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Hoffen auf eine Achse des Südens

10. September 2016

Linkspremier Alexis Tsipras lädt zum Südosteuropa-Gipfel nach Athen ein und schmiedet eine Front gegen Sparzwänge und Alleingänge in der Flüchtlingspolitik. Kein leichtes Unterfangen.

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Gipfeltreffen der Mittelmeerländer (Foto: Getty Images/AFP/A. Mesinis)
Bild: Getty Images/AFP/A. Mesinis

Die Bildsprache stimmt: Mit einer herzlichen Umarmung begrüßt Gastgeber Alexis Tsipras seine Gäste im altehrwürdigen Zappeion-Palast, anschließend nehmen alle Regierungschefs des Südens Platz am runden Tisch. Alle? Nicht wirklich. In letzter Minute hat der konservative spanische Ministerpräsident Rajoy die Reise "aus innenpolitischen Gründen" abgesagt. Nicht erfreulich, aber halb so schlimm für Tsipras. Dem Linkspremier geht es vor allem um einen Schulterschluss mit seinem italienischen Amtskollegen Renzi und dem französischen Präsidenten Hollande. Zur Erinnerung: Direkt nach Amtsantritt im Januar 2015 suchte Tsipras den Pakt mit Frankreich, Italien und Zypern. Erste Auslandsreisen führten ihn nach Nikosia, Rom und Paris. Alle Gesprächspartner zeigten Verständnis für seine Sorgen, warnten jedoch vor einem Frontalangriff auf Deutschland und die EU-Kommission. Wenig später musste sich Spargegner Tsipras einem drakonischen Sparprogramm beugen.

Und heute? Bei der Begrüßung in Athen übte sich der Gastgeber erst einmal in Humor und drehte Stereotype über die Südländer ins Absurde. "Wann machen wir Pause für eine Siesta?", witzelte Zyperns Präsident Anastassiadis vor laufenden Kameras. "Lass uns einfach direkt mit der Siesta beginnen", erwiderte Tsipras in Scherzlaune. Dann waren die Kameras weg, es wurde ernst. "Das Dilemma zwischen Austerität und Entwicklung ist vorbei. Wir brauchen sowohl Entwicklung, als auch finanzpolitische Flexibilität", erklärte Tsipras in kleiner Runde nach Informationen des Staatsfernsehens ERT. Er sagte aber auch: Es gehe nicht um die Änderung der Regeln, sondern um größtmögliche Flexibilität innerhalb der bestehenden Regeln. Das hätte Italiens Ministerpräsident schon vor zwei Jahren mitunterschrieben. Sind derartige Aussagen ein Beweis für die angebliche "Sozialdemokratisierung" des einstigen Linksradikalen Tsipras? Der Betroffene sieht das anders: Er sei kein Sozialdemokrat, aber im Europäischen Rat stünden ihm die Sozialdemokraten nun mal näher als andere politische Kräfte, erklärte Tsipras im Interview mit der französischen Zeitung "Le Monde".

"Für den Erhalt, nicht für die Spaltung Europas"

Die in Aussicht gestellte "Achse des Südens" ist anscheinend die jüngste Wette des in die Nähe der Sozialdemokratie rückenden Regierungschefs. In der "Deklaration von Athen", die am Freitagabend veröffentlicht wurde, bestätigen alle Gipfelteilnehmer eine gemeinsame Linie in der Wirtschafts-, Sozial- und Flüchtlingspolitik, lassen allerdings viele Punkte eher vage. Doch Vorsicht sei geboten, mahnt Panagiotis Ioakeimidis, Professor für Europarecht an der Universität Athen. Der Südeuropa-Gipfel sei nützlich und legitim, wenn man ihn als Teil einer breiten Debatte über die Zukunft Europas begreift, die beim EU-Gipfel in Bratislava in konkrete Ergebnisse umgesetzt wird. Darüber hinaus wäre Griechenland allerdings schlecht beraten, eine permanente Front des Südens oder gar eine Front gegen den Norden anzustreben, sagt der Europaexperte im Gespräch mit der DW. "Dass sich die Südländer in wichtigen Fragen lediglich absprechen, geht in Ordnung. Alles andere würde Griechenland dem sogenannten Europa der zwei Geschwindigkeiten unterwerfen, das wir nach eigenen Angaben doch um jeden Preis vermeiden wollen", warnt Ioakeimidis.

Derartige Mahnungen hat Tsipras wohl erkannt. Beim Presspoint der EU-Südländer beteuerte der Gastgeber, der Südeuropa-Gipfel wolle nicht zur Spaltung, sondern, ganz im Gegenteil, zur Einheit Europas beitragen. Noch deutlicher brachte es Zyperns Präsident Anastassiadis auf den Punkt: Die Verteilung der EU in Ländergruppen wäre der allerschlechteste Beitrag zur Zukunft Europas, mahnte der konservative Politiker. Trotzdem will die griechische Regierung dem Südländertreffen einen institutionellen Rahmen verleihen, weiß die linksgerichtete "Zeitung der Redakteure" in Athen zu berichten. Als offensichtliches Vorbild dient die Visegrád-Gruppe, die in Griechenland nicht nur positive Assoziationen hervorruft. Vor allem ihre Alleingänge in der Flüchtlingspolitik sind in Athen noch frisch in Erinnerung.

Nächster Halt: Thessaloniki

Über den Südeuropa-Gipfel wird Tsipras erst in Bratislava aus erster Hand berichten können. Nach übereinstimmenden griechischen Medienberichten hat der Linkspremier eine Einladung von Angela Merkel zu Gesprächen nach Berlin am Sonntag wegen innenpolitischer Verpflichtungen ausschlagen müssen. Denn am Wochenende wird der Regierungschef zur Eröffnung der Handelsmesse in Thessaloniki erwartet wird und soll dort auch eine wirtschaftspolitische Grundsatzrede halten. Es wird kein Vergnügen: Ärzte, Rentner und Polizeibeamte wollen den Linkspremier in Thessaloniki mit Protestaktionen empfangen und auch die griechischen Journalisten streiken am Samstagund boykottieren damit ausgerechnet den Auftritt von Tsipras. Radikale Maßnahmen kündigte der Chef der Polizeigewerkschaft an: Er wolle den stellvertretenden Finanzminister Chouliarakis anzeigen und ins Gefängnis abführen.