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Hat Europa zu viele Banken?

Rolf Wenkel25. Juni 2014

Der Patient ist zu fett und stark übergewichtig, urteilen Forscher über das europäische Bankensystem. Das könne der Wirtschaft mehr Kosten verursachen als es Nutzen bringt.

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Dagobert Duck
Bild: picture alliance/United Archives/IFTN

Europas Bankensektor ist nach Ansicht einer Gruppe von Wissenschaftlern zu fett und zu aufgebläht und stiftet volkswirtschaftlich so gut wie keinen Zusatznutzen. In einer Studie stellen sich die Autoren die Frage: "Hat Europa zu viele Banken? - Is Europe Overbanked?". Angefertigt wurde sie im Auftrag des bei der Europäischen Zentralbank angesiedelten Europäischen Rates für Systemrisiken ESRB.

Zu den Autoren der Studie zählen unter anderen Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch und Martin Hellwig, Leiter des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Der ist überzeugt: "Wir halten die Banken künstlich im Markt mit Hilfe der Steuerzahler. In einigen Märkten können Banken überhaupt nur überleben, wenn sie zocken. Und wenn ich sehe, dass eine Bank das braucht, um zu überleben, weil sie sonst nicht die nötigen Margen verdienen kann, dann sage ich mir: In dem Markt ist etwas faul und es gibt zu viele Anbieter."

Die Banken in Europa sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer stärker gewachsen als die jährliche Wirtschaftsleistung eines Landes. In einigen Ländern Europas übersteigen die Bankbilanzen die Wirtschaftsleistung um 400 oder mehr Prozent. Zum Vergleich: Die gesamte Bilanzsumme aller japanischen Banken beträgt rund 190 Prozent der japanischen Wirtschaftsleistung, in den USA sind es 145 Prozent.

Martin Hellwig Max-Planck-Institut (Foto: Davis Ausserhofer, ESMT)
Martin Hellwig: "In dem Markt ist was faul"Bild: ESMT

Junge Talente im falschen Beruf?

Was vernünftig ist und was nicht, weiß normalerweise der Markt", sagt Martin Hellwig zur DW. "Aber wenn der Steuerzahler die Banken finanziert und künstlich am Leben hält, dann versagt der Markt, dann haben wir zu viele Banken." Was übrigens auch zur Fehlleitung von personellen Ressourcen führen kann: "Wollen wir eigentlich, dass gut ausgebildete Physiker bei Banken Risikomodelle rechnen oder wollen wir, dass gut ausgebildete Physiker über neue Umwelt-Technologien nachdenken?"

Europas Bankensystem ist nicht nur größer als das in anderen Regionen der Fall ist - es ist auch mächtiger. Die Autoren der Studie zeigen, dass in Europa die drei größten Banken eines Landes in der Regel zwischen 65 und 75 Prozent des gesamten Bilanzvolumens ausmachen – in den USA kommen die drei größten Banken nur auf ein Gewicht von rund 25 Prozent.

Außerdem ist nach Ansicht der Experten die Rolle von Europas Bankensektor bei der Kreditvergabe im Vergleich zur Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt zu stark. Während sich in den USA Unternehmen zu 70 Prozent über Anleihen und nur zu 30 Prozent über Bankkredite finanzierten, sei das Verhältnis in Europa genau umgekehrt. "Das ist Anlass zur Sorge, weil eine so geartete Finanzierungsstruktur mit Übergewicht auf den Banken mit niedrigerem Wirtschaftswachstum einhergeht", heißt es in der Studie.

Volkswirtschaftlich nicht sinnvoll

Trotzdem sind Banken wichtig für eine Volkswirtschaft, sie liefern das Schmiermittel, das den Wirtschaftsmotor am Laufen hält. Doch irgendwann kommt der Punkt, wo das Gemisch zu fett wird und ein Bankensystem mehr volkswirtschaftliche Kosten verursacht als Nutzen stiftet. Bei den großen europäischen Banken mache das normale Bankgeschäft, Kundeneinlagen und Kredite für Unternehmen, nur noch maximal die Hälfte ihres Geschäfts aus, bei vielen sogar deutlich weniger. Der Rest sei Investmentbanking, Derivate, Wertpapierhandel, sagt Hellwig. "Bei diesen Dingen ist mir nicht immer klar, ob das volkswirtschaftlich wirklich so sinnvoll ist."

Die Bankentürme von Frankfurt am Main (Foto: dpa)
Finanzplatz Frankfurt am MainBild: picture-alliance/dpa

Immerhin hat sich seit 2008, seit der globalen Finanzkrise, vieles geändert: Frühwarnsysteme sind etabliert worden, die Bankenaufsicht wurde verschärft und neue Eigenkapital-Regelungen sind eingeführt worden, Stichwort Basel III, und zudem müssen sich die Banken ab und an einem Stresstest unterziehen. Da braucht man sich nicht zu wundern, dass sich bei den Banken das einstellt, was die Autoren der Studie "eine gewisse Therapiemüdigkeit" nennen.

Immer noch zu wenig Eigenkapital

Martin Hellwig indes lässt das nicht gelten: "Dass die Banken sich beschweren, das gehört dazu. Eine alte Bauernweisheit: Lerne klagen ohne zu leiden." Er könne auf einen guten Teil dessen, was seit 2008 verabschiedet worden ist, verzichten, wenn die Banken gezwungen wären, deutlich mehr mit ihren eigenen Mitteln und weniger mit Schulden zu arbeiten, sagt Hellwig.

Basel III sollte nach Hellwigs Ansicht "besser Basel 2.01 genannt werden. Basel III lässt immer noch zu, dass Banken sich zu 97 Prozent ihrer Anlagen verschulden. Und nur drei Prozent ihrer Anlagen mit eigenen Mitteln finanzieren." Und drei Prozent sei auch in etwa das, was die großen Banken in Europa an Eigenmitteln hätten. "Das ist aber auch das, was Lehman Brothers vor dem Konkurs hatte. Insofern hat sich nicht viel verbessert."