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Politik

"Die VAE sind kein toleranter Staat"

5. Februar 2019

Der Papst zu Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die als religiös tolerant gelten. Doch gegen Dissidenten geht der Staat hart vor, sagt Wenzel Michalski von Human Rights Watch im DW-Interview.

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Papst Franziskus in Abu Dhabi
Bild: Reuters/A. Jadallah

DW: Herr Michalski, die Vereinigten Arabischen Emirate haben den Ruf eines gerade in religiöser Hinsicht sehr toleranten Staates. Die Religionen kämen gut miteinander aus heißt es, und das Zusammenleben der Ethnien verlaufe friedlich. Das klingt fortschrittlich, sollte man meinen.

Wenzel Michalski: Ja das ist ein Ruf, den sie sich erarbeitet haben. Der ist aber nicht richtig, denn diesen Ruf tragen sie zu Unrecht. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind kein toleranter Staat. Es gibt dort massive Menschenrechtsverletzungen - gerade, was die freie Meinungsäußerung und das Recht auf Versammlungsfreiheit angeht. Wer diese Rechte in Anspruch nimmt, läuft Gefahr, im Gefängnis zu landen. Es gibt zwei prominente Menschenrechtsverteidiger, die jetzt zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt worden sind: der eine, weil er Ägypten kritisiert hat, und der andere, weil er die allgemeine Menschenrechtslage innerhalb des Landes kritisiert hat. Der Staat geht sehr hart und brutal gegen Oppositionelle und Kritiker vor.

Human Rights Watch kritisiert auch ein Gesetz aus dem Jahr 2014, auf dessen Grundlage es möglich sei, juristisch gegen Kritiker und Dissidenten vorzugehen.

Ja, die Angst des Staates vor Kritik muss sehr stark sein, sehr groß sein, damit man überhaupt auf die Idee kommt, jemanden, der Kritik an der Politik oder auch an der Handhabung der Menschenrechtssituation äußert, als Terroristen zu diffamieren und auch zu entsprechend harten Strafen zu verurteilen.

Es scheint, als gebe es in immer mehr Ländern der Region bewusst unscharf formulierte Gesetze, auf deren Grundlage sich Kritiker als "Terroristen" diffamieren lassen.

Das ist leider ein Trend in vielen Ländern des Mittleren Ostens, aber auch zunehmend in Südostasien, in Russland und in China natürlich, wo genau solche ähnlichen Paragrafen und Bestimmungen dazu benutzt werden, um jede Kritik im Keim zu ersticken.

Wenzel Michalski Deutschland-Direktor von Human Rights Watch
Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch Bild: DW/H. Kiesel

Glauben Sie, dass sich Protestbewegungen auf diese Weise langfristig ausschalten lassen?

Nein, nicht dauerhaft. Denn je mehr ein Land durch seine Regierung unter Druck gerät, desto instabiler wird es. Desto stärker wird auch der Drang, dagegen zu protestieren, bis sich die Lage irgendwann so verschärft, dass die Menschen auf die Straße gehen, obwohl sie wissen, dass sie deswegen verhaftet, gefoltert, vielleicht sogar getötet werden können. Aber wenn der Druck so stark ist, dann kommt es immer wieder zu Aufständen und Revolutionen - wie zum Beispiel während des Arabischen Frühlings. Als Reaktion darauf sind jetzt diese Gesetzesverschärfungen eingeführt worden. Das aber könnte sich irgendwann als Schuss erweisen, der nach hinten losgeht.

Skyline von Doha, Emirat Katar
An der Oberfläche modern: Skyline von DohaBild: picture-alliance

Human Rights Watch hat Angriffe der Kriegskoalition im Jemen dokumentiert, zu der auch die Vereinigten Arabischen Emirate gehören. Unter den Angriffen sind auch einige, die womöglich als Kriegsverbrechen gelten könnten. Worum handelt es sich dabei genau?

Es gibt eine Unmenge von Angriffen auf zivile Ziele wie zum Beispiel Krankenhäuser, Schulen, Fabriken, Wohnorte, Märkte. Dort waren Zivilisten in ungeheuerlicher Weise das Ziel von Raketenangriffen. Dabei war die Zahl der Todesopfer - Kinder, Frauen, Männer, die keine Soldaten sind - so groß, dass man davon ausgehen kann, dass es Kriegsverbrechen sein könnten. Und wir fordern dass diese Vorfälle, die womöglich Kriegsverbrechens sind, untersucht werden. Zudem möchten wir, dass der Papst das in aller Deutlichkeit anspricht.

Human Rights Watch spricht auch die Situation der Gastarbeiter in den VAE an, insbesondere die aus den ärmeren Ländern Südostasiens. In welchen Verhältnissen leben sie?

Die Situation für Wanderarbeiter in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist im Allgemeinen sehr schlecht - und zwar auch deswegen, weil niemand zur Rechenschaft gezogen wird. Oder aber weil es keine Konsequenzen gibt, wenn ein Arbeitgeber Grenzen überschreitet und zum Beispiel die Leute nicht mehr bezahlt oder sie schikaniert. Ein großes Problem ist die Lage der Hausangestellten - meistens sind das Frauen, zum Beispiel aus den Philippinen. Sie werden zum Teil ganz bewusst gequält. Sie haben überhaupt nicht die Möglichkeit, sich einen anderen Arbeitnehmer zu suchen oder zurück in ihre Heimat zu fahren. Sie leben fast in sklavenähnlichen Verhältnissen. Sie sind unfrei, sie können nicht weg. Denn Kündigung wird im Grunde als eine Art Flucht angesehen, die bestraft wird.

Diese Frauen sind laut Human Rights Watch auch sexuellem Missbrauch ausgesetzt.

Ja, sie können sich nicht mehr wehren, weil sie das Haus gar nicht verlassen dürfen. Ich selber habe eine Szene in einem anderen Land - nicht den VAE - in der philippinischen Botschaft erlebt. Da waren 150 Frauen, die aus den Küchenfenstern gesprungen oder während des Einkaufens weggelaufen sind und dann in der philippinischen Botschaft Unterschlupf bekamen. Die durften dann noch nicht mal das Land verlassen. So kampierten sie in der Botschaft. Vergleichbare Situationen gibt es auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es gibt da keinen ordentlichen juristischen Weg für diese Wandarbeiterinnen, sich zu wehren.

Wenzel Michalski, ist Deutschland-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Das Gespräch führte Kersten Knipp.

Franziskus in Abu Dhabi

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika