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Hilfe für IS-Opfer in Deutschland

Hülya Topcu20. Januar 2016

Jan Ilhan Kizilhan unterstützt ehemalige Gefangene der Terrormiliz IS, die in Deutschland betreut werden. Im DW-Interview spricht der Psychologe über die Gewalt, die diese Frauen und Mädchen erleiden mussten.

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Jesidische Frauen und Mädchen (Foto: Martin Durm)
Bild: Martin Durm

Deutsche Welle: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen hält die Terrormiliz IS im Irak rund 3.500 Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen fest. Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Thema?

Jan Ilhan Kizilhan: Ich habe im letzten Jahr für das Staatsministerium Baden-Württemberg 1400 traumatisierte Frauen untersucht, die in den Händen der IS-Milizen waren. Nach meinen Einschätzungen ist die Zahl noch höher als in dem UN-Bericht.

Sie betreuen das Projekt des Landes Baden-Württemberg zur Unterstützung jesidischer Frauen. Worum geht es da?

Das Projekt ist 2014 entstanden, nachdem der IS weite Teile des Nordiraks besetzt und überwiegend Jesiden, aber auch Christen, Schiiten und Kakais versklavt hat. Damals hat die Landesregierung beschlossen, 1000 traumatisierte Frauen zur Behandlung nach Deutschland zu holen. Meine Aufgabe ist, die Frauen dort vor Ort zu untersuchen und zu empfehlen, welche von ihnen nach Deutschland kommen können. Es handelt sich überwiegend um Jesiden, aber es gibt auch christliche oder schiitische Frauen. Also alle Frauen, die in den Händen des IS waren und traumatisiert sind, sollen nach Baden-Württemberg kommen. Die Zahl wird sich auf 1100 Personen belaufen.

Kommen auch Kinder mit?

Viele der Frauen, die in den Händen des IS waren, haben natürlich Kinder. Deswegen bringen wir in diesem Fall die Kinder mit den Müttern zusammen nach Deutschland.

Sind diese Frauen hier in Sicherheit?

Aus unserer Sicht ja. Sie werden von der Landesregierung auf verschiedene Orte verteilt. Diese Orte werden geheim gehalten, es gibt eine Schweigepflicht der Ärzte und Therapeuten, die sie behandeln, und auch die Einrichtungen werden geheim gehalten. Seit Mai sind etwa 900 Frauen und Kinder in Deutschland, die ihre erste Behandlung und Betreuung haben.

Traumatologe Jan Ilhan Kizilhan mit einem IS Opfer (Foto: Stefanie Järkel/dpa)
Traumatologe Jan Ilhan Kizilhan mit einem Opfer der IS-TerroristenBild: picture-alliance/dpa/S.Järkel

Wie lange dauert die Behandlung?

Sie müssen sich zum Beispiel ein Mädchen von 16 Jahren vorstellen, das zehn- bis zwölfmal verkauft und vergewaltigt worden ist, und nach 12 Monaten fliehen konnte. Es ist natürlich eine sehr schwere, extreme Traumatisierung, eine psychische Erkrankung. Jeden Tag hat sie Albträume und wird von der Angst verfolgt, dass es wieder passiert. Sie hat kein Vertrauen mehr zu den Menschen und braucht eine fachmännische Behandlung. Wir gehen davon aus, dass das zwei bis drei Jahre dauern wird.

Wollen die Frauen hier in Deutschland bleiben oder zurückkehren?

Im Rahmen des Sonderkontingents haben sie automatisch eine Aufenthaltserlaubnis von zwei Jahren. Wenn sie nach zwei Jahren zurück wollen, dann bringen wir sie zurück. Aber wenn sie hier in Deutschland bleiben wollen, dann bekommen sie automatisch eine Aufenthaltsgenehmigung. Nach jetziger Einschätzung müssen wir davon ausgehen, dass die Mehrheit der Frauen in Deutschland bleiben möchte.

Was haben diese Frauen erleiden müssen?

Ein achtjähriges Mädchen, das seiner Mutter entrissen und von einem IS-Kämpfer "verheiratet" wurde, wurde drei-vier Monate lang von ihm vergewaltigt und dann weiterverkauft. Es gibt Berichte über verbrannte junge Frauen und Massenhinrichtungen. Die Frauen haben Erschießungen von Männern, von Kindern, von ihren Söhnen erlebt. Ein vierjähriges Mädchen wurde der Mutter entrissen nur weil sie blaue Augen hatte. Was diese Frauen erlebt haben, ist jenseits unseres alltäglichen Lebens und des gesunden Menschenverstandes.

Sie waren mehrmals im Irak. Wie ist die Lage der jesidischen Frauen und Kinder dort?

Nicht gut. Alle Jesiden mussten aus ihrer Heimat im Sindschar-Gebiet fliehen. Noch bis vor kurzem war diese Gegend in den Händen der IS-Terroristen. Jetzt haben die Alliierten und die kurdischen Einheiten es befreit, es ist aber vollkommen zerstört. Die Menschen können nicht dorthin zurück. Sindschar ist nur 30 - 40 Kilometer von Mossul entfernt. Und jederzeit kann der "Islamische Staat" wieder zurückkommen. Jesiden leben jetzt überwiegend in der Nähe der Stadt Duhok in Flüchtlingscamps, insgesamt rund 400.000 Menschen. In jedem Flüchtlingscamp leben zwischen 18.000 und 20.0000. Der Winter ist nun dort sehr stark und es ist sehr kalt. Die Zelte sind nicht immer gut, auch die medizinische und die allgemeine Nahrungssituation sind im Augenblick schwierig.

Wann geht das Projekt der baden-württembergischen Regierung zu Ende?

Am 26. Januar werden die letzten Gruppen hier eintreffen und damit wird das Projekt offiziell beendet.

Und wie geht es dann weiter?

Wir planen, im Irak - insbesondere im Norden des Landes - kurdische, türkische und arabische Ärzte auszubilden. Wir wollen die Fachkräfte vor Ort haben: Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten. Sie sollen dann dort den Menschen helfen. Deswegen fahre ich diese Woche wieder in den Irak, um die ersten Gespräche zu führen. Ich hoffe, dass wir dort in einem Jahr 60 bis 100 Therapeuten ausbilden werden, damit die Menschen vor Ort behandelt werden können.

Diplom-Psychologe Jan Ilhan Kizilhan ist Leiter des Studiengangs Soziale Arbeit mit psychisch Kranken und Suchtkranken der Fakultät für Sozialwesen an der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen.

Das Gespräch führte Hülya Topcu.