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Gesellschaft

Hinter Gitter für Sexualkunde-Unterricht?

17. Oktober 2019

Die gerade wieder gewählte PiS-Partei will Sexualkunde-Unterricht mit bis zu drei Jahren Haft bestrafen. "Eine kranke Idee", sagen Kritiker des vorbereiteten Gesetzes. Doch was steckt dahinter?

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Polen Warschau | Protest gegen ein Gesetz über Sexualpädagogik
Bild: Getty Images/O. Marques

Polen ist gespalten - auch in dieser Frage. Kritiker sehen in der vorgeschlagenen Gesetzesverschärfung einen Versuch, moderne Sexualkunde zu unterbinden - Befürworter halten das für einen "Schutz der Kinder vor Pädophilie". Laut den Autoren des Gesetzentwurfs werden in polnischen Schulen homosexuelle Neigungen (die sie als eine Gefahr für die Gesundheit der Schüler darstellen), wie Selbstbefriedigung oder allgemeine "sexuelle Sittenlosigkeit" gefördert. Verantwortlich dafür seien diejenigen, die sich im Unterricht mit dem Thema Sexualität befassen. Dieser Unterricht, der im Rahmen des Wahlfachs "Erziehung zum Leben in der Familie" stattfindet, könne auch das Interesse von Jugendlichen an Pornographie steigern und zu häufigerem Sex animieren. Das alles müsse sich ändern.

Und deshalb setzt die neue, alte Regierung, unmittelbar nach den Wahlen das fort, was sie versprochen hatte: Sexualkundeunterricht in polnischen Schulen unter die Lupe zu nehmen und einen Gesetzentwurf zu beraten, dessen Ziel es sei, "Kinder und Jugendliche rechtlich zu schützen vor sexueller Verführung und Demoralisierung". Die erste Lesung fand diese Woche statt, als der Sejm noch einmal in alter Besetzung zusammen kam. Eine Abstimmung darüber ist im neuen Sejm jederzeit möglich.

Hinter dem Gesetzentwurf steht die Bürgerinitiative "Stop der Pädophilie". Genau genommen geht es um die Erweiterung des Artikels 200b des polnischen Strafgesetzbuchs. In dem bereits seit 1997 bestehenden Gesetz ist die "öffentliche Propagierung von Inhalten pädophilen Charakters" bereits strafrechtlich relevant; das Strafmaß reicht von Geldstrafen bis zu zweijähriger Haft. Es gehe hier aber "nur" um Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen und minderjährigen Personen, aber nicht um Sex unter Minderjährigen. "Die Rechtsordnung kommt den voranschreitenden Veränderungen in der Gesellschaft nicht hinterher", argumentieren die Autoren des Gesetzentwurfs.

Laut Änderungsvorschlag soll künftig für bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen, wer öffentlich Geschlechtsverkehr Minderjähriger "propagiert" oder "gut heißt", oder seine berufliche Position in der Kinder- und Jugendarbeit dazu nutzt.

Breites Feld für Interpretationen

Olgierd Pankiewicz,  einer der Initiatoren, sagte während der ersten Lesung des Entwurfs: "Minderjährige zum Sex untereinander zu ermuntern und sie anzuregen, ihre sexuellen Bedürfnisse auszudrücken macht sie zu idealen Opfern pädophiler Verbrecher." Befürwortet wird der Entwurf von der regierenden PiS-Partei. Ihr Abgeordneter Andrzej Matusiewicz argumentiert, dass dieses Projekt einer der wichtigsten verfassungsmäßigen Regeln der polnischen Rechtsordnung mit Leben fülle, nämlich den Schutz des Kindeswohls.

Demo vor dem polnischen Sejm
"Besser in der Schule als in Pornos" - Demonstranten pro Sexualkunde-Unterricht.Bild: DW/J. Diduszko-Kusmierska

Die Opposition interpretiert den Gesetzentwurf ganz anders: Es gehe darum, Sexualkunde in den Schulen zu verbieten und Einfluss zu nehmen auf Lehrer und Therapeuten. Und nicht nur auf sie. Denn der Gesetzentwurf geht weiter. Das Verbot, Sexualverkehr Minderjähriger gut zu heißen betrifft auch andere Berufsgruppen, die mit Kindern zu tun haben, ausdrücklich auch Ärzte, Therapeuten, möglicherweise auch Priester. Dies öffnet ein breites Feld für Interpretationen. Was ist etwa mit Frauenärzten, die Minderjährigen eine Antibaby-Pille verschreiben? Gilt das auch als "Propagieren von Geschlechtsverkehr"?

"Die Idee selbst ist krank, ihre Umsetzung gefährlich und schädlich für alle, aber vor allem für Kinder", meint Joanna Scheuring-Wielgus von der oppositionellen Partei "Teraz" ("Jetzt"). Sie erkenne darin Muster eines totalitären Systems.

"Herbst des Mittelalters"

Am Dienstagabend versammelten sich vor dem Sejm einige hunderte Menschen, um gegen den Gesetzentwurf zu protestieren, als das Gesetzesvorhaben im Parlament erstmals debattiert und schließlich an die Ausschüsse zurück verwiesen wurde. Unter den Demonstranten - auch das polnische Top-Model Anja Rubik. Vor einem Jahr erschien ihr Aufklärungsbuch zu einvernehmlichem Sex, Homosexualität und Verhütung. Rubik engagiert sich seit Jahren für Sexualaufklärung in Polen und betont, dass dieses Thema in ihrem Land ein Tabu sei. "Ich werde nicht aufhören für sexuelle Bildung zu kämpfen. Sexualunterricht ist unentbehrlich für eine gesunde Gesellschaft, um uns vor sexueller Gewalt zu schützen. Diese Dinge betreffen jeden Menschen auf unserem Planeten. Und plötzlich sollten die Polen keinen Zugang zu so wichtigen Informationen haben, die einen enormen Einfluss auf unsere Sicherheit, auf unsere Gesundheit und unsere Beziehungen haben?" Sie sei entsetzt, dass polnische Politiker solche Initiativen überhaupt in Erwägung zögen. "Die ganze Welt blickt auf Polen und fasst sich an den Kopf".

Demo vor dem polnischen Sejm
Am 16. Oktober vor dem Warschauer Sejm. Demonstranten wollen Gesetzentwurf verhindern.Bild: DW/J. Diduszko-Kusmierska

Hände weg von unseren Kindern

Auch in anderen polnischen Städten fanden ähnliche Proteste statt. Redner hoben hervor, dass im Fall einer Annahme des Gesetzentwurfs mit Gefängnisstrafen rechnen muss, wer etwa über den Schutz vor Ansteckungen etwa mit HIV und HPV informiert. Die Gesetzesverschärfung zur "Propagierung" von Sex hatte zuvor auch das Oberste Gericht kritisiert, denn nach polnischem Recht ist Sexualität über 15 Jahren grundsätzlich straffrei. In einer Stellungnahme äußerte sich das Gericht auch zum Gebrauch des Worts "propagieren" - es beziehe sich auf das Erweitern von Wissen und seiner Weitergabe.

"Hände weg von unseren Kindern" skandierten derweil Demonstranten - aber genauso würden auch die Anhänger der Initiative klingen, wenn sie für ihr Vorhaben mobil machen: wegen der angeblichen "Anleitung zum Missbrauch" durch Sexualtherapeuten oder Lehrer. Nichts als das Beste wollen beide Seiten für ihre Kinder - aber was das Beste ist, darüber gibt es wie bei so vielen Themen im derzeitigen Polen konträre, unvereinbare Positionen.