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PolitikNahost

"Habt Erbarmen mit dem Libanon!"

Jennifer Holleis | Razan Salman
12. Januar 2022

Die Hisbollah setzt dieser Tage auf aggressive Rhetorik gegenüber Saudi-Arabien - und bringt damit im Libanon sogar Verbündete gegen sich auf. Die Miliz steht unter Druck, doch ist sie dadurch auch politisch geschwächt?

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Libanon Beirut | Hezbollah Kämpfer | Qassem Soleimani
Hisbollah-Kämpfer vor einer Büste des getöteten iranischen Kommandanten Ghassem SoleimaniBild: Hussein Malla/AP Photo/picture alliance

Die schlechten Nachrichten reißen für den krisengeschüttelten Libanon auch im neuen Jahr nicht ab. So erreichte der Wechselkurs der Landeswährung zu Jahresbeginn einen weiteren Tiefststand: Für einen US-Dollar waren auf dem Schwarzmarkt 30.00 libanesische Pfund zu zahlen. Offiziell ist das Pfund zwar an den Dollar gekoppelt. Tatsächlich aber ist der feste Wechselkurs längst bedeutungslos geworden.

Auch politische Auseinandersetzungen setzen dem Land zu. So belasten dieser Tage Wortgefechte zwischen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und dem saudischen König Salman die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern.

Nasrallah bezeichnete kürzlich König Salman in einer Fernsehansprache anlässlich des zweiten Jahrestages der Ermordung des iranischen Kommandeurs Ghassem Soleimani  als "Terroristen". Zuvor hatte auch Salman seinerseits scharfe Töne angeschlagen und die Libanesen öffentlich dazu aufgerufen, "die Kontrolle der terroristischen Hisbollah über den Libanon zu beenden".

"Lasst von dieser hasserfüllten Rhetorik"

Nach der Rede Nasrallahs gab der libanesische Ministerpräsident Nadschib Mikati umgehend eine Erklärung ab. Darin versuchte er nicht nur den diplomatischen Schaden zu begrenzen, sondern gab auch seiner wachsenden Ungeduld gegenüber der vom Iran unterstützten Miliz und ihrem politischem Führer Ausdruck.

Nadschib Miqati, Ministerpräsident Libanon | Porträt
Um Schadensbegrenzung bemüht: der libanesische Premier Nadschib MikatiBild: Gonzalo Fuentes/REUTERS

"Die Äußerungen Nasrallahs repräsentieren weder die libanesische Regierung noch die Mehrheit der Libanesen", erklärte Mikati. Und weiter: "Während wir fordern, dass die Hisbollah Teil der vielfältigen Identität des Libanon ist, widersetzt sich deren Führung dem, indem sie Positionen einnimmt, die erstens den Libanesen und zweitens den Beziehungen des Libanon zu seinem Bruderland schaden." Damit war Saudi-Arabien gemeint. Mikatis Einlassung gipfelte in einem Appell: "Um Gottes Willen, habt Erbarmen mit dem Libanon und den Libanesen und lasst ab von dieser hasserfüllten, sektiererischen und politischen Rhetorik!"

Nicht nur Regierungschef Mikati erhöht dieser Tage den Druck auf die Hisbollah. Auch Präsident Michel Aoun drückt sein Unbehagen bemerkenswert offen aus. So warf er der Hisbollah kürzlich vor, sie schade den Beziehungen zu den Golfstaaten, indem sie sich in Angelegenheiten einmische, die den Libanon nichts angingen.

Damit spielte er auf den Umstand an, dass Saudi-Arabien und die Hisbollah im Jemen-Krieg auf entgegengesetzten Seiten stehen - das sorgt für ständigen Ärger zwischen beiden Seiten. Saudi-Arabien wirft der Hisbollah vor, im Jemen militärisch die Huthi-Rebellen zu unterstützen, was die Hisbollah dementiert. Aouns Warnung ist umso bedeutsamer, als dass seine maronitisch-christliche Partei, die Freie Patriotische Bewegung (FPM), Teil der "Allianz des 8. März" mit der Hisbollah ist.

Schwächelt die Hisbollah?

Auch so mancher libanesische Bürger empfindet Unbehagen angesichts der Rhetorik der Hisbollah gegenüber den Golfstaaten. "Die Hisbollah macht unseren am Golf lebenden Kindern das Leben schwer", sagte Amal Mounla, aus Beirut, der DW. "Warum kritisieren sie ständig die Golfstaaten, wenn gleichzeitig hunderttausende Libanesen in diesen Ländern Geld verdienen und uns damit helfen?" Es sei klar, so Mounla, dass die Hisbollah im Libanon an Boden verliere.

Warten auf rationierten Treibstoff an einer Tankstelle in Beirut (14.08.2021)
Gesellschaft unter Druck: Warten auf rationierten Treibstoff an einer Tankstelle in Beirut (im August)Bild: Marwan Naamani/dpa/picture alliance

Doch tut sie das wirklich? Das sehen keineswegs alle Libanesen so, obwohl der Druck seitens ihrer politischen Partner unzweifelhaft gestiegen ist. "Meinem Eindruck nach hat sich die Zahl der Hisbollah-Anhänger nicht verändert", sagt beispielsweise Ramez Jebaii, ein Mann mittleren Alters, der ebenfalls in Beirut lebt. 

Speerspitze Irans

Angesichts des wirtschaftlichen und finanziellen freien Falls im Libanon stünden alle politischen Allianzen unter Druck, meint auch Mohanad Hage Ali, Forscher am Carnegie Middle East Center, im DW-Gespräch. "Alle Akteure verlieren an Boden. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Hisbollah mehr an Boden verliert als andere."

Für das Verständnis lohnt ein Blick in die Strukturen und die Entstehungsgeschichte der Hisbollah: Die vom Iran unterstützte Miliz - in den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und anderen Ländern wird sie als terroristische Vereinigung eingestuft - gilt als militärische Speerspitze Irans im Libanon und in der Region. Sie ist aber zugleich tief in der libanesischen Gesellschaft verwurzelt.

Die 1982 von den iranischen Revolutionsgarden gegründete Miliz verfügt nicht nur über die stärkste Militärmacht im Libanon, betreibt eigene Schulen, Krankenhäuser und Wohltätigkeitsvereine. Sie bildet mit der verbündeten Amal-Bewegung auch die dominierende schiitische Fraktion und Interessenvertretung im Beiruter Parlament.

Fragile Allianzen

Zwar ist die Hisbollah sowohl militärisch wie politisch ein enormer Machtfaktor im Libanon. Dennoch wird sie sich absehbar mit zwei Themen auseinandersetzen müssen, die für sie nicht ohne Auswirkungen bleiben könnten.

Zum einen stehen am 15. Mai im Libanon Parlamentswahlen an, und die Hisbollah muss sich noch positionieren, wen sie als Präsidenten unterstützen wird. Mohanad Hage Ali geht davon aus, dass das Bündnis der Hisbollah mit der FPM das laufende Jahr ohne eine Einigung über den nächsten Präsidenten nicht überleben wird.

Libanon Beirut | Anhänger Hisbollah- und Amal-Gruppen protestieren gegen Richter Tarek Bitar (14.10.2021)
Anhänger der Hisbollah und der mit ihr verbündeten Amal-Miliz protestieren in Beirut gegen Richter Bitar (im Oktober)Bild: Jamal Eddine/newscom/picture alliance

Zugleich könnte auch die Untersuchung der verheerenden Hafenexplosion im August 2020 der Miliz noch massive Probleme bereiten. "Die Hisbollah hat mehrere Regierungstreffen blockiert. Damit versucht sie, die Arbeit von Richter Tarek Bitar zu behindern, der die Untersuchung der Explosion im Beiruter Hafen leitet", so Hage Ali. Kein Wunder, denn die Hisbollah steht selbst im Visier von Bitar. Der Richter ermittelt unter anderem gegen Ali Hassan Khalil, einen ehemaligen Finanzminister und Verbündeten der Hisbollah.

Hisbollah lässt Sitzungen platzen

Um ihren Interessen Nachdruck zu verleihen, haben die Hisbollah und ihre Verbündeten sämtliche Kabinettsitzungen seit dem 12. Oktober platzen lassen. Damit stellen sie das Land vor zusätzliche Probleme. Denn ohne diese Sitzungen lassen sich keine Entscheidungen zur Bewältigung der vielfältigen Krisen treffen.

Zudem hat der Internationale Währungsfonds die Zuweisung von Stützungsgeldern an die angeschlagene libanesische Wirtschaft an Bedingungen geknüpft. Eine davon ist ein Haushaltsplan für 2022. Dieser muss vom Parlament beschlossen und vom Kabinett genehmigt werden.

Das Szenario eines Scheiterns der Verhandlungen mit dem IWF nutzt Premier Mikati nun, um Druck auf die Hisbollah zu machen. Die Haushaltsfragen machten eine Kabinettssitzung mehr als notwendig", so Mikati. "Ich nehme nicht an, dass sich jemand seinen nationalen Pflichten verweigern wird", sagte der Premier in Anspielung auf den Blockade-Kurs der Schiiten-Miliz.

Riad schaltet einen Gang herunter

Derweil scheint sich im Streit zwischen Hisbollah und Saudi-Arabien vorsichtig Entspannung anzudeuten, zumindest scheint Saudi-Arabien seinerseits den Konflikt einstweilen nicht weiter verbal anheizen zu wollen: "Die Beziehungen des Königreichs zum Libanon sind zu tief, als dass sie durch unverantwortliche und absurde Äußerungen beeinträchtigt werden könnten", twitterte der saudische Botschafter im Libanon, Waleed Bukhari, in der vergangenen Woche.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Jennifer Holleis
Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
Razan Salman Studio Beirut