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Halle gedenkt des Anschlags auf die Synagoge

9. Oktober 2020

Es ist der erste Jahrestag des wahr gewordenen Alptraums - so wie es Bundespräsident Steinmeier formuliert hat. Trost kann das Gedenken kaum bieten, wohl aber Mahnungen zu Mitmenschlichkeit und zugleich auch Wachsamkeit.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender an der Synagoge von Halle
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender an der Synagoge von Halle Bild: Fabrizio Bensch/Reuters

Ein Jahr nach dem rechtsextremen und antisemitischen Terroranschlag in der ostdeutschen Stadt Halle ist dort mit zahlreichen Veranstaltungen und Gesten der Opfer gedacht worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte bei der zentralen Gedenkveranstaltung ein Zusammenstehen der gesamten Gesellschaft gegen Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung. Menschenfeindlichkeit sei ein Angriff gegen die offene Gesellschaft und die Demokratie. Menschenfeindlichkeit treffe nicht jeden, "aber sie betrifft uns alle", betonte Steinmeier.

"Rechtsextremismus reicht tief in Gesellschaft"

Der Bundespräsident erinnerte an die Todesopfer, Verletzten und Traumatisierten des Anschlags vom 9. Oktober 2019. Aus rechtsextremistischer Gesinnung heraus hatte der Täter versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in die Synagoge in Halle einzudringen. Als ihm das nicht gelang, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin und in einem nahen Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Gast. Auf seiner Flucht verletzte der Attentäter zahlreiche weitere Menschen, ehe er von der Polizei gefasst wurde. Der 28-jährige Deutsche Stephan Balliet hat die Taten eingeräumt, der Prozess gegen ihn läuft vor dem Oberlandesgericht Naumburg. Er ist wegen zweifachen Mordes und 86-fachen versuchten Mordes angeklagt.

Kränze und Blumen vor dem Dönerladen, wo ein 20 Jahre junger Gast erschossen worden war (Foto: Ben Knight/DW)
Kränze und Blumen vor dem Dönerladen, wo ein 20 Jahre junger Gast erschossen worden warBild: Ben Knight/DW

In Halle sei ein Alptraum wahr geworden, "ausgerechnet in Deutschland", sagte Steinmeier. Er verwies auf die steigende Zahl judenfeindlicher Straftaten, nannte die Liste der Angriffe eine "Liste der Schande". Es erfülle ihn mit Scham und Zorn, dass es nötig sei, jüdische Gotteshäuser zu schützen und dass es für jüdische Kinder Alltag sei, schwer bewachte Kindergärten und Schulen zu besuchen. "Rechtsextremismus reicht tief hinein in unsere Gesellschaft", mahnte Steinmeier und forderte, wachsamer zu sein gegenüber möglichen Radikalisierungen im eigenen Umfeld: "Die These vom Einzeltäter, das wissen wir heute, hat in der Vergangenheit allzu oft vom Kern abgelenkt." 

Mahnmal im Innenhof der Synagoge

Zuvor hatte die Jüdische Gemeinde von Halle im Innenhof der angegriffenen Synagoge ein Mahnmal enthüllt. Im Zentrum des Kunstwerks steht die Tür des Gotteshauses, die den Schüssen des Attentäters standhielt. Die Tür habe standgehalten und sei dennoch ein Zeichen der Zerstörung, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, bei der Enthüllung. Die Juden in der Synagoge hätten Todesangst ausstehen müssen und zwei Menschen hätten die Wut des Täters über sein Scheitern mit dem Leben bezahlt. "Die Einschusslöcher erinnern uns daran: Hätte der Täter bessere Waffen gehabt, wäre es zu einem entsetzlichen Blutbad gekommen."

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, in Halle  (Foto: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance)
Zentralratspräsident Josef Schuster: "Hätte der Täter bessere Waffen gehabt, wäre es zu einem Blutbad gekommen"Bild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte, der Anschlag in Halle habe "faktisch alles verändert". Es würden Maßnahmen ergriffen, damit eine solche Tat "nie wieder" vorkommt. Die Landesregierung habe unter anderem eine Studie in Auftrag gegeben, um die Ursachen des Antisemitismus in Sachsen-Anhalt zu analysieren. Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand sagte, dass der Anschlag eine Wunde geschlagen habe, die als Narbe bleibe. "Diese Narbe sollten wir nicht verstecken: Sie mahnt uns, erinnert uns daran, wie verletzlich unsere Gesellschaft ist", so der parteilose Stadtchef.

Stilles Gedenken um 12.01 Uhr 

Auf dem Marktplatz von Halle hatten sich am Mittag hunderte Menschen versammelt. Um 12.01 Uhr hielten sie schweigend inne, viele hatten Tränen in den Augen. Zeitgleich läuteten die Kirchenglocken in der Stadt. Damit erinnerte Halle an den Zeitpunkt, an dem vor einem Jahr der Anschlag begann. Bereits in den Morgenstunden hatten Passanten Blumen an den Tatorten abgelegt. 

Bürger von Halle geben Polizisten Blumen, damit sie diese an der Synagoge ablegen (Foto: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance)
Bürger von Halle geben Polizisten Blumen, damit sie diese an der Synagoge ablegenBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Bundesaußenminister Heiko Maas bezeichnete rechten Terror als "größte Gefahr für unser Land". Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, warnte vor einem "steil ansteigenden Antisemitismus" in Deutschland. "Gerade in den vergangenen zwei Jahren haben Straftaten, auch Gewalttaten, gegen Juden und jüdische Einrichtungen in Deutschland erheblich zugenommen", sagte Haldenwang dem Berliner "Tagesspiegel". Antisemitismus habe es in Deutschland immer gegeben, aber nicht so offen, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dem Fernsehsender Phoenix. "Jetzt, durch Hass und Hetze im Internet und in den sozialen Medien, wird er wieder salonfähiger."

sti/wa (afp, dpa, epd)