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"Heaven" in der Pole-Position

Wolfgang Hübner (AP)12. Februar 2002

Ein klein wenig "deutscher" hätte man sich diesen deutschen Eröffnungsfilm der 52. Internationalen Berliner Filmfestspiele schon vorgestellt.

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Tom Tykwer und Cate Blanchett bei den Dreharbeiten zu "Heaven"

Was da unter dem englischen Titel "Heaven" am 6. Februar im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz gezeigt wurde, spielte in Turin und der Toskana, zeigte australische, amerikanische, italienische Schauspieler, wurde von zwei polnischen Drehbuchautoren geschrieben und mit der überwiegend von einem finnischen Komponisten stammenden Musik versehen. Deutscher Herkunft sind allerdings Kamera-Mann Frank Griebe und Regisseur Tom Tykwer sowie auch ein Teil des Teams der deutsch-amerikanischen Produktion.

Der Erwähnung wert ist all das deshalb, weil der neue Berlinale-Leiter Dieter Kosslick gerade mit dem Eröffnungsfilm ein Signal für das einheimische Filmschaffen setzen wollte. Aber so viel Mut zum Risiko, einen der drei weiteren, allesamt ausschließlich deutschen Beiträge im diesjährigen Wettbewerb an den Anfang zu setzen, hatte auch der sich betont erneuerungswillig gebende Kosslick nicht.

Mit Tykwers bilderstarken Inszenierung eines nachgelassenen Drehbuchs des berühmten, im März 1996 überraschend gestorbenen polnischen Filmemachers Krzystof Kieslowski (zusammen mit Krzysztof Piesiewicz) begann die Berlinale gefällig und niveauvoll, wenngleich nicht begeisternd.

Erzählt wird die Geschichte einer in Turin lebenden Engländerin namens Philippa, die an einem Heroinhändler Rache für den Tod ihres drogenabhängigen Mannes nehmen will. Der sich als seriöser Geschäftsmann tarnende Schuft soll mit einer selbstgebastelten Bombe in die Hölle befördert werden.

Doch eine Verkettung unglücklicher Umstände sorgt dafür, dass nicht die Zielperson, sondern ein Vater mit zwei Kindern sowie eine Putzfrau von der Bombe zerrissen werden. Philippa erfährt erst nach ihrer Festnahme von dieser entsetzlichen Wendung. Sie sinkt in Ohnmacht, der junge Polizist Filippo kümmert sich um sie und verliebt sich in die Englischlehrerin seines kleinen Bruders Ariel.

Filippo ermöglicht nicht nur die Flucht der verzweifelten Frau,
sondern fährt auch an ihrer Seite in die Toskana. Dort finden beide Unterschlupf bei einer Freundin von Philippa, werden aber von der Polizei aufgespürt.

Ungereimheiten im Drehbuch

Heaven
Bild: AP

Tykwer hat Kieslowskis Drehbuch mit seinem bislang höchsten Etat an stimmungsvollen Schauplätzen gedreht. Es war eine mehrfache Herausforderung für den Regisseur von "Lola rennt", und er hat sie gut gemeistert.

Manchmal allerdings wirken die Bilder und Szenen zu stilisiert, bedeutungsschwer und ausgetüftelt.

Die schwache Stelle des Eröffnungsfilms sind jedoch Ungereimtheiten im Drehbuch, die bei dem berühmten Autor Kieslowski nicht zu erwarten gewesen wären. So bleibt die Liebe zwischen Philippa und dem fast kindlichen Filippo eine Behauptung, die nicht glaubhaft wird.

Den fatalen seelischen Konflikt der Engländerin einfach mit der überwältigenden Macht der Liebe wegzaubern, ist dem großen polnischen Moralisten nicht angemessen. Es gibt noch mehr in dieser Handlung, was zu konstruiert und damit wirkungsmindernd ist.

Ein Glück für "Heaven" und Tykwer aber ist es, wie Cate Blanchett einmal mehr in ihrer Rolle aufgeht, wie sie die Erschütterung dieser unschuldig so sehr schuldig gewordenen Frau darstellerisch beglaubigt.

Sogar ihre Haare hat die 32-jährige Australierin für diesen Film geopfert, denn in einer bewegenden Szene lässt sie sich diese scheren, was ihr übrigens gut steht.

Der Amerikaner Giovanni Ribisi, erst 26, hat es nicht leicht an der Seite der heißen Oscar-Anwärterin, neben der er schon in dem vor einiger Zeit gelaufenen Streifen "The Gift - Die dunkle Gabe" agierte. Ribisi ist Spezialist für gestörte junge Männer, diese Charaktere wird er wohl noch oft mit seinen erschrockenen Kinderaugen spielen.

Frank Griebes ambitionierte Kameraführung und die sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzte Musik geben "Heaven" jene
Qualität, die der Eröffnungsfilm des bedeutendsten Film-Ereignisses in Deutschland auch haben sollte. Die Berlinale hat ermutigend begonnen.