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Musik

Joni Mitchell wird 75

7. November 2018

Mit ihren lyrischen Songs schuf sie in den 1970er Jahren den Soundtrack für romantische Mädchen. Joni Mitchell ist mehr als ein Gitarre spielendes Folk-Vögelchen. Längst ist ihre Stimme um zwei Oktaven tiefer geworden.

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Joni Mitchell
Bild: picture-alliance/Photoshot

Im Lautsprecher rumpelt "This Flight Tonight", gespielt von einer Rockgruppe namens Nazareth. Wer das Original kennt, ein zauberhaftes Lied von Kanadas Folk-Ikone Joni Mitchell, wird den dahingeschrammelten Rocksong schnell ausmachen, sich das Mitchell-Album "Blue" schnappen und der hellen zuckersüßen Stimme mit den geheimnisvollen Liedern lauschen, die Augen verschließen und in der Zauberwelt versinken. In der ganz eigenen Welt einer Sängerin, die nicht nur eine besondere Art hatte, Songs zu schreiben, sondern auch Gitarre zu spielen.

Selfmade-Künstlerin                                                                     

Joni Mitchell 1968, sitzt mit Gitarre vor einer Wand
Ihre Gitarre stimmte sie anders, damit ihr die Griffe leichter fielenBild: Getty Images/Central Press

Joni Mitchell ist in der Tat eine eigenwillige Persönlichkeit. In ihrem Leben probiert sie vieles aus, Musikstile, Männer, Lebensgewohnheiten; sie lässt sich treiben und verarbeitet ihre Erlebnisse in Songs und Bildern.

Am 7. November 1943 als ungeliebte Tochter einer Lehrerin und eines Luftwaffenoffiziers in Kanada geboren, muss Roberta Joan Anderson - so ihr richtiger Name - in ihrer Kindheit viele Ortswechsel durchleben, zieht sich als kleines Mädchen in ihre eigene Welt zurück, malt, liest und erfindet Geschichten. Mit neun Jahren erkrankt sie an Kinderlähmung. Im Krankenhaus tröstet sie sich und andere Kinder mit ihrem Gesang. Sie nimmt kurz Klavierunterricht, hat aber mehr Spaß am Gitarrespielen und bringt sich das Instrument selber bei. Sie entwickelt dabei ihren eigenen Stil, weil sie aufgrund der Kinderlähmung ihre linke Hand nicht mehr richtig bewegen kann.

Später studiert Mitchell an einem Kunst-College, zeichnet, schreibt Texte und musiziert. Während des Studiums wird sie schwanger. Völlig verarmt gibt sie ihr Kind zur Adoption frei. Erst viele Jahre später werden sich Mutter und Tochter wiedersehen.

Die Karriere beginnt

Und dann wird sie von dem damals schon berühmten David Crosby entdeckt. Der produziert Mitchells Debütalbum "Song To A Seagull": Eine Reise in eine lyrische, verträumte Welt voller Bilder, Geschichten und Erinnerungen. Wenige Monate später das zweite Album "Clouds" mit ihrem ersten Hit "Both Sides Now", der später mehr als 50 Mal gecovert werden wird. Mit der LP kommt sie in die Top 40 der US-Charts, bekommt zum ersten Mal Gold für 500.000 verkaufte Exemplare und gewinnt ihren ersten Grammy. Den größten Teil des Albums hat sie selbst produziert, auch das Artwork des Covers stammt von ihr: ein Selbstporträt. Die Gestaltung ihrer Plattencover lässt sie sich auch später nicht mehr aus der Hand nehmen.

Plattencover Joni Mitchell "Clouds", Selbstbildnis mit roter Lilie
Mitchell bezeichnet sich als "Malerin, die auch Musik macht"Bild: Reprise Records

Woodstock auf dem Sofa

Wie alle großen Stars jeder Zeit soll auch sie 1969 beim legendären Woodstock-Festival auf der Bühne stehen. Das klappt nicht, weil Joni das Festivalgelände nicht erreicht. Dafür schreibt sie eine Hymne auf das Festival, die auf ihrem dritten Album "Ladies of the Canyon" erscheint. "Woodstock" wird ein Hit - aber nicht für sie, sondern für ihren Mentor David Crosby, der ihn mit seiner Band "Crosby, Stills, Nash & Young" vergoldet.

Mit ihrer vierten Platte "Court And Spark" und einer ausverkauften US-Tour wird sie ein Superstar, die "First Lady of Folk" - mit Allüren und haufenweise Männergeschichten. Leonard Cohen, Jackson Browne, James Taylor sind nur einige der illustren Namen auf der Liste von Joni Mitchells abgelegten Lovern. Ganz die Diva, spricht sie nicht mit "Normalsterblichen" - die könnten ja ihre Aura verletzen - hat Sonderwünsche und lässt, wo es geht, die Zicke raushängen.

Roger McGuinn, Joni Mitchell, Richie Havens, Joan Baez, Bob Dylan
Mitchell (2.v.l.) mit Roger McGuinn, Richie Havens, Joan Baez und Bob Dylan 1975Bild: picture-alliance/AP Photo

Vom Folk zum Jazz zum Rock zum Pop

Sie arbeitet wie ein Tier, singt, schreibt, tourt und bringt eine Platte nach der anderen heraus. Auf "Blue" (1971) sind die persönlichsten Songs von ihr zu hören: Da ist sie ganz und gar nicht Zicke, sondern eine verletzliche Frau, die ihr Kind weggegeben hat, deren Beziehungen zerbrechen, die träumt, trauert, aber auch in sich hinein lächelt. Es ist das letzte Album, auf dem sie pure Folksongs singt. Mit den nächsten Platten ändert sich die Musik. Sie wird bandlastiger, durcharrangierter, ihre Stimme wird von Platte zu Platte tiefer. Kein Wunder: Joni Mitchell raucht seit ihrem neunten Lebensjahr. Das 1976er Album "Hejira" produziert sie zusammen mit dem damaligen Bass-Gott Jaco Pastorius. Der Sound seines "Fretless Bass" (E-Bass ohne Bünde) prägt das Album, mit dem Mitchell nun endgültig die Folk-Ecke verlassen hat.

Joni Mitchell bei einem Konzert in den 80ern mit E-Gitarre auf der Bühne
Mitchell bei einem Konzert in den 80ernBild: picture-alliance/jazzarchiv/H. Schiffler

Sie bewegt sich weiter Richtung Jazz, legt 1979 mit "Mingus" einen weiteren Meilenstein vor. Hier hat sie die Musik des Jazzkomponisten Charles Mingus vertont. Ihren Status als Musik-Ikone nimmt sie mit in die 80er. Einer der angesagtesten Produzenten, Thomas Dolby, nimmt mit ihr 1985 "Dog Eat Dog" auf, eine Platte, die nicht viel Erfolg hat - nur bei den eingefleischten Fans.

Die Joni Mitchell von früher ist nun endgültig verschwunden: Ihre früher vier Oktaven umfassende Stimme ist tief und rau geworden, die Musik eiskalt produziert - typisch für die 80er. Sie fühlt sich auch gar nicht richtig wohl mit diesem Sound, wie sie damals dem Rolling Stone im Interview sagt: "Er (Dolby) mag in der Lage sein, es besser zu machen, aber Tatsache ist, dass es dann nicht wirklich meine Musik ist." Diese "Selbstenteignung" setzt sich fort: Auf der nächsten LP "Chalkmark in a Rainstorm" überlässt sie ihren berühmten Gastmusikern fast komplett das Feld: Peter Gabriel, Don Henley, Wendy & Lisa, Billy Idol.

Eine merkwürdige Krankheit

Joni Mitchell mit zwei Grammys
Gleich zwei Grammys gab es 1995 für "Turbulent Indigo"Bild: AFP/Getty Images/J. Haynes

Sie hört auf, jedes Jahr eine Platte zu veröffentlichen und zieht sich in die Malerei zurück. 2000 nimmt sie ihren Song "Both Sides Now" noch einmal auf. Aus dem einstigen Folksong ist eine rauchige Jazzballade geworden, Mitchell bekommt für das gleichnamige Album ihren mittlerweile fünften Grammy. Insgesamt gewinnt sie acht Grammys, darunter einen Ehren-Grammy für ihr Lebenswerk. Sie wird in die "Rock'n'Roll Hall of Fame" aufgenommen. 2007 veröffentlicht sie ihr bisher letztes Album "Shine".

Seit einigen Jahren leidet sie an einer seltenen Hautkrankheit: "Morgellons", von Wissenschaftlern als Dermatozoenwahn bezeichnet. Bei dieser Krankheit haben Betroffene das Gefühl, ihnen würden bunte Fasern aus der Haut wachsen. "Wie Pilze nach einem Regenguss", sagt Joni Mitchell der New York Times in einem Interview. Anfang April 2015 wird sie bewusstlos in ihrer Wohnung gefunden. Nach ein paar Tagen auf der Intensivstation kommt sie wieder nach Hause.

Joni Mitchell sitzend mit Hochsteckfrisur, Foto von 2013
Bei ihrer Geburtstagsfeier wird Joni Mitchell ihren jüngeren Kollegen zuhörenBild: picture-alliance/AP Images

Als sie im April 2017 zur Feier von Elton Johns 70. Geburtstag erscheint, läuft die Boulevardpresse heiß. Mitchell hat extrem zugenommen und sitzt im Rollstuhl. Vorangegangen war ein schweres Hirnaneurysma, das Mitchel dazu gezwungen hat, das Sprechen und das Laufen neu zu erlernen.

Jetzt wird die Folk-Ikone 75 Jahre alt. Zu ihren Ehren wird es in Los Angeles ein zweitägiges Konzert geben: Am 6. und 7. November treten beim Konzert "Joni 75: A Birthday Celebration Live" Stars wie Rufus Wainwright, Chaka Khan, Norah Jones, Emilou Harris, Seal und Kris Kristofferson auf. Natürlich singen sie Mitchell-Songs. Und Joni selber sitzt im Publikum.

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online