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Der ewige Sprachenstreit

27. April 2010

Das Land soll bald die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Jetzt beschäftigt es sich fast nur noch mit sich selbst. Wieder mal.

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"Spaltet Belgien auf!" Rechtsradikaler flämischer AnsteckerBild: AP

Wie so oft, hat sich auch diese belgische Regierungskrise am Sprachenstreit zwischen französischsprachigen Wallonen und niederländischsprachigen Flamen entzündet. Im Zentrum steht der Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde. Die Hauptstadt ist zwar offiziell zweisprachig, faktisch wird aber hier ganz überwiegend französisch gesprochen. Immer mehr Frankophone sind in den vergangenen Jahren ins flämische Umland gezogen und pochen auf ihre sprachlichen Rechte. Dort fürchtet man um den flämischen Charakter. Flämische Politiker wollen den Frankophonen hier zum Beispiel das Recht auf den Gebrauch des Französischen vor Gericht entziehen. Mit an vorderster Front stehen dabei die flämischen Liberalen, Open VLD. Ihr Vorsitzender Alexander de Croo sah am vergangenen Freitag keine Basis mehr für eine weitere Zusammenarbeit in der Fünfparteienkoalition, die sowohl wallonische als auch flämische Parteien umfasste. “Eine Lösung ist gescheitert. Man hat sich nicht an Absprachen gehalten. Daher entzieht die Open VLD der Regierung das Vertrauen.“

“Die Frankophonen haben hier nichts zu suchen“

Wie aufgeladen und antifrankophon die Stimmung im flämischen Umland von Brüssel ist, zeigen Äußerungen wie die eines Passanten: “Das hier ist flämischer Boden, für den Flamen gekämpft haben. So einfach ist das. Und die Frankophonen haben hier nichts zu sagen und eigentlich auch nichts zu suchen.“ Ebenso starke Worte finden Leute auf der anderen Seite der Sprachbarriere. Der wallonische Politiker Olivier Maingain ist zwar Liberaler, so wie sein flämischer Parteifreund de Croo. Doch in diesem Punkt trennen die beiden Welten. Maingain hat für de Croos Position nur Verachtung übrig. “Das ist ein Nationalismus, den selbst eine große Zeitung wie die New York Times als gewaltlosen Faschismus bezeichnet.“

Alter flämischer Groll

Would-be Prime Minister in waiting Yves Leterme, of the Flemish Christian Democrat Party talks to the media after resigning as coalition negotiator at the Belgian Parliament in Brussels, Saturday, Dec. 1, 2007. Talks aimed at forming a governing coalition in Belgium collapsed on Saturday, more than five months after general elections. (AP Photo/Thierry Charlier)
Yves Leterme tritt zurückBild: AP

Der Streit ist mindestens so alt wie der belgische Staat, der vor 180 Jahren gegründet wurde. Traditionell sprach die belgische Führungsschicht immer französisch und sah auf die niederländischsprachigen Flamen herab. Zwar haben sich die Rechte der Flamen mit einer weitgehenden Föderalisierung des Landes verbessert. Auch sind sie sowohl wirtschaftlich als auch demographisch der stärkere Bevölkerungsteil. Doch die alten Gegensätze brechen immer wieder auf. Und nichts deutet auf eine rasche Lösung hin.

Taugt Belgien für die EU-Ratspräsidentschaft?

Ist ein Land in einer solchen Krise überhaupt fähig, am 1. Juli die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union zu übernehmen? Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde gibt sich zuversichtlich. “Wir haben uneingeschränktes Vertrauen, dass Belgien seine Verantwortung im Zusammenhang mit der Ratspräsidentschaft voll und ganz übernehmen wird.“ Doch was wie eine Feststellung klingt, dürfte auch als dringende Aufforderung an belgische Politiker gemeint sein, vor dem 1. Juli für klare Verhältnisse zu sorgen.

Wenn das belgische Ei bricht…

Es geht aber natürlich um mehr als um eine stabile Regierung für ein halbes Jahr. Es geht letztlich um die Frage, ob Belgien als Staat eine Zukunft hat. In einer Umfrage für die Tageszeitung Le Soir sprechen sich knapp 22 Prozent für eine völlige Trennung der Landesteile aus. Noch mehr sind allerdings für eine weitere Föderalisierung, das heißt, für eine weitere Stärkung der Regionen auf Kosten der Zentrale. Der belgische Historiker Dirk Rochtus bleibt jedenfalls gelassen, was die Aussichten für Belgien betrifft. “Wenn Belgien eines Tages auseinanderdriften würde – ich meine, wir sind noch immer in der Europäischen Union. Ich sage immer, wenn das belgische Ei bricht, sind wir noch immer im europäischen Omelett sozusagen.“

Der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle hatte mit Blick auf die europäische Einigung von einem „Europa der Vaterländer“ gesprochen und gesagt, aus harten Eiern könne man kein Omelett machen. Auch wenn sich seitdem viel geändert hat - auch heute dürften die meisten europäischen Politiker das Bild vom europäischen Omelett zurückweisen.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Gero Rueter