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Gewalt gegen Kinder in Japans Sport

20. Juli 2020

In Japan lebt nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die Tradition des "Taibatsu" fort: Junge Sportlerinnen und Sportler werden körperlich, sexuell und verbal misshandelt.

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Symbolbild Jugendsport Missbrauch Mädchen
Bild: Colourbox

"Ich wurde so oft geschlagen, dass ich es gar nicht zählen kann", sagte ein 23 Jahre alter Profisportler über seine Jugendzeit als Baseballspieler an einer weiterführenden Schule in der japanischen Region Kyushu. "Der Trainer sagte mir, dass ich es mit dem Laufen [während des Trainings] nicht ernst genug meinte. Also wurden wir alle zum Trainer gerufen, und ich wurde vor allen ins Gesicht geschlagen. Ich blutete, aber er hörte nicht auf, mich zu schlagen. Ich sagte, meine Nase blute, aber er hörte nicht auf." Ein anderer, gleichaltriger Baseball-Spieler berichtete, 90 Prozent seiner jungen Teamkameraden seien körperlich misshandelt worden: "Wir scherzten: Wie, du bist noch nicht geschlagen worden, wann bist du denn dran?"

Die beiden Baseball-Spieler gehörten zu mehr als 800 jungen Sportlern in Japan, die von Human Rights Watch direkt befragt wurden oder an einer Online-Umfrage der Menschenrechtsorganisation teilnahmen. Die Antworten kamen aus 45 der 47 japanischen Präfekturen und aus 50 Sportarten. Das Ergebnis: Körperliche Bestrafung von Kindern und Jugendlichen im Sport, "Taibatsu" genannt, ist immer noch gang und gäbe, obwohl es offiziell per Schulgesetz verboten ist. "Seit Jahrzehnten werden Kinder in Japan im Namen der Jagd auf Trophäen und Medaillen brutal geschlagen und gedemütigt", sagt Minky Worden, Direktorin der Abteilung für globale Initiativen bei Human Rights Watch.

"Taibatsu im Sportunterricht ist nicht zulässig. Um Gewalt im Sport zu beseitigen, haben wir Schritte unternommen, wie beispielsweise die Entwicklung eines Trainingscurriculums oder die Erstellung eines Leitfadens für Schulen", erklärt Yuri Shirakawa von der Japanischen Sport-Agentur gegenüber der DW. "Wir werden uns weiterhin darum bemühen, Gewalt im Sport zu eliminieren und dabei auch die Umfrageergebnisse mit einbeziehen." Ähnlich reagierte auch das Internationale Olympische Komitee auf Nachfrage der DW: "Alle Athleten haben das Recht auf ein sicheres sportliches Umfeld - ein Umfeld, das fair, gerecht und frei von allen Formen der Belästigung und des Missbrauchs ist." Das IOC stehe im regelmäßigen Kontakt zu den Nationalen Olympischen Komitees und böte Beratungen und Unterstützung an.

Auch sexuelle Übergriffe

Menschenrechtlerin Minky Worden prangert Gewalt gegen Japans junge Sportler an
Menschenrechtlerin Minky Worden prangert Gewalt gegen Japans junge Sportler anBild: DW/H. Kiesel

Sportler berichteten über weitere brutale Praktiken von Sportlehrern und Trainern. "Wir wurden am Riemen der Badekappe aus dem Becken gezogen, wir wurden dadurch gewürgt", sagte ein 20 Jahre alter früherer Top-Wasserballer. "Eine weitere Strafe war, uns Kinder unter Wasser zu drücken, damit wir nicht atmen konnten. Es war wie beim Militär." Auch Fälle sexuellen Missbrauchs von Mädchen durch ihre Trainer wurden der Menschenrechtsorganisation berichtet. "Ich wollte mich übergeben. Sein Geruch, seine Hände, seine Augen, seine Stimme, ich hasste alles an ihm", sagte eine junge Frau, die sich regelmäßig vor ihrem Trainer komplett ausziehen und berühren lassen musste - um "eine ausgerenkte Schulter zu behandeln", wie er sagte.

Human Rights Watch: "Globales Problem"

Human Rights Watch fordert Japan auf, ein neues Gesetz zu erlassen, in dem Gewalt gegen Kinder im Sport explizit verboten wird. Außerdem empfiehlt die Menschenrechtsorganisation, ein "Japanisches Zentrum für sicheren Sport" zu gründen - ein unabhängiges Verwaltungsorgan, das Ansprechpartner für misshandelte Kinder und deren Eltern ist, übergriffige Trainer identifiziert und dafür sorgt, dass sie entlassen werden.

Japan habe durch die Verschiebung der Olympischen Spiele von Tokio auf den Sommer 2021 nun ein Jahr Zeit, um überzeugende Maßnahmen gegen "Taibatsu" zu ergreifen. Damit, so Minky Worden, könne Japan seinen Kinder zeigen, "dass ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden wichtiger sind als Medaillen", und den Trainern, dass ihr Verhalten nicht länger toleriert werde: "Wenn Japan jetzt handelt, kann es als Modell für andere Länder dienen, wie sie dem Kindesmissbrauch im Sport ein Ende setzen können."

Gewalt gegen junge Sportlerinnen und Sportler sei ein globales Problem, teilt Human Rights Watch mit und verweist auf die jüngsten Missbrauchsskandale in den USA, Großbritannien, Haiti, Afghanistan und Südkorea. Erst kürzlich hatte der Selbstmord einer südkoreanischen Triathletin weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Die 22-Jährige hatte in ihrem Tagebuch dokumentiert, wie sie jahrelang von ihrem Trainer, dem Vereinsarzt und zwei älteren Teammitgliedern missbraucht worden war. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie: "Mama, lasse die Welt wissen, welche Verbrechen sie begangen haben." Auch in Japan gab es in den vergangenen Jahren einige Selbstmorde junger Sportler. So nahm sich 2012 ein Teenager das Leben, nachdem er nach eigenen Angaben von seinem Basketballtrainer an einem Tag 41 Mal geschlagen worden war.

Dieser Artikel wurde um zwei Stellungnahmen ergänzt und aktualisiert.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter