Heinrich Himmler privat
30. Januar 2014Hunderte privater Briefe des SS-Chefs Heinrich Himmler, die er zwischen 1927 und 1945 an seine Frau Marga geschickt haben soll, sind nun in Israel aufgetaucht, ausgewertet und in Teilen veröffentlicht worden. Neben Briefen sind auch Fotografien, Tagebücher, Haushaltsbücher und ein Rezeptbuch überliefert - angeblich von Marga Himmler. Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs, hält die Dokumente für authentisch, sagte er gegenüber der Tageszeitung "Die Welt" - obwohl deren genaue Herkunft bislang nicht geklärt werden konnte und die Briefe nur als Fotonegative vorliegen. US-Soldaten sollen die Dokumente nach Kriegsende 1945 aus Himmlers Haus am Tegernsee mitgenommen haben. Wann und wie sie dann nach Israel in den Besitz von Chaim Rosenthal kamen, der sie 2007 an den Vater der Regisseurin Vanessa Lapa verkauft haben soll, ist unklar. Heute wird der Nachlass in einem Safe in Tel Aviv vermutet.
Erkenntnisgewinn für die Forschung fraglich
In den Briefen beteuert Himmler seine Liebe zu seiner Frau und erzählt von seinem Alltag - ohne dabei konkret zu werden und von seinen Verbrechen zu berichten. Er stilisiert sich als wilder, böser Kämpfer und überzeugter Antisemit. Die Briefe, Fotos und Haushaltsbücher geben einen Einblick in das Privatleben der Familie Himmler. Aber das sei nicht neu, sagt die Philosophin und Historikerin Bettina Stangneth im Gespräch mit der DW. "Der private Himmler ist kein neu entdecktes Land. Vor zehn Jahren wurden schon Auszüge aus den Tagebüchern seiner Frau veröffentlicht. Niemand hat damals von einem historischen Schatz gesprochen." Grundsätzlich seien Zeugnisse aus dem Privatleben von Nationalsozialisten weder neu noch besonders aufregend, sagt die unabhängige Wissenschaftlerin. Sie hat viel zu Adolf Eichmann geforscht, der ebenfalls Mitglied in Hitlers Führungsriege war. "Vor eineinhalb Jahren sollten zum Beispiel Joseph Goebbels' Liebesbriefe versteigert werden - aber keiner wollte sie haben", sagt Stangneth.
Jan Erik Schulte, Historiker am Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, ist anderer Meinung. Er hält den Fund aufgrund der Menge an privaten Briefen und Aufzeichnungen für "einzigartig". Die privaten Notizen und Briefe seien spannend und durchaus einmalig für einen führenden Nationalsozialisten, sagt er. Die Himmler-Forschung werde um neue Facetten ergänzt, meint der Historiker.
Faszinierende Schlüssellochgeschichten
Ähnlich äußern sich die Experten zur Frage nach der Faszination der Briefe eines Massenmörders. "Das große öffentliche Interesse mag sich auch daher erklären, dass die Briefe und privaten Aufzeichnungen das Gefühl vermitteln, man käme näher an die Person heran", sagt Schulte. Stangneth bezeichnet den Inhalt der Briefe als "Schlüssellochgeschichten". "Details aus dem Privatleben sind einfach begehrt", sagt sie. "Die Lust danach ist so alt wie der Voyeurismus. Vor allem aber ist ein blamabler 'Heini' leichter zu ertragen als ein Reichsführer, der predigt, dass man Massenmörder und dabei anständig sein kann. Triviales tut nicht weh, es ist nur langweilig."
Für die Forschung sind die Briefe neue Quellen. Doch das Material sei, soweit man es bisher sehen könne, unspektakulär, sagt Stangneth. "Forscher werden sicher hier und da Kleinigkeiten finden, Details, die interessant sein können. Aber Himmler muss nicht neu gedeutet werden. Niemand hat je daran gezweifelt, dass er ein Überzeugungstäter war. Die Briefe bestätigen das nur." Schulte vom Hannah-Arendt-Institut hofft, dass nun in der Öffentlichkeit keine Diskrepanz zwischen dem privaten und dem politischen Himmler entsteht, zwischen dem Familienvater und dem Massenmörder. "Beide gehören zusammen. Es gibt nicht zwei Himmler, sondern einen", sagt er.
Film und Buch zu den Himmler-Briefen
Im Februar 2014 sollen die Himmler-Briefe im Piper Verlag veröffentlicht werden, herausgegeben von dem Historiker Michael Wildt und der Großnichte des SS-Chefs, Katrin Himmler. Außerdem wird die Regisseurin Vanessa Lapa auf der Berlinale ihren Film "Der Anständige" vorstellen, der auf den Himmler-Briefen basiert. Dass das Material Grundlage für einen guten Film sein könne, sei nicht zu bestreiten, betont Stangneth. "Quellen wie diese erlauben einem Künstler neue Perspektiven, Kontraste, die wir brauchen, um zu verstehen", sagt sie. "Aber ob sich die Regisseurin damit einen Gefallen tut, wenn mit einem derartigen Getöse für ihren Film geworben wird, der ja auch von der 'Welt' mitfinanziert wurde, das weiß ich nicht." Ihr fehle die unparteiliche Stimme im Chor.