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Mehr Raum den Flüssen

Hannah Fuchs30. Mai 2015

Der nationale Hochwasserschutz kommt ins Rollen. 300 Millionen Euro möchte der Bund in den nächsten Jahren beisteuern. Damit sollen vor allem Polder angelegt werden. Gut gegen Hochwasser - aber gut für die Natur?

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Dresden UNESCO Weltkulturerbe Status-Verlust wegen Brückenbau (Foto: dpa).
Bild: picture-alliance/ZB

Große Flüsse verdienen großen Schutz: So der neue Plan des Bundes. Mit rund 300 Millionen Euro möchte der die Länder beim Hochwasserschutz unterstützen. An Rhein, Donau, Elbe, Oder und Weser sollen in den kommenden Jahren rund 85 Projekte umgesetzt werden, wie Umweltministerin Barbara Hendricks bei einer Pressekonferenz am Dienstag, 28. April 2015, mitteilte. Im Vordergrund stehen dabei Deichrückverlegungen und die Schaffung neuer Überflutungsflächen, sogenannter Polder. Diese können im Notfall gezielt überflutet werden.

Wir haben die Flüsse eingeengt

"In den letzten Jahrhunderten haben wir viele Sünden begangen, insbesondere auch noch in den letzten 25 Jahren", erinnert sich Franz Sänger, pensionierter Experte im Hochwasserschutz. Er ist Diplomingenieur für Wasserbau, promovierte an der Bauhaus-Universität Weimar und führte ein Ingenieurbüro. Heute gibt er noch Gastvorlesungen. Der Hochwasserschutz ist noch immer sein Hobby.

"Wir haben in Gebiete hinein gebaut, in denen es eigentlich verboten war. In ausgewiesene Überflutungsgebiete", sagt er heute. Man dachte, man könne das mithilfe bautechnischer Maßnahmen beherrschen, aber die Flüsse wurden viel zu sehr eingeengt. "In den Städten sind mobile Hochwasserschutzsysteme - oft auch in Kombination stationären Anlagen - deshalb unabkömmlich", sagt er. Nur so könne man die Flut abwenden und Gebäude oder historische Stadtkerne schützen. "Aber das wirkt sich im Umland dann oft negativ aus, weil das Wasser kurzfristig eingestaut wurde." Dieses Problem ließe sich nur lösen, indem man den Flüssen wieder mehr Platz gibt und Hochwässern besser vorbeugt, so Sänger.

Er plädiert für einen Mix an Maßnahmen: "Wir müssen unsere kleinen Vorfluter [Anm. der Red.: natürlicher oder künstlicher Wasserlauf, der der Abführung von sog. Oberflächenwasser in Folge von Niederschlägen dient] besser pflegen, in der Landwirtschaft von Monokulturen wegkommen, die das Versickern des Niederschlags beeinträchtigen, und davon ablassen, die Landschaft durch extrem großflächige Industriebauten zu versiegeln, die auf zu geringe Bodenpreise zurückzuführen sind", fordert er.

Auch Julia Mussbach vom Naturschutzbund (NABU) in Berlin betont, dass es beim Hochwasserschutz mehr um als das fließende Gewässer ginge, sondern, dass zu jedem Fluss auch die Aue - die natürliche Überflutungsfläche - gehöre. "Und diese grundsätzliche Verbindung müssen wir wieder herstellen."

Deichlandschaft an der Elbe (Foto: picture alliance).
Ein Deich bietet Flora und Fauna keine natürlichen AuenbedingungenBild: picture-alliance/ZB

Keine leichte Aufgabe: Denn nach dem Auenzustandsbericht sind gerade mal noch 10 bis 20 Prozent der ursprünglichen Auenlandschaften vorhanden. Der Rest musste weichen: Entweder aufgrund von Wohnsiedlungen und Industrieanlagen, oder die Feuchtgebiete wurden vom Fluss getrennt, um sie für die Landwirtschaft trockenzulegen.

Den Flüssen wieder mehr Raum geben - das ist nun auch der Plan des Nationalen Hochwasserschutzprogramms. Wie das alles genau in Zukunft umgesetzt wird -da gebe es viele Möglichkeiten, sagt Mussbach.

Synergien nutzen

Die Idealvorstellung: Hochwasserschutz und Umweltschutz zu vereinen. Das betont auch Bernd Neukirchen vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) immer wieder.

"Deichrückverlegungen sind hinsichtlich des Naturschutzes eine sehr gute Lösung", sagt er. Denn dann würde sich auch die Tier- und Pflanzenwelt wieder darauf einstellen. Es würden Arten zurückkehren, die sich in den natürlichen Auen wohlfühlen. "Und die natürlichen Leistungen von naturnahen Auen sind ebenfalls ein wichtiger Punkt, denn die regulieren den Nährstoffhaushalt des Wassers", so Neukirchen.

Protestschild in Schwanau: "Nein zu diesem Polder" (Foto: dpa).
Protestschild in Schwanau: Hier wollte man Landschaft, Pflanzen und Tiere den gezielten Flutungen nicht aussetzenBild: picture-alliance/dpa/Patrick Seeger

Bei Deichrückverlegungen kann das Wasser so fließen wie es möchte, Polder hingegen sind abgeschlossene Bereiche. "Das kann man sich wie einen Swimmingpool vorstellen", sagt Julia Mussbach vom NABU. Im Hochwasserfall werde der gezielt geflutet, oder er ist so angelegt, dass ab einem bestimmten Pegelstand das Wasser überschwappt.

Diese Methode wird von Umweltschützern kritisch gesehen. "Es gibt zwar eine ökologische Polder-Variante, die ist im Moment aber leider noch nicht so gängig", sagt Mussbach. Denn bei der kommt es nicht nur im Ernstfall - also bei Hochwasser - zur Flutung, sondern es wird in regelmäßigen Abständen Wasser eingelassen. Das ist wichtig für die Flora und Fauna die sich dort ansiedelt. Denn in normalen Poldern sind die Arten es nicht mehr gewohnt, mit Überflutungen zurechtzukommen, so Neukirchen. Da leben dann ganz andere Tiere oder Pflanzen, die mit dem vielen Wasser nicht umgehen können.

Eine weitere Möglichkeit, Polder aufzuwerten sei es, Rettungshügel anzulegen, schlägt Julia Mussbach vor. "Auf die können sich die Tiere dann retten, wenn sie plötzlich nicht mehr wissen wohin. Oder man kann Ersatzbiotope hinter den Poldern schaffen, in die die Tiere flüchten können."

Deichrückverlegung oder Polder?

Welche Maßnahme nun ergriffen werde, sei von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. "Da gibt es kein Patentrezept", sagt Hochwasserschutz-Experte Sänger. "Die Flächen gehören ja in der Regel jemandem - Privatpersonen, Gesellschaften, Landwirten - und die wollen sich die Umgestaltung natürlich honorieren lassen." So könne es sein, dass zum Beispiel die Deichrückverlegung und die Renaturierung der Auen aus ökologischer Sicht die bessere Lösung wäre, ein Landwirt sich aber nur auf einen Polder einlässt, bei dem es ungewiss ist, ob es überhaupt einmal zur Flutung kommt, so erklärt Mussbach die Problematik. "Oder die Entscheidung wird aus reinen Kostengründen getroffen - leider." Und zu diesen wirtschaftlichen Faktoren kommen auch noch die Art und Größe des Flusses, seine Fließgeschwindigkeit, das Gebiet drum herum.

In Städten hingegen stelle sich überhaupt nicht die Frage, so Sänger. "Hier ist gar nicht genug Platz, den Fluss auszubauen." Hier müssen geschickt gestaltete Ufermauern und mobile Systeme ausreichen. Aber mit diesen Methoden gingen auch die Deichrückverlegungen und Polder einher. Denn - wie er immer wieder betont - verstärkt das die Hochwassergefahr im Umland.

Nationale Strategien vereinen

Bernd Neukirchen ist zuversichtlich, dass die Hochwasserschutzpläne des Bundes, den Flüssen mehr Raum zu geben, mit Naturschutz einher gehen. "Das ist auch ein Ziel, das sich die Bundesregierung in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt vorgenommen hat: 'Bis 2020 zehn Prozent der natürlichen Überflutungsflächen zurückgewinnen'. Da bietet sich die Kombination geradezu an."