Herr Kim, ein nordkoreanischer Zwangsarbeiter
29. Oktober 2015Zwei Jahre hielt er es aus, dann ging es nicht mehr. Herr Kim (wie er für diesen Artikel genannt werden möchte) konnte die Schinderei nicht mehr ertragen, beschloss zu fliehen aus Tyndra. Dort, ganz im Osten Russlands, war er eingesetzt, schuftete in einem forstwirtschaftlichen Betrieb. Bis zu 20 Stunden pro Tag. Kaum etwas zu essen, keine Ruhepausen, das Ganze für einen Hungerlohn. Nur einen Tag pro Jahr habe er frei gehabt, sagt er gegenüber der DW.
Kim ist kein Einzelfall. Mehr als 50.000 nordkoreanische Zwangsarbeiter hat die nordkoreanische Führung nach Angaben der Vereinten Nationen ins Ausland geschickt, um dort zu arbeiten. Diese Zahl präsentierte der UN-Sonderberichterstatter für Nordkorea, Marzuki Darusman, nun in New York. Die Menschen müssten sich unter anderem in verschiedenen asiatischen Staaten verdingen: zum Beispiel in Malaysia, Myanmar oder Kambodscha. Auch nach Afrika und auf die arabische Halbinsel werden sie laut den Vereinten Nationen geschickt, nach Angola, Äthiopien, Nigeria oder in die Vereinigten Arabischen Emirate. Oder nach Katar, wo sie auf Großbaustellen unter sengender Sonne helfen, die Stadien für die Fußball-WM 2022 fertigzustellen. Die meisten allerdings werden in China - oder wie Kim - in Russland eingesetzt.
Milliarden für Pjöngjang
Gebraucht werden die Nordkoreaner bevorzugt auf dem Bau, im Bergbau und in der Holz- oder Textilindustrie. Ihre Arbeitsverträge werden von Pjöngjang ausgehandelt, über die Details sind die Betroffenen oft nicht informiert. Und Geld für ihre harte Arbeit sehen sie fast keins. Im Durchschnitt gibt es zwischen 110 und 135 Euro Lohn, der Großteil davon fließt direkt in die Staatskasse der nordkoreanischen Führung. Firmen, die Nordkoreaner beschäftigten, würden sich zu "Komplizen in einem inakzeptablem System der Zwangsarbeit" machen, meint Darusman.
Diesem System ist Kim entflohen. Über 13 Jahre ist das her. Aber auf der Flucht ist er noch immer, kann seine Vergangenheit bis heute nicht abschütteln. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen, er hat Angst um seine in Nordkorea lebenden Angehörigen. Denn dort gilt das Prinzip der Sippenhaft, die Familie könnte für seine Verzweiflungstat mit bestraft werden.
Geplatzte Träume
Tagein, tagaus sortierte Kim Baumstämme für den Export. "Wir mussten bei Temperaturen von bis zu minus 60 Grad Celsius arbeiten. Es war körperlich und seelisch extrem hart ", erzählt er der Deutschen Welle. Urlaub gab es nicht, nur am Neujahrstag hatten die Arbeiter frei. "Mehr als 2000 nordkoreanische Gastarbeiter gab es insgesamt in dem Betrieb. In meiner Einheit waren wir zu sechst."
Zu sechst arbeiteten sie nicht nur, sondern hausten auch zusammen in einem Schlafcontainer. Ohne Heizung und fließendes Wasser. Das Gelände verlassen durften sie nicht. Körperliche Gewalt habe er nicht erfahren, sagt Kim. Aber er fühlte sich von seiner eigenen Regierung betrogen. Denn als er nach Russland ging, hatte er ganz andere Erwartungen und Hoffnungen. "Ich habe mich bewusst bei meinem nordkoreanischen Arbeitgeber um eine Stelle im Ausland beworben, weil ich zu Hause einfach zu wenig Geld verdient habe. Davon konnte ich meine Familie nicht ernähren. " Die Aussicht auf 110 Euro im Monat war verlockend. Deshalb sagte er auch gleich zu, als ihm mitgeteilt wurde, dass er ausgewählt war, nach Russland zu gehen. Aber von dem versprochenen Lohn bekam er kaum etwas zu sehen. "Fast 95 Prozent meines Gehalts ging direkt an die nordkoreanische Regierung", sagt er bitter.
Letzter Ausweg Flucht
2002 hält Kim es nicht mehr aus. Er nutzt die erste sich bietende Gelegenheit, um zu fliehen. Während die nordkoreanischen Aufseher des Betriebs eine ihrer regelmäßigen Besprechungen abhalten, gelingt es ihm, sich unbemerkt abzusetzen. "Ich hatte über mehrere Monate einen kleinen Betrag zusammengespart. Davon habe ich mir eine Zugfahrkarte gekauft." Er lässt sich in einer anderen Gegend nieder, wo ihn niemand kennt. In Russland aber bleibt Mr. Kim noch mehr als zehn Jahre, arbeitet auf dem Bau. 2013 entscheidet er sich, nach Südkorea zu gehen. Inzwischen ist er über 50 Jahre alt, sein genaues Alter will er nicht verraten.
Angst um seine eigene Sicherheit hat er nicht, bis jetzt gab es auch noch keine Drohungen gegen ihn. "Die nordkoreanische Führung weiß gar nicht, dass ich geflohen bin. Denn wenn die nordkoreanischen Aufseher mein Verschwinden in Pjöngjang gemeldet hätten, wären sie selbst auch bestraft worden." Deshalb passiere es oft, dass solche Fälle unter den Teppich gekehrt würden. Trotzdem lebt er in ständiger Sorge um seine Angehörigen in Nordkorea. "Sollte eines Tages doch herauskommen, dass ich geflohen bin, könnte das für sie schlimme Folgen haben."
Keine Verbesserung der Menschenrechtslage
Geschichten von Menschen wie Kim, denen es gelungen ist, zu fliehen, sind für Marzuki Darusman wichtige Quellen, wenn es darum geht, dem unvollständigen Bild, das der Rest der Welt von Nordkorea hat, neue Puzzleteile hinzuzufügen. Denn in einem Land, das sich weitgehend abschottet und den Nachrichtenfluss nach außen streng kontrolliert, ist es schwer, überhaupt an Informationen zu kommen, insbesondere, wenn es um das Thema Menschenrechte geht.
Die aktuelle Zwischenbilanz des UN-Sonderberichterstatters fällt ernüchternd aus. Es habe insgesamt keine Verbesserung der Menschenrechtslage in Nordkorea gegeben, so Darusman. Demnach unterhält Pjöngjang nach wie vor seine berüchtigten Internierungslager, außerdem sind Hinrichtungen im Schnellverfahren, willkürliche Verhaftungen und Folter an der Tagesordnung. Die UN-Generalversammlung soll diese Woche über den jährlichen Bericht des Sonderberichterstatters zur Menschenrechtslage im Land beraten. Darusman erneuerte auch seinen Appell an den UN-Sicherheitsrat, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wegen der Lage in Nordkorea anzurufen. Doch im Sicherheitsrat sitzt auch die Vetomacht China. Und es gilt als wahrscheinlich, dass Pjöngjangs großer Nachbar und Verbündeter einen entsprechenden Vorstoß stoppen wird.