.

"Pressefreiheit ist weltweit bedroht"

Nicht nur in seinem Heimatland sei die Presse- und Meinungsfreiheit bedroht. Das sei eine weltweiter Trend, sagte Ergin. Eine neue Tendenz sei aber, "dass nicht nur Diktaturen und autoritäre Regime betroffen sind, sondern mehr und mehr auch Regierungen, die sich selbst als demokratisch verstehen - wie etwa Polen und Ungarn."

Noch zu Beginn des Jahrtausends habe das Ziel, Mitglied der Europäischen Union zu werden, in zahlreichen osteuropäischen Ländern - und auch in der Türkei - zu einer Verstärkung demokratischer Strukturen geführt. Leider sei dieser Reformeifer längst erlahmt .

Doch die zögerliche Haltung der EU in der Frage eines EU-Beitritts hatte nach Ergins Ansicht negative Folgen für die Entwicklung innerhalb der Türkei. Auch die Armenien-Resolution des Bundestags habe in der Türkei "immense Enttäuschung" ausgelöst. Viele Türken - darunter auch Ergin selbst - empfänden diese Resolution als unfair, inakzeptabel und belastend für das deutsch-türkische Verhältnis.

Ist die Kritik laut genug?"

Der Herausgeber des Boulevard-Blattes "Bild", Kai Diekmann, der die Laudatio auf Ergin hielt, sagte, es habe keinen besseren Preisträger geben können, als "diesen mutigen Mann". Denn "es ist gefährlich, ein Chefredakteur in der Türkei zu sein. Das war es immer."

Er erinnerte daran, dass Ergin das Schicksal weiterer Journalisten teile, denen in der Türkei der Prozess gemacht wurde. So waren der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, zu sechs Jahren und sein Kollege Erdem Gül zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.

Diekmann beklagte das mangelnde Engagement Europas, um diese "Fackeln der Pressefreiheit" zu unterstützen. Zwar könne man nicht behaupten, dass Deutschland und die Europäische Union diese Bedrohungen nicht kritisierten. "Ja, es gibt Kritik: Aber ist sie angesichts dieser unglaublichen Ungerechtigkeit laut genug?" Und man müsse auch die hässliche Frage stellen, ob sich die EU mit dem Abschluss des Flüchtlings-Abkommens mit der Türkei nicht erpressbar gemacht habe.

2000 Teilnehmer aus 100 Ländern

DW-Intendant Peter Limbourg wies in seiner Begrüßungsrede vor den rund 2000 Teilnehmern aus mehr als 100 Ländern darauf hin, dass es in Zeiten des Internets zwar einfacher geworden sei, Nachrichten zu verbreiten, aber auch einfacher, sie zu manipulieren. Dabei setze er eine große Hoffnung in die Sozialen Netzwerke: "Die effektivste Weise an einer globalen Debatte teilzunehmen, ist, dass möglichst viele unserer Nutzer mit einem profunden Wissen ihre Sichtweise in ihren bevorzugten Sozialen Medien äußern."

Peter Limbourg zu DW-Medienpreisvergabe

"Nur wenn die Menschen frei kommunizieren können, wird es einen Wechsel geben. Die Möglichkeit, seine Ideen und Werte zu teilen und dadurch diejenigen zu inspirieren, die noch unter der Kontrolle von Diktaturen leben müssen." Sein Wunsch sei es, dass die Redefreiheit als universelles Recht realisiert werde.

Polen und Ungarn am Pranger

Auch Limbourg wies darauf hin, dass selbst innerhalb der EU die Pressefreiheit nicht garantiert sei, dass die Regierungen in Polen und Ungarn gegen kritische Journalisten vorgingen, vor allem im öffentlichen Rundfunk. Die Pressefreiheit sei aber noch von anderen Akteuren bedroht: Limbourg nannte in diesem Zusammenhang vor allem Rechtspopulisten, die etwa in Deutschland Journalisten als Teil der "Lügenpresse" brandmarken. "Sie tolerieren keine Vielfalt, denn für sie besteht Wahrheit nur in der Bestätigung ihrer eigenen Meinung."

Die Folgen seien in beiderlei Fällen dramatisch: "Das Ende der Meinungsfreiheit bedeutet den Anfang vom Ende der Demokratie."

"Wir brauchen Debatten über Werte"

Tasten statt Worte: Aeham Ahmad im Interview

Wie nötig die Meinungs- und Pressefreiheit als Garant eines öffentlichen Diskurses ist, machte Bundespräsident Joachim Gauck deutlich, der sich in einer Videobotschaft an die Teilnehmer des Global Media Forums wandte. "Gerade in Zeiten beständig wachsender Informationsmengen im Netz brauchen wir im weltweiten Zusammenleben Debatten um Werte und Orientierung, die unser politisches Denken, Reden und Handeln bestimmen."

Nie habe es so viele Möglichkeiten zur Information gegeben wie heute. "Wir sehen aber auch, dass damit zugleich die Möglichkeiten zur Manipulation und zur Desinformation wachsen – und diese von vielen auch skrupellos ausgenutzt werden." Umso mehr komme es darauf an, dass man bewährten Medien, die zu Markenzeichen verlässlichen Journalismus' geworden seien, auch weiterhin vertrauen könne. Und dass diese weiterhin unbestechlich, tatsachenorientiert und seriös berichteten.