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Hassrede und Klimaaktivismus

29. Oktober 2020

Auf den Philippinen, in Brasilien oder Deutschland: Die Bedrohung von Umweltschützern im Internet nimmt überall zu. Besonders betroffen sind Frauen. Hier berichten sie, wie es ist, einem solchen Hass ausgesetzt zu sein.

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Computertaste mit der Aufschrift Hate Speech
Bild: Christian Ohde/imago

"Ich habe jede Menge Kommentare zu meiner körperlichen Erscheinung bekommen: Du bist fett, Du bist hässlich, ich werde Dich vergewaltigen", erzählt Umweltaktivistin und Forscherin Renee Karunungan. Die Hasskommentare waren einer der Gründe, warum Karunungan kürzlich von den Philippinen nach Großbritannien zog.

Die Forscherin ist eine von vielen Betroffenen, die über einen massiven Anstieg solcher Beleidigungen berichten. Zwar gibt es noch keine offiziellen Erhebungen darüber, aber laut Karunungan gehört Hass im Internet mittlerweile zum digitalen Alltag.

Das Trauma, das man dadurch erlebe, bleibe nicht etwa virtuell, sondern sei ganz real und könne schwere Folgen haben, sagt die Umweltschützerin. 

Hate Speech in der rechtlichen Grauzone 

Der Online-Hass hat sich zu einer derart zerstörerischen Kraft in der politischen Debatte entwickelt, dass Unternehmen wie TikTok und Facebook damit begonnen haben, Forderungen nach schärferen Regeln umzusetzen. 

Was jedoch genau zu regeln ist, bleibt auf den ersten Blick unklar. Wann aus einer Beleidigung Hassrede wird, wann aus Hassrede illegale Anstiftung zu Gewalt und Diskriminierung - das ist je nach Land und Plattform unterschiedlich und immer häufiger Gegenstand für Diskussionen.

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Josephine Schmitt zufolge, die zu Hate Speech, zu deutsch Hassrede, am Centre for Advanced Internet Studies forscht, befindet man sich dabei in einer extremen Grauzone, in der auch subjektive Aspekte eine große Rolle spielen. In Ermangelung einer gültigen internationalen gesetzlichen Festlegung beschreiben die UN Hate Speech als eine Kommunikation, die Menschen oder eine Menschengruppe aufgrund ihrer Religion, Herkunft, Staatsangehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Abstammung, Geschlechtszugehörigkeit oder anderer Identität angreift. 

Fraktionsmitglieder von Bündnis 90/ Die Grünen stehen hinter einem Banner mit der Aufschrift NoHateSpeech
In Deutschland macht sich unter anderem die Partei Bündnis 90/ Die Grünen gegen Hassrede starkBild: Christian Thiel/Imago Images

Nach Ansicht mehrerer Forscherinnen und Forscher bietet gerade die Umweltbewegung eine Art Negativ-Identifikation für Hass. "Umweltverteidiger werden angegriffen, weil sie als Projektionsfläche für alle Arten von gruppenbezogener Feindschaft dienen", sagt Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus einsetzt.

Persönliche Angriffe statt politischer Debatten 

Der Klimawandel sei als Thema für Rechtsextreme attraktiver geworden und biete ein ganzes Feld voller "hoch symbolischer Themen", wie etwa den Fleischkonsum oder das Fahren von SUVs, so Blumenthaler. Seine Stiftung habe einen "immensen Anstieg" von Hate Speech gegen Klimaaktivisten in Deutschland erlebt - vor allem, wenn sie jung und weiblich seien. 

Dieses Jahr gewann Luisa Neubauer, die prominente Organisatorin der Umweltbewegung Fridays for Future in Deutschland, einen Gerichtsprozess gegen den Absender eines frauenverachtenden Online-Kommentars und gegen Facebook. Die Plattform musste Nutzerdaten herausgeben. 

Das Journalismus-Projekt Greenpeace Unearthed dokumentierte im vergangenen Jahr einen zunehmenden Fokus der rechtsextremen Partei AfD auf das Klima und Greta Thunberg. So wurde die schwedische Initiatorin der Fridays-for-Future-Bewegung etwa aufgrund ihres Autismus verspottet. Ein Aktivist der rechtsextremen Pegida-Bewegung soll sie als "geistig zurückgeblieben" bezeichnet haben. 

Pappschild mit dem selbstgemalten Schriftzug "ekelhafd" in Anspielung auf die AfD
In Deutschland sehen viele die rechtsextreme Partei AfD für Hass in der Gesellschaft und im Internet verantwortlichBild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

"Online-Angriffe neigen dazu, sehr persönlich und heuchlerisch zu sein, und sind weitgehend frei von wahren Argumenten", sagt Blumenthaler. "Ich glaube, der Grund für den Online-Hass liegt in gewisser Weise darin, dass Rechtsextreme noch keinen guten Weg gefunden haben, ihr eigenes Narrativ über den Klimawandel zu verbreiten". 

Hate Speech kann gefährlich werden

In "Online-Hassblasen" einer zunehmend besser vernetzten Rechtsextremen würden Hassreden benutzt, um Menschen zum Schweigen zu bringen, berichtet Blumenthaler. Klimaaktivistinnen und -aktivisten seien einigen "sehr, sehr gefährlichen Menschen" ausgesetzt. "Es ist hilfreich sich klar zu machen, dass Hate Speech nur ein Teil aus einem ganzen Bausatz von Strategien ist, die genutzt werden, um Umweltschützer anzugreifen. Dazu gehörten weiterhin auch Diffamierung, Desinformation, Drohungen und Anstiftung zur Gewalt", bestätigt Lara Wodtke, zuständig für internationale Demokratie-Programme bei der Heinrich-Böll-Stiftung. 

Mary Menton, Forschungsstipendiatin für Umwelt an der Sussex University, betont, dass die Grenze zwischen Hate Speech und Verleumdungskampagnen oft nur ein schmaler Grat ist. In Brasilien stellte die Stipendiatin in der Regierungszeit von Präsident Jair Bolsonaro einen Anstieg von falschen Tatsachenbehauptungen, sogenannten Fake News, und Verleumdungskampagnen in sozialen und traditionellen Medien fest.

Präsident Jair Bolsonaro vor einer Flagge Brasiliens
In der Regierungszeit von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro stieg die Zahl von Hass-Kampagnen im NetzBild: Marcos Corrêa/Presidência da República do Brasil

Besonders betroffen: indigene Persönlichkeiten. Das Ziel sei, ihren Charakter zu diskreditieren oder sie wie Verbrecher aussehen zu lassen, so Menton.

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Die Hass-Kampagnen kämen sowohl von hochrangigen Quellen als auch von lokalen Lobbys und verstärkten eine gefährliche Atmosphäre der Straflosigkeit, sagt Menton. "Es schafft das Gefühl, dass Umweltschützer eine Zielscheibe auf dem Rücken tragen."

Umweltschutz - ein tödliches Engagement

Mitzi Jonelle Tan, Mitbegründerin von Youth Advocates for Climate Action auf den Philippinen, sagt, dass die heftigsten Beleidigungen auf der Facebook-Seite der Organisation nicht durch Beiträge über die Rettung von Tieren oder das Pflanzen von Bäumen ausgelöst werden, sondern durch solche, die Klimagerechtigkeit forderten.

Auf den Philippinen kann es tödlich sein, über die Umwelt zu sprechen. Global Witness, eine internationale Nichtregierungsorganisation (NGO), die gegen die Verletzung von Menschenrechten kämpft, stuft die Inselgruppe als den zweitgefährlichsten Ort der Welt für Umweltschützerinnen und Umweltschützer ein. 46 Morde gab es demnach im vergangenen Jahr. 

Die Organisation erhält Beleidigung von international aktiven "Klimatrollen", also Menschen, die den Klimawandel als Schwindel bezeichnen oder die Umweltaktivisten als zu jung und uninformiert diffamieren. Aber die bedrohlichsten Kommentare kämen aus dem lokalen Umfeld, sagt Mitzi. Hate Speech nähme auf den Philippinen eine sehr spezifische Form an, berichtet sie: "Einige Leute sagen unverblümt, wir seien Terroristen und verdienten es nicht zu leben".

Wenn Regierungen Hass schüren

Oft folge die Hassrede auf das sogenannte "Red Tagging" - eine Praxis, bei der Regierungen und Sicherheitskräfte Kritiker als "Terroristen" oder "Kommunisten" brandmarken - betonen sowohl Mitzi Jonelle Tan als auch Forscherin Renee Karunungan. Laut Lorenz Blumenthaler handelt es sich dabei um eine politische Strategie zur Delegitimierung von Bewegungen: "Ähnliche Bestreben beobachten wir auch in Europa, wo Menschen als Öko-Terroristen gebrandmarkt werden." 

Hate Speech sei etwas, das viele Menschen als Jux und Tollerei abtäten, sagt Karunungan. "Und wenn es dann Gewalt in der realen Welt gibt, denken sie, dass kein Zusammenhang besteht - aber den gibt es definitiv." Und oft bleibe Gewalt gegen Umweltaktivisten straffrei, so Karunungan. Sie glaubt, dass ein Großteil der Hassrede auf den Philippinen mit organisierten Troll-Gruppierungen in Verbindung steht. 

Proteste gegen das philippinische Anti-Terror-Gesetz in Manila
Protestierende werfen der Regierung der Philippinen vor, mit dem Anti-Terror-Gesetz Kritik unterdrücken zu wollenBild: Getty Images/E. Acayan

Viele Umweltgruppen hätten Angst davor, dass ihre Büros von der Polizei durchsucht werden, und viele hätten die Erfahrung gemacht, vom Staat überwacht zu werden, sagt Umweltaktivistin Mitzi. "Es ist so weit gekommen, dass ich manchmal glaube, jemand würde mich auf dem Heimweg verfolgen. Wir sind alle immer auf der Hut." Besonders Jugendliche trauten sich kaum noch, sich öffentlich für den Umweltschutz einzusetzen. 

Hass strategisch eingesetzt

Hate Speech werde sehr strategisch eingesetzt, berichtet auch Ed O'Donovan von der Menschenrechtsorganisation Frontline Defenders: "Die Leute werden dadurch entmenschlicht, dass man sie als Kriminelle behandelt. Das Kalkül besteht darin, dass der öffentliche Aufschrei bei tatsächlicher Gewalt gegen sie dann gering ausfällt." 

Proteste der Gemeinde Fuerabamba gegen den Bergbau Las Bambas in Peru
Indigene werden immer wieder Opfer von Hass-Kampagnen und Gewalt, wenn sie sich, wie hier in Peru, gegen Bergbau- oder andere Großprojekte einsetzenBild: Imago Images/ZUMA Press/El Comercio

Immer wieder sei auch die Rohstoffindustrie an Hate-Speech-Kampagnen beteiligt. Unternehmen nutzten sie etwa dazu, lokale Gemeinschaften zu spalten und so Zustimmung für eigene Vorhaben zu bekommen.

Hassrede sei eine sehr effektive Strategie, resümiert Lara Wodtke: "Sie ist billig, denn meistens wird sie von Trollarmeen oder Algorithmen verbreitet." Hate Speech lenke "die Aufmerksamkeit, Ressourcen und Energie" der Umweltverteidiger um und untergrabe ihre wichtigste Ressource: Legitimität.

Adaption: Sarah Mewes/Jeannette Cwienk

Holly Young Holly Young ist Klimareporterin bei der DW Umweltredaktion in Berlin.@holly_young88