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Tausende Migranten in Bosnien in Lebensgefahr

29. Dezember 2020

Die Hilfsorganisation Care schlägt Alarm: Die früheren Bewohner des bosnischen Flüchtlingscamps Lipa befinden sich demnach in einer lebensbedrohlichen Lage.

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Bosnien Herzegowina | Flüchtlingskamp Lipa bei Bihac | Flüchtlinge
Migranten harren in den Überresten des Camps Lipa bei Bihac ausBild: Dragan Maksimovic

Die Schließung des Lagers im Nordwesten Bosniens einen Tag vor Weihnachten sei "unmenschlich" gewesen, sagte die Care-Regionaldirektorin für den Balkan, Sumka Bucan, in Bonn. In der Folge seien 1300 Menschen ohne Heizung und Dach über dem Kopf. Sie und weitere 2000 Migranten, die ohnehin im Freien lebten, seien seitdem schutzlos dem starken Schneefall und der Kälte ausgesetzt.

Einige Menschen seien mit Sandalen im Schnee zurückgelassen worden, kritisierte Bucan. Das Camp Lipa sei "keine perfekte Unterkunft" gewesen, habe jedoch wenigstens minimalen Schutz vor Wind, Regen und Schnee geboten. Die steigende Zahl von Migranten stelle für Bosnien zwar eine große Herausforderung dar, das dürfe aber nicht dazu führen, "dass Menschen, die Hilfe suchen, nicht erlaubt wird, vor eisiger Kälte Schutz zu suchen", mahnte die Helferin. Die lokalen und die europäischen Behörden müssten den gestrandeten Menschen angemessenen Schutz bieten. "Care fordert bedingungslose, lebensrettende Hilfe", so Bucan.

Bosnien Herzegowina | Flüchtlingskamp Lipa bei Bihac | Flüchtlinge
Die Migranten stehen bei örtlichen Helfern für eine warme Mahlzeit anBild: Dragan Maksimovic

Reporter berichten, dass die Migranten sich in Decken und Schlafsäcke hüllten, um sich vor der beißenden Kälte zu schützen. Auf Videos ist zu sehen, wie sich die Obdachlosen an offenen Feuerstellen wärmen. Einige Migranten tragen Schutzschilde vor dem Gesicht, um dem Coronavirus zu entgehen. Ein pakistanischer Migrant mit dem Vornamen Kasim sagte: "Wir leben wir Tiere. Sogar Tiere leben besser als wir. Wenn keine Hilfe kommt, werden wir sterben."

Nur noch eine warme Mahlzeit

Nach ARD-Informationen verteilen nur noch das bosnische Rote Kreuz und einige Helfer Decken und eine warme Mahlzeit pro Tag. Aus Kreisen von Hilfsorganisationen heißt es, die Menschen sollten mit Bussen in andere Lager gebracht werden - wohin ist aber unklar, drei andere Lager in der Region sind überfüllt.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hatte das Aufnahmelager Lipa am 24. Dezember geschlossen. Rund 1300 Flüchtlinge würden nun auf der Straße stehen, sagte Natasa Omerovic, die Koordinatorin des Lagers, dem Nachrichtenportal klix.ba. Die IOM hatte die Schließung des Lagers bereits früher angekündigt, weil es dort trotz einsetzenden Winters keinen Anschluss an das Stromnetz und die Wasserversorgung gibt. Zum "Abschied" setzten einige der obdachlos gewordenen Bewohner Zelte und Container in Brand.

Weder Wasser noch Elektrizität

Zu dem Zeitpunkt sei das Lager bereits fast leer gewesen, schrieb Peter Van der Auweraert, der Chef der IOM-Mission für Bosnien. Es sei niemand verletzt worden. Feuerwehren konnten den Brand löschen. Das Lager Lipa liegt in einem unwirtlichen Gelände 25 Kilometer südöstlich von Bihac. Es war im September errichtet worden, nachdem die bosnischen Behörden die Schließung des Lagers Bira am Stadtrand von Bihac erreicht hatten.

Die Flüchtlinge und Migranten sollten durch diese Maßnahme aus dem Stadtbild der 60.000-Einwohner-Stadt verschwinden. Ihr Versprechen, Lipa an Strom und Wasser anzuschließen, lösten die Behörden aber nicht ein. Dafür gebe es überwiegend "politische Gründe", sagte der IOM-Vertreter. Die Lage der bisherigen Bewohner des Camps bezeichnete Auweraert als "Albtraum-Szenario". Diese Menschen sollten "ebenso wie der Rest Europas" über die Feiertage warm untergebracht sein.

 Bosnien und Herzegowina I Schliessung des Migrantenlagers Lipa in Bihac
Kurz nach der Schließung des Lagers brach Feuer ausBild: Dragan Maksimovic/DW

Flüchtlingshelfer kritisierten die menschenunwürdigen Zustände in dem Lager. Die österreichische Organisation SOS Balkanroute bezeichnete es als das "Moria vor unserer Haustür", in Anspielung auf das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos, das im September abbrannte. Der bosnische Kanton Una Sana liegt direkt an der Grenze zu Kroatien und damit zur Europäischen Union.

Die Region hat eine große Anziehungskraft auf Flüchtlinge und Migranten. Durch Bosnien verläuft ein Zweig der sogenannten Balkanroute, über die Flüchtlinge und Migranten aus der Türkei nach Westeuropa zu gelangen versuchen. Die Europäische Union hatte die Lage der Flüchtlinge in Bosnien jüngst als "alarmierend" bezeichnet. Die EU hat dem Balkanstaat seit 2018 insgesamt rund 85,5 Millionen Euro an Hilfen zur Bewältigung der Flüchtlingslage gezahlt.

kle/sti (kna, dpa, afp, ape, rtre)