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Die Pille ist 50

18. August 2010

Vor 50 Jahren kam die Antibabypille in den USA auf den Markt: das Ende einer langen Suche nach sicherer Verhütung und der Beginn einer gesellschaftlichen Revolution. Ihr Erfinder erzählt DW-WORLD.DE, wie es dazu kam.

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Eine junge Frau trägt zwei Streifen mit Anti-Baby-Pillen in Blisterverpackungen in der rückwärtigen Hosentasche ihrer Jeans (Foto: dpa)
Kleine Pillen, große Wirkung: Die Antibabypille krempelte die Gesellschaft umBild: dpa - Report

DW-WORLD.DE: Als Sie und Ihr Team die erste oral einnehmbare Form von Progestin entwickelt haben, aus dem dann die Pille entstand, wollten Sie da überhaupt ein Verhütungsmittel entdecken?

Eine junge Frau trägt zwei Streifen mit Anti-Baby-Pillen in Blisterverpackungen in der rückwärtigen Hosentasche ihrer Jeans
"Die Mutter der Pille": Der Chemiker, Schriftsteller und Kunstsammler Carl DjerassiBild: AP

Carl Djerassi: Wann immer ich das gefragt werde, und diese Frage ist ja auch logisch, kann ich sie nicht mit ja oder nein beantworten. Es war alles etwas komplizierter. Ich beginne immer mit der Tatsache, dass man zu diesem Zeitpunkt schon eine Menge über Progesteron wusste. Die Verbindung war schon in den 1930er-Jahren isoliert und synthetisiert worden und es kam bereits regelmäßig zur Anwendung bei der Behandlung von Menstruationsbeschwerden und Unfruchtbarkeit. Aber es konnte nicht oral eingenommen werden, also wurde es injiziert.

Ich arbeitete damals bei einer kleinen Pharma-Firma namens Syntex, wir wollten Medikamente entwickeln, die wir selber vermarkten konnten, also nicht nur Patente, sondern Produkte unter Syntex' eigenem Namen. Eines der Projekte war, eine Verbindung herzustellen, ein Progestin mit der biologischen Aktivität von Progesteron oder einer besseren, aber zum Einnehmen und für die medizinische Anwendung. Es gab jemanden vom Nationalen Krebs-Forschungsinstitut, der sich für die Anwendung von Progesteron bei Gebärmutterhalskrebs interessierte.

Dass Progesteron auch zur Verhütung angewendet werden könnte, war ziemlich offensichtlich. Das hatte ein Österreicher namens Ludwig Haberlandt schon in den Zwanzigern entdeckt. Aber Sie müssen sich vor Augen halten, dass die Pharma-Industrie damals kein nennenswertes Interesse an Verhütung hatte, weder in den USA noch sonst wo. Es war wenige Jahre nach dem Krieg. Millionen Menschen waren gestorben, da gab es keinen hohen Bedarf.

Eine aufgebrauchte Packung Verhütungspillen. Aufgenommen in Köln am 16.09.2009 (Foto: DPA)
Bis heute haben 200 Millionen Frauen die Pille angewendetBild: picture alliance/dpa

Als wir die Verbindung synthetisiert hatten, schickten wir sie an eine Menge Biologen. Einer war Gregory Pincus, der in den USA arbeitete und an einer oralen Verhütungsmethode interessiert war. Er war auch ein sehr guter Geschäftsmann, er trieb das Ganze sehr voran, nachdem die Zulassungsbehörde dem klinischen Einsatz zugestimmt hatte. Drei Jahre später wurde die Verbindung als Verhütungsmittel zugelassen.

Das, was wir entwickelten, das Norethindron, wird heute noch von Millionen Frauen benutzt, alle nachfolgend entwickelten oralen Verhütungsmittel sind enge Verwandte unseres Stoffes.

War damals Ihre Methode, das Progestin zu synthetisieren, neuartig?

Sehr sogar. Die Chemie war sehr kompliziert, sehr ausgeklügelt. Das hier zu erklären wäre schlicht unmöglich, denn selbst wenn ich es einem Chemiker erklären würde, müsste ich sagen: 'Gib mir doch mal Stift und Papier, damit ich dir die chemischen Strukturen aufzeichnen kann.' Wir gebrauchen ja keine Worte sondern Strukturen. In jedem Fall war es chemisch sehr anspruchsvoll.

Es ist mit Sicherheit die Erfindung, die Sie berühmt gemacht hat. Aber würden Sie sagen, es war ihre kreativste Erfindung als Chemiker?

Nein, absolut nicht. Ich habe eine Menge Sachen gemacht, von denen ich rückblickend sagen würde, dass sie weit bedeutendere chemische Entdeckungen waren. Ich habe mehr als tausend chemische Forschungsarbeiten veröffentlicht, vielleicht 60 oder 80 darunter waren in diesem Bereich, aber nicht in einer einzigen ging es um Verhütung. Aber diese eine Erfindung hatte größere gesellschaftlichen Effekte als alle anderen.

Sie hatten nun 60 Jahre Zeit über die Bedeutung der von ihnen entwickelten Chemie nachzudenken. Hat sich da über die Jahre etwas gewandelt? Glauben Sie, der Zusammenhang zwischen der Sexuellen Revolution und der Pille wurde zum Teil etwas aufgeblasen?

Unser Archivfoto vom 22. Mai 2001 zeigt eine Produktaufnahme der Verpackung der ersten Anti-Baby-Pille mit dem Namen Anovlar von Schering. Am 1. Juni. 1961 brachte das Berliner Pharmaunternehmen Schering die erste Anti-Baby-Pille auf den deutschen Markt. Die Zusammensetzung der Pille wurde im Laufe der Jahre vielfach verändert.
Anovlar - gut ein Jahr nach den USA kommt die Pille 1961 auch nach DeutschlandBild: AP

Aufgeblasen? Das glaube ich nicht. Aber der Zusammenhang wurde zu stark vereinfacht. Und es ist klar, warum. Die Pille hatte enorme Auswirkungen auf die Frauen, wie wir alle wissen. Sowohl positive wie auch negative. Ihr wurde die sexuelle Revolution zugeschrieben und sie wurde zugleich dafür verdammt. Auch wenn es mich amüsierte und zum Teil sogar freute, dass ich dafür mitverantwortlich gemacht werde, ist das zu schlicht gedacht ist.

Die 1960er-Jahre waren exakt die richtige Zeit für die Einführung einer oralen Verhütungsmethode, wegen all dieser sozialen Bewegungen, der Beatles, der Drogenkultur, der Hippies, und vor allem wegen der Frauenbewegung. Und sie alle werden mit der Befreiung des Sexuallebens in Zusammenhang gebracht, auch mit promiskem Sexualleben.

Carl Djerassi wurde 1923 in Wien als Sohn einer jüdischen Ärztefamilie geboren und wuchs in Bulgarien auf. 1939 floh er mit seiner Mutter in die USA, wo er Chemiker wurde. 1951 gelang ihm die künstliche Herstellung des Sexualhormons Norethindron. In seiner Autobiographie nennt er sich "Die Mutter der Pille", da er sich 'nur' für als chemischer Erfinder der Antibabypille sieht.

Das Gespräch führte Sruthi Pinnamaneni

Redaktion und Übersetzung aus dem Englischen: Sven Töniges