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Historische Wiederaufbereitung

Michael Maldacker30. März 2004

Jahrestage fördern das kollektive Gedenken - aber nur wenn die Medien mitziehen. Sonst versanden Erinnerungen, wie die an den 25. Jahrestag der größten atomaren Katastrophe der Vereinigten Staaten.

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Middletown in Pennsylvania am 28. März 1979: Um vier Uhr früh passiert das Unglaubliche. Weil ein Techniker versehentlich das Kühlsystem des Kernreaktors abschaltet, überhitzt der Reaktor, es tritt Strahlung aus, die laut Regierungsangaben mehr als 630.000 Menschen radioaktiv verseucht. Der Name des Reaktors, Three Mile Island, wurde in den USA seither zum Synonym für eine bis dahin unterschätzte Gefahr im Umgang mit der Atomenergie. In Deutschland ist die Katastrophe unter einem anderen Synonym bekannt geworden: Harrisburg. Die Hauptstadt des Staates Pennsylvania liegt unweit des Katastrophenreaktors.

Gespaltene Reaktionen

Rund um den 28. März 2004 interessiert das Thema die politischen Redaktionen der überregionalen Tageszeitungen offensichtlich nicht. Ein anderes Bild beim Fernsehen: Die Nachrichtensender überschlagen sich zwar nicht das Ereignis erneut zu thematisieren, es wird aber auch nicht ignoriert. Sowohl CNN als auch Fox News senden Beiträge zum Jahrestag.

Offensichtlich gespalten stehen die Journalisten dem Thema Kernenergie gegenüber. Sie spiegeln damit die Haltung der Bevölkerung wider. In den USA schwindet seit einigen Jahren die Ansicht, dass es sich bei der Kernenergie um eine Technologie der unkontrollierbaren Risiken handeln könnte. Besonders seit dem vergangenen Sommer, als Stromausfälle den gesamten Nordosten des Landes über mehrere Tage lahm legten, wird Energieerzeugung als Mittel zum Zweck angesehen. Der Wunsch, Strom immer und überall zur Verfügung zu haben, lässt die Frage nach Gefahren und Risiken der Erzeugung in den Hintergrund treten.

Die Stromausfälle waren Wasser auf die Mühlen der Atomlobby. Zwar waren die

Engpässe nicht auf eine zu geringe Strommenge, sondern auf schwache Leitungen zurückzuführen, die Atomindustrie verstand es aber, der Bevölkerung einen Zusammenhang einzureden. Dadurch verunsichert, sehen die US-Bürger im Atomstrom wieder eine Zukunft. Die öffentliche Meinung hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt: Wurde seit dem Harrisburg-Desaster kein Atomreaktor mehr fertig gestellt, so sprechen sich heute 70 Prozent der US-Bürger für den Bau neuer Reaktoren aus. In den 103 in den USA betriebenen Kernkraftwerken wird schon heute mehr als ein Viertel des weltweit erzeugten Atomstroms produziert.

Kollektive Gedächtnis-Schmelze

In Zeiten der Atom-Renaissance verzichtet man auch auf offizieller Seite auf ein Zeichen der Mahnung. Middletowns Stadtverwaltung, der Staat Pennsylvania und das Weiße Haus meiden die Erinnerung an diese schwarze Stunde der Vergangenheit. Dem gegenüber steht die Gruppe von Kernkraftgegnern, die seit 1979 jedes Jahr nach Three Mile Island zieht, um gegen das öffentliche Vergessen zu demonstrieren. Doch auch hart gesottene Widerständler sind offenbar in die Defensive gegangen. Weniger Menschen als in den Jahren zuvor fanden sich an diesem Jahrestag am Reaktor ein.

Ein Beispiel dafür, wie unbekümmert die Haltung gegenüber Atomkraft in den USA geworden ist, zeigt sich in der Gemeinde Snelling in South Carolina. Just am Harrisburg-Jahrestag nutzt die Stadt die öffentliche Aufmerksamkeit, um sich als Atom-Müllkippe der Nation anzudienen. Seit mehr als 30 Jahren befindet sich in Snelling das bundesweit einzige Endlager für atomare Hinterlassenschaften. Da die Gemeinde finanziell aber derart ruiniert ist, geht man hier nicht gegen, sondern für die Atomkraft auf die Straße. Die tödlichen Risiken ausblendend, buhlt Snellings Bürgermeister um Atomimporte aus den Kraftwerken des Landes. Unerschüttert lässt er sich mit den Worten zitieren: "Wir sind der Meinung, dass das Wort 'nuklear' eine gute Sache bezeichnet, und wir sind glücklich das Zeug hier zu haben."