Hilfe für Osteuropäer in der Fleischindustrie
21. März 2017Ein schmerzhafter Unfall schon am dritten Arbeitstag: In einem Zerlegebetrieb in der Nähe von Gütersloh (Nordrhein-Westfalen) schnitt dem Bulgaren eine Säge durch den Schutzhandschuh und verletzte seinen kleinen Finger. Doch niemand rief einen Arzt für den 50-Jährigen. Stattdessen sollte er trotz der Schmerzen einfach weiterarbeiten.
Erst drei Tage nach dem Unfall schaffte er es ins Krankenhaus, wurde operiert und zwei Tage stationär behandelt. Von seinem Arbeitgeber kam keine Hilfe. Im Gegenteil, er vermietete bereits sein Bett in der Arbeiterunterkunft an einen neuen Beschäftigten. So verlor der Bulgare Job und Unterkunft auf einmal. Er war in der Probezeit und kannte nicht einmal den Namen des Subunternehmens, das ihn beschäftigte.
Beratungsstellen für Osteuropäer
Diesen Fall schildert Szabolcs Sepsi von der Beratungsstelle "Faire Mobilität" in Dortmund, der den bulgarischen Arbeiter betreut hat. "Es ist uns nicht gelungen, seinen Vertrag zu verlängern, aber wir konnten alle Unstimmigkeiten klären und zumindest das Krankengeld sichern", sagt Sepsi. "Solche Fälle gibt es viele", fügt er hinzu. Manche enden vor Gericht. Meistens gehe es um die Auszahlung ausstehender Löhne. Auch hier helfen Beratungsstellen wie "Faire Mobilität" Arbeitnehmern aus den östlichen EU-Staaten.
Nach wie vor stammen die meisten Beschäftigten in der deutschen Fleischindustrie aus Osteuropa. Seit 2016 hat "Faire Mobilität" zusätzlich diesen Schwerpunkt. In Dortmund, Kiel, Oldenburg und Rheda-Wiedenbrück beraten sechs Mitarbeiter auf Polnisch, Rumänisch, Bulgarisch und Ungarisch. Viele osteuropäische Arbeiter suchten hier Rat, denn gerade in der Fleischindustrie gebe es immer noch Probleme, erklärt Szabolcs Sepsi: "Die ganze Produktion, von der Schlachtung bis zu den Fleischerzeugnissen, ist in den Händen von fremden Subunternehmen. Für deren Beschäftigte sind deutsche Betriebe nicht verantwortlich."
Guter Wille der Konzerne
Seit 2014 gilt zwar auch in dieser Branche der Mindestlohn (derzeit 8,75 Euro). Doch Arbeitgeber würden oft versuchen, ihn zu umgehen, beklagt Sepsi: Zum Beispiel durch "eine falsche Arbeitszeitberechnung, Gebühren für Messerschärfung, Arbeitskleidung oder Strafen für angeblich schlechte Ergebnisse". Am Monatsende könnten dem Arbeitnehmer dadurch sogar 200 Euro fehlen - im Vergleich zum Lohn, der ihm eigentlich zugesichert wurde.
Eine Verbesserung sollte im September 2015 die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen für attraktivere Arbeitsbedingungen bringen. 18 Konzerne aus der Fleischindustrie, darunter Tönnies, Westfleisch, Danish Crown, Vion und PHW, verpflichteten sich unter anderem, die Leiharbeit zu reduzieren und den Anteil der Stammbelegschaften zu erhöhen. Die Arbeiter sollten nach deutschem Recht beschäftigt werden.
Gewerkschafter: "Die Selbstverpflichtung ist gescheitert"
In den Unternehmen, die diese Selbstverpflichtung unterschrieben haben, wurden tatsächlich alle Leiharbeitnehmer in ein deutsches Arbeitsverhältnis übernommen, sagt Michael Andritzky, Geschäftsführer des Verbands der Ernährungswirtschaft (VdEW). Trotzdem gebe es insgesamt in der Branche wenige positive Veränderungen.
"Firmen, die bisher ihren Sitz in Rumänien, Polen oder Bulgarien hatten, wurden in Deutschland registriert. Mit demselben Personal", sagt Szabolcs Sepsi. Dadurch könnten die Arbeiter immerhin ihre Rechte besser einfordern.
Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Oldenburg, betrachtet die Selbstverpflichtung der Unternehmen aber als "gescheitert": Nur ein Teil der Betriebe habe das Dokument unterzeichnet, und von einer konsequenten Umsetzung könne keine Rede sein: "Nach wie vor wird mit Werkverträgen gearbeitet."
"Das System begünstigt Ausbeutung"
Werkverträge seien das größte Problem der deutschen Fleischwirtschaft, es gebe nur selten Festanstellungen, beklagt der Gewerkschafter: "Dieses System begünstigt Ausbeutung."
Er zählt auf, welche Vorteile Fleischkonzerne dadurch haben: Es gehe um eine EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz), aus der Betriebe sich herausrechnen könnten, wenn ihre Energiekosten 14 Prozent der Bruttowertschöpfung erreichten. Wer Werkverträge einsetze, erhöhe seine Chancen, von der EEG-Umlage befreit zu werden und somit Kosten zu sparen: In die Bruttowertschöpfung eingerechnet würden die Personalkosten. Doch die Löhne der Arbeiter mit Werkverträgen gelten als Sachkosten, nicht als Personalkosten - anders als die von festangestellten Arbeitern.
Das alles führt dazu, dass deutsches Fleisch schon für wenig Geld zu haben ist und auch ausländische Märkte dominiert. Die Branche boomt. 1,9 Millionen Tiere werden in Deutschland täglich geschlachtet. Die zehn größten Konzerne setzten 20 Milliarden Euro um - bei geringen Herstellungskosten, gibt die Gewerkschaft NGG zu bedenken. Nur 1,50 Euro koste die Schlachtung eines Schweines, wenn dafür Subunternehmen engagiert werden: "Wir importieren billige Arbeitskräfte und exportieren billiges Fleisch", fasst die NGG zusammen.