Homophobie - ein langer Weg zum Fortschritt
23. September 2020Fassungslosigkeit hat das Interview des Kandidaten für den CDU-Vorsitz, von Friedrich Merz, mit der "Bild-Zeitung" vor einigen Tagen ausgelöst, auch in der eigenen Partei. Merz war gefragt worden, ob er Vorbehalte hätte, wenn heute ein Schwuler Bundeskanzler würde. Zunächst sagte Merz: "Nein". Aber dann erklärte er: "Über die Frage der sexuellen Orientierung, das geht die Öffentlichkeit nichts an. Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft - an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht - ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion."
Wieso, fragten Kritiker, fallen dem früheren CDU-Fraktionschef im Bundestag der Schutz von Kindern und mögliche Gesetzesverstöße ein, wenn er an Homosexuelle denkt? Das fragte sich nicht nur Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, ebenfalls CDU, der homosexuell ist.
Homosexualität bis 1969 strafbar
Vorurteile, Verdächtigungen und Verfolgung gegen und von Schwulen und Lesben haben im Nachkriegsdeutschland eine lange Tradition, auch wenn die Akzeptanz von Homosexuellen in weiten Teilen der Gesellschaft mittlerweile gegeben ist. Bis 1969 machten sich Homosexuelle strafbar, weil in Westdeutschland ein noch aus der Kaiserzeit stammendes Gesetz galt, dass in der NS-Diktatur sogar noch verschärft worden war.
Der Paragraf 175 im Strafgesetzbuch besagte: "Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft." Noch 1957 hatte das Bundesverfassungsgericht diese Bestimmung für grundgesetzkonform erklärt. Auch die DDR hatte das Gesetz aus der NS-Zeit übernommen.
Erste Öffnungen durch soziale Bewegungen
Die Bewegung der Studenten von 1968 und das Entstehen der Sozialen Bewegungen brachten dann im Westen erste Fortschritte. Der Kampf um die Gleichstellung von Homosexuellen wurde vor allem von Frauen- und Menschenrechtsgruppen vorangetrieben. So etwa im August 1992, als bei der "Aktion Standesamt" rund 250 gleichgeschlechtliche Paare das Aufgebot bestellten.
Aber erst im Februar 2001, ausgearbeitet von der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD), wurden homosexuelle Paare in Form der so genannten "eingetragenen Lebenspartnerschaft" wenigstens dem Grundgesetz nach gleichgestellt.
Nicht alle stimmen im Bundestag der Ehe für alle zu
2017 dann folgte die historische Bundestagsabstimmung zur "Ehe für alle". Bis zuletzt hatten sich vor allem konservative Abgeordnete gegen das Gesetz gestemmt, 225 von 309 Politikern von CDU oder CSU stimmten dann auch mit Nein. Im Vorfeld hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür plädiert, bei der Abstimmung jedem Parlamentarier die Entscheidung freizustellen.
Politiker outen sich
Ebenso wichtig wie gesetzliche Entscheidungen waren öffentliche Erklärung von Politikern, die zu ihrer Homosexualität standen. 2001 sagte der Berliner SPD-Politiker Klaus Wowereit auf einem Parteitag zum Ende seiner Rede: "Ich bin schwul, und das ist auch gut so!" Später erzählte er, dass seine Äußerungen, die zu einer Art geflügeltem Wort wurde, auch erfolgte, weil er wusste, dass Boulevard-Medien Berichte über seine Homosexualität vorbereiteten.
Im selben Jahr wurde in Hamburg der CDU-Politiker Ole von Beust zum Ersten Bürgermeister gewählt, auch er machte kein Geheimnis aus seiner Homosexualität. Auch der frühere, mittlerweile verstorbene Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) trug durch seine offen gelebte Homosexualität viel zur allgemeinen Akzeptanz bei.
Immer noch Diskriminierung
In der öffentlichen Debatte, auch belegt durch Umfragen, ist bei der Gleichstellung homosexueller Menschen in Deutschland also viel erreicht. Auch deshalb scheint die Meinungsäußerung von Friedrich Merz aus einer vergangenen Zeit zu stammen. Aber in vielen Bereichen schlummern dennoch immer noch Vorbehalte gegenüber Homosexuellen.
So ergab eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Universität Bielefeld, dass immer noch 30 Prozent der Homosexuellen im Arbeitsleben diskriminiert werden, unter den Trans-Menschen sind es sogar mehr als 40 Prozent. Auch deshalb verheimlichen immer noch fast ein Drittel der Betroffenen etwa gegenüber Kollegen ihre Sexualität.
Wichtig sind deshalb auch Initiativen wie die von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die jetzt möglichst rasch ein Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung von schwulen Bundeswehrsoldaten vorlegen will, die zwischen 1955 und dem Jahr 2000 systematisch diskriminiert worden sind.