"Ein ähnlich homophobes Umfeld"
12. Juli 2017Die Initiative Rainbow Refugees Frankfurt bietet Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen (kurz: LGBT), die aus ihrer Heimat geflohen sind, erste Orientierung in Deutschland. Der Verein unterstützt sie während des Asylprozesses und hilft ihnen dabei, ein soziales Umfeld aufzubauen. Knud Wechterstein, Vorstandsmitglied von Rainbow Refugees Frankfurt, sprach mit der Deutschen Welle über die Probleme, die LGBT-Geflüchtete in Deutschland erwarten.
Deutsche Welle: In Deutschland wurde kürzlich die "Ehe für alle" beschlossen. Bedeutet das auch einen Fortschritt für homosexuelle Flüchtlinge?
Knud Wechterstein: Dass die Ehe von Schwulen und Lesben anerkannt wird, ist ein wichtiger Schritt für die Gleichberechtigung. Doch gleichzeitig gelingt es in Deutschland nicht, das Recht auf Asyl von Geflüchteten anzuerkennen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung in ihrer Heimat verfolgt wurden. Daran müssen wir arbeiten.
Vor welchen Herausforderungen stehen LGBT-Geflüchtete in Deutschland?
Menschen mit LGBT-Orientierung finden in Deutschland bei ihrer Ankunft meist ein Umfeld vor, das ähnlich homophob ist wie das Umfeld, vor dem sie geflüchtet sind. Besonders in den Erstunterkünften erleben sie Anfeindungen, Gewalt und Ausgrenzung durch ihre Mitbewohner. Aber auch im Asylverfahren wird nicht ausreichend auf die Fluchtgründe eingegangen. Wir erleben, dass homosexuelle oder transgender Menschen aus Gesellschaften fliehen, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht, deren Asylanträge in Deutschland aber abgelehnt werden. Dabei besteht das Recht auf Asyl aufgrund dieser Art von Verfolgung.
Wie gehen die Geflüchteten selbst mit ihrer Homosexualität um?
Einige Geflüchtete kommen hierher mit dem Ziel, ihre Homosexualität offen auszuleben, von der ersten Sekunde an. Nach unserer Erfahrung haben sie auch am meisten Erfolg im Asylverfahren. Diejenigen, die sich ihre Homosexualität zunächst einmal selbst eingestehen müssen, und eventuell auch noch mit ihrem Glauben leben, der ihnen verbietet, homosexuell aktiv zu werden, denen fällt es wesentlich schwerer. Hier passieren in den Anhörungen auch Fehler.
Was genau läuft schief im Asylverfahren?
Sie sind es nicht gewohnt, über ihre Sexualität zu sprechen. In der Anhörung müssen sie dann in kurzer Zeit alles ganz genau auf den Punkt bringen. Aber viele brauchen Zeit, um ihre Scham zu überwinden. Dazu kommt häufig, dass die Dolmetscher in den Anhörungen aus demselben Kulturkreis kommen und selbst Homosexualität ablehnen. Das spüren die Geflüchteten und können die Gründe für ihre Flucht nicht offen aussprechen.
Aber es liegt nicht immer an den Geflüchteten -es kommt auch zu Fehlentscheidungen von Seiten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Beispielsweise teilen wir nicht die Einschätzung des BAMF, dass LGBT-Geflüchtete in bestimmten Teilen ihrer Herkunftsländer - wie etwa Pakistan - sicher leben könnten.
Wir gehen davon aus, dass im BAMF zu sehr auf die Zahlenvorgaben geachtet und erwartet wird, dass eine bestimmte Anzahl von Entscheidungen am Tag gefällt werden. Die persönlichen Schicksale der Geflüchteten geraten dabei in den Hintergrund.
Ein Problem ist auch: es gibt im BAMF für das Thema LGBT-Geflüchtete geschulte Anhörer, die für den Interviewtermin beantragt werden können. Es wird aber nirgends kommuniziert, dass diese Möglichkeit besteht.
Wer ist besonders betroffen?
Häufig schwule und transgender Menschen aus Pakistan. Homosexuelle Aktivität ist dort per Gesetz verboten, es drohen mindestens zehn Jahre Gefängnis. Die Gesellschaft ächtet und verfolgt Männer und Frauen, die homosexuell oder transgender sind. Die Menschen, die aus Pakistan hierher fliehen, sind oftmals von ihren Familien verstoßen worden oder wurden sogar gewaltsam angegriffen von ihren Verwandten. Doch scheint es die Vorgabe im BAMF zu geben, Menschen aus Pakistan grundsätzlich abzulehnen, unabhängig davon, warum sie geflohen sind.
Menschen aus Tunesien, Marokko, Algerien geht es ähnlich, weil diese Länder als sichere Herkunftsstaaten gelten, auch wenn Homosexuelle dort verfolgt werden und die Menschenrechte nicht geachtet werden. Zwar kommen momentan weniger Menschen nach Deutschland als noch vor zwei Jahren, aber für Geflüchtete verschärft sich die Situation.
Warum verschärft sich die Lage?
Menschen aus Ländern, die das BAMF als sicher ansieht, bleiben nur noch in den Ankunftszentren. Vorher wurden sie noch auf Städte und Gemeinden verteilt, wo sie sich ein unterstützendes Umfeld aufbauen konnten oder eine Initiative wie Rainbow Refugees finden konnten. Das fällt jetzt alles weg. Ihre Chancen auf Asyl verringern sich.
Wir versuchen die Politik darauf hinzuweisen, dass das BAMF viele Fehlentscheidungen trifft und Anträge falsch bewertet. Dazu stehen wir in Kontakt mit Politikern, schicken ihnen die Anhörungsprotokolle und weisen darauf hin, dass in unseren Augen falsche Entscheidungen getroffen werden.
Was können Sie über die Situation in den Ankunftszentren berichten?
Wir wissen nicht nur von verbalen Attacken, sondern auch von körperlichen Übergriffen. Die kulturellen Prägungen der anderen Geflüchteten, oft aus demselben Sprachraum, sind oftmals sehr homophob.
Wie kann man erreichen, dass andere Geflüchtete LGBT-Flüchtlinge akzeptieren?
Es ist wichtig, den Menschen zu vermitteln, wie das Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft funktioniert. Das ist auch unser Ziel als Rainbow Refugees. Wir gehen unter anderem in Deutschkurse für Flüchtlinge und erklären, welche Rechte Homosexuelle in Deutschland haben. Dann sprechen wir auch über die Rechte von Frauen und über die Religionsfreiheit in Deutschland.
Außerdem planen wir, Schulungen zum Umgang mit LGBT-Flüchtlingen anzubieten für Ehrenamtliche und Sozialarbeiter, die mit Geflüchteten zusammenarbeiten.
Das Interview führte Charlotte Hauswedell.