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Hochleistungsanalyse - nicht nur für Profisportler

25. März 2024

Fußballstars und ihre Bewegungen werden bis ins Kleinste vermessen, um mögliche Verletzungsursachen zu finden. Was früher nur im Hochleistungssport üblich war, kann heute vielen helfen, deren Knie oder Rücken zwickt.

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Ein Sportler springt auf eine Kraftmessplatte im Labor bei der Biomechanischen Analyse im Ortho Sports Lab in Pulheim bei Köln.
Sprünge für die Analyse: Sportwissenschaftler Dewitz (r.) sammelt DatenBild: Jens Krepela/DW

Sport im Labor ist für den jungen Nachwuchsbasketballer heute angesagt. Auf Kommando springt er mit einem Bein auf eine im Boden eingelassene Kraftmessplatte. "Einen brauche ich noch", ruft Dr. Hauke Dewitz ihm zu. Also nochmal das gleiche Prozedere: Beklebt mit reflektierenden Kügelchen, sogenannten Markern, und Elektroden, die die Muskelaktivität messen, springt der 16-Jährige erneut. Schmerzen im rechten Knie, die ihn seit Monaten plagen, haben ihn in die Praxis geführt. In Abstimmung mit dem behandelnden Sportorthopäden folgt nun die Analyse.

Anhand der Daten sucht Sportwissenschaftler Dewitz nach Ursachen für die Entzündung der Kniescheibensehne. Knickt beispielsweise das Knie kaum merklich zur Seite? Bremst die Muskulatur den Körper sauber ab? Welche Kräfte lasten auf den Gelenken? Solche Anhaltspunkte kann die biomechanische Analyse zutage fördern. Mehr als zwei Stunden lang muss der Patient dafür sein Bewegungsrepertoire abrufen: Laufen, springen, Richtungswechsel vollziehen und Kniebeugen absolvieren. Außerdem muss er sein Balancegefühl und seine Kraftfähigkeit unter Beweis stellen.

Sportstars mit Jedermann-Problemen

Namhafte Profisportler haben sich schon in der Praxis nahe Köln durchchecken lassen. Für solche Profis und ihre Klubs ist die Gesundheit ein Millionenspiel - alle Möglichkeiten werden ausgeschöpft. "Wobei bisher kaum eine Sportlerin oder ein Sportler präventiv zu uns kommt", erklärt Dewitz. Seiner Ansicht nach könnte das manche Probleme und Verletzungen verhindern. "Die meisten kommen nach einer OP oder mit Verletzungen, die immer wieder auftreten, zum Beispiel Faserrissen an einem bestimmten Oberschenkelmuskel."

Sein Fazit aus jahrelanger Erfahrung: Hochleistungssportler plagen meist keine exotischen Wehwehchen, sondern sie haben die gleichen Probleme wie jedermann: schmerzende Sehnen, Muskeln oder Gelenke, die die Belastung nicht vertragen. "Man meint immer, Topathleten sind so austrainiert, dass man in der Analyse kaum Schwächen findet", berichtet Dewitz. Gerade in den Spielsportarten Fußball oder Basketball fehle es jedoch manchmal an Grundlegendem. Beispielsweise der Kraft in entscheidenden Muskelgruppen, was zur Folge habe, dass die Gelenke die Last abbekämen, so Dewitz. "Darüber bin ich immer wieder erstaunt."

KI kann Analyse weiter vereinfachen

Eine Heilung bringt die Bewegungsanalyse an sich nicht. "Sie ist aber eine wertvolle Entscheidungshilfe", erklärt Professorin Maren Witt, Leiterin des biomechanischen Labors der Universität Leipzig, im Gespräch mit der DW. Die Ergebnisse lieferten Ärzten, Physiotherapeuten und Patienten Hinweise darauf, woher die Schmerzen kämen und wie sie zu beheben seien. "Dabei erleben wir gerade, wie diese Technik, die vor wenigen Jahren noch Hochleistungssportlern vorbehalten war, für viele Menschen zugänglich wird", sagt Witt. Nahmen einzelne Analysen früher Tage in Anspruch, gehe das heute in wenigen Stunden.

Porträtaufnahme von Prof. Maren Witt von der Uni Leipzig
Prof. Maren Witt: "Erleben die Entwicklung zur Massentauglichkeit" Bild: Swen Reichhold/Universität Leipzig/SUK

"Künftig wird Künstliche Intelligenz auch das Ankleben der Marker-Punkte überflüssig machen", blickt die Wissenschaftlerin voraus. Neben der Zeitersparnis könne das Menschen helfen, die sich wegen Knie-, Hüft- oder Rückenproblemen zur Analyse begeben, aber einen Horror davor haben, sich in Badebekleidung zu zeigen.

Hauke Dewitz verspricht sich von den nächsten Jahren, Sportler auch im normalen Trainingsumfeld, also auf dem Fußballrasen oder dem Hallenboden, ebenso gut wie jetzt im Labor vermessen zu können. "Das wäre noch mal individueller und damit auch sportartspezifischer", erklärt Dewitz.

Hausaufgaben für den Patienten

Nach zwei Stunden Analyse kann er dem Nachwuchsbasketballer zeigen, dass es tatsächlich einiges zu verbessern gibt. Während der Zwei-Meter-Mann auf dem linken Bein sauber landet, gelingt es ihm rechts nicht so gut. Das Bein rotiert leicht, die Kraftwerte zeigen hohe Belastungsspitzen - Faktoren, die für die entzündete Kniescheiben-Sehne Stress bedeuten. Mit speziellem Training soll er die Probleme angehen. Dazu zählen einfaches Krafttraining für die Oberschenkel und das Gesäß, aber auch feinere Technikübungen fürs Laufen und Landen.

Wie wirksam und alltagstauglich kann solches Training sein? "Im Hochleistungssport gehen wir davon aus, dass es funktioniert", antwortet Maren Witt, "auch wenn es wissenschaftlich nur schwierig allein auf die Bewegungsanalyse zurückzuführen ist, weil eben für Gesundheit und sportliche Leistung viele Faktoren eine Rolle spielen." 

Hauke Dewitz erzählt an dieser Stelle die Geschichte einer Nationalspielerin, deren Oberschenkelrückseite sie über Jahre plagte. Ein Problem, für das auch ein Ärzte-Marathon keine Lösung brachte. In der Analyse wurde der simple Grund offenbar: Ein Muskel kompensierte die Schwäche eines anderen und war deswegen überlastet. Mit gezieltem Training lösten sich die Probleme in Luft auf. "Das kann jeder Physiotherapeut oder auch Sportwissenschaftler leisten", sagt Dewitz. "Dafür brauche ich keinen millionenschweren Fußballklub im Rücken."

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Jens Krepela Redakteur, Reporter, Autor