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Internationale Hilfe

Rainer Sollich 3. Oktober 2006

Bis zu eine Million Kinder leben auf Kairos Straßen, ohne Unterkunft, Geld und Familie. Ein UNICEF-Projekt kümmert sich jetzt um schwangere Straßenmädchen, denn in der Rangordnung der Straße stehen sie ganz unten.

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Die frischgebackene Ladenbesitzerin Mona mit Sohn Mustapha
Die frischgebackene Ladenbesitzerin Mona mit Sohn MustaphaBild: Unicef Egypt / 2006 / Morooka

Geschäftseröffnung in El Talbeiya, einem Armutsviertel in Gizeh bei Kairo, nahe der weltberühmten Pyramiden. "Mustaphas Laden" heißt das neue Geschäft auf der Mahero-El-Sonbati-Straße - benannt ist es nach dem Sohn der Geschäftsinhaberin. Der Laden ist so klein, dass kaum mehr als fünf Leute gleichzeitig hineinpassen und ein Großteil der Geschäfte draußen auf der staubigen Straße abgewickelt werden muss.

DW-Reporter Rainer Sollich besucht Mona in ihrem Laden
DW-Reporter Rainer Sollich besucht Mona in ihrem LadenBild: Unicef Egypt / 2006 / Morooka

"Jedes Teil für 2,5 (ägyptische) Pfund" steht über der Tür. Für umgerechnet 40 (Euro-)Cent kann sich der Kunde hier seine persönlichen Favoriten aus einem bunten Warensammelsurium herauspicken - auch für viele Ägypter ein akzeptabler Preis. Von Stoffpuppen, Plastikpistolen für Kinder und handgeschnitzten Holzkamelen über Teesiebe, Essbestecke und Schlüsselanhänger mit kleinen Fußbällen bis hin zu Kopftüchern, Hüten und Lippenstiften: Für jeden Geschmack und für jede Gelegenheit ist etwas dabei.

Erfüllung eines Traumes

Für die 18jährige Mona ist heute ein Traum in Erfüllung gegangen. Die frischgebackene Ladenbesitzerin hat sich sorgfältig herausgeputzt, mit einem eleganten weißen Kopftuch und ihrem anderthalbjährigen Sohn Mustapha im Arm. Hinter der Ladentheke packt sie am laufenden Band verkaufte Ware ein, zählt bündelweise Geldscheine ab und strahlt. Die Geschäfte laufen gut - zumindest heute am Eröffnungstag: "Ich bin sehr glücklich“, sagt Mona, "und ich danke Gott dafür! Es war immer mein Traum, einen eigenen Laden zu führen!"

Mona ist zufrieden: Das Geschäft brummt
Mona ist zufrieden: Das Geschäft brummtBild: Unicef Egypt / 2006 / Morooka

Bis vor zwei Jahren führte Mona noch ein ganz anderes Leben: Als sich ihre Eltern trennten, riss sie von zu Hause aus und landete auf der Straße - ohne abgeschlossene Schulbildung, ohne Dach über dem Kopf, ohne regelmäßiges Einkommen. Sie arbeitete als Straßenkind.

Mit gerade mal 15 Jahren stand sie täglich an einer Straßenkreuzung mitten in Kairo und drängte Autofahrern an der roten Ampel eine schnelle Wagenwäsche auf. Einmal kurz ungefragt mit dem feuchten Schwamm über Lack, Scheiben und Scheinwerfer - und dann hoffnungsvoll die Hand aufhalten. Hunderttausende Straßenkinder in Ägyptens Großstädten verdienen sich so oder ähnlich ihren Lebensunterhalt. Ein Almosen, Spott und Verachtung gibt es dafür, aber viele ziehen das dem Betteln vor.

Kein Einzelfall

Mona gewöhnte sich an das Leben auf der Straße. Bis sie schwanger wurde und der Vater des Kindes das Weite suchte. Und sie ist kein Einzelfall, bestätigt Yasmine Baligh vom UNICEF-Büro, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in Kairo. "Die Straßenkinder in Ägypten haben ohnehin ein sehr schweres Leben", sagt sie. "Aber wenn die Mädchen dann auch noch schwanger werden, dann droht ihnen ein noch größerer Abstieg."

Sie berichtet von Schutzlosigkeit, Vergewaltigungen, Straßengangs und sexueller Ausbeutung, manchmal sogar durch die Polizei. "Wenn sie erstmal Mütter geworden sind, geraten sie und ihre Kinder in noch gefährlichere Umstände", berichtet sie.

Monas Stolz: 'Mustaphas Laden'
Monas Stolz: 'Mustaphas Laden'Bild: Unicef Egypt / 2006 / Morooka

Mona fand Hilfe bei der "Hope Village Society", einer privaten Initiative, die mit Unterstützung von UNICEF am Stadtrand von Kairo das so genannte "Young Street Mothers Project" unterhält: ein Zentrum für junge Mütter von der Straße.

Anderthalb Jahre lang fand Mona dort Unterschlupf. Sie lernte viel über Babygesundheit, hatte Schulunterricht und erwarb das wirtschaftliche Know-How zum Führen eines kleinen Ladens. Mit einem Mikrokredit konnte sie aschließlich den Laden eröffnen. "Das Zentrum war wie ein Wunder!", sagt Mona.

Mona ist glücklich, dass sie mit ihrem Laden nun die Chance hat, endgültig von der Straße wegzukommen und ihrem Sohn Mustapha eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Aber sie weiß auch, dass es langfristig schwer werden könnte, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen. Aber daran will sie heute nicht denken. Mustapha hat bereits Hunger und auch Mona ist ziemlich erschöpft. Sie wird ihren Laden gleich schließen, alles einpacken und das Sperrgitter herunterlassen. Es war ein guter Einstand - viele Kunden, viel Umsatz. Und ab morgen beginnt dann in "Mustaphas Laden" der Ernst des Geschäftlebens.