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"Wir brauchen Eure Unterstützung"

23. August 2021

Ein Spagat: Deutsche Hilfsorganisationen sorgen sich um ihre lokalen Mitarbeiter in Afghanistan und wollen doch weiterarbeiten.

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Afghanistan I Flughafen Kabul
Bild: Wakil Kohsar/AFP

Die Aussage ist kurz und knapp. Aber sie beschreibt die Stimmung vieler, die im Bereich der humanitären Hilfe in Afghanistan tätig waren - und weiter tätig sein wollen: "35 Millionen Menschen brauchen Hilfe", sagt Marga Flader, Vorstandsvorsitzende des Vereins "Afghanistan-Schulen", der schon seit mehr als 30 Jahren in dem Land engagiert ist.

Der im Bildungsbereich aktive Verein hatte sich früh entschieden, nicht in der afghanischen Hauptstadt Kabul tätig zu sein. So sorgt er vor allem im Nordwesten des Landes mit dafür, dass Schulen laufen und Personal qualifiziert wird. "Schon unter der ersten Herrschaft der Taliban hat die Bevölkerung an uns appelliert, alle Schulen offen zu halten", erläutert Flader der Deutschen Welle. Es gehe auch heute darum, "die Afghanen nicht im Stich zu lassen".

Einheimische Kräfte

Pirmin Spiegel Hauptgeschäftsführer MISEREOR
Pirmin Spiegel, Misereor-HauptgeschäftsführerBild: picture-alliance/Pacific Press/M. Debets

Viele der humanitären Hilfsorganisationen setzen darauf, trotz der Regierungsübernahme der Fundamentalisten ihre konkrete Arbeit fortzusetzen. Nicht mit (wenigen) deutschen Fachkräften, sondern mit bewährten einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, nennt es die "Botschaft" von zwölf Partnerorganisationen, mit denen Misereor zusammenarbeite: "Wir brauchen weiterhin eure Unterstützung, eure Solidarität", sagt er der Deutschen Welle. Da gehe es um Partner, mit denen man schon seit Jahrzehnten in bewährter Weise zusammenarbeite. Und ganz ähnlich äußert sich die Sprecherin der Welthungerhilfe: "Wir sind im Prozess, Büros wieder zu öffnen."

Uzbekistan | Durch die Bundeswehr Evakuierte aus Kabul landen in Tashkent
Mit der Bundeswehr in die Sicherheit: Landung eines Rettungsflugs in UsbekistanBild: Marc Tessensohn/Bundeswehr/Handout/REUTERS

Die Situation bei humanitärer Hilfe ist derzeit vielschichtig in Afghanistan. Bundeswehr-Soldaten bemühen sich mit Streitkräften anderer Staaten, ihren jeweiligen Landsleuten oder auch Afghanen, die für sie gearbeitet haben und nun das Land verlassen wollen, die Ausreise zu ermöglichen. Zum Teil sind die Sorgen um jede Mitarbeiterin sehr groß, so bei allen, die konkret Frauenprojekte aufgebaut haben und jetzt auf Rettung ihrer lokalen Partnerinnen vor der Rache der Taliban hoffen. Doch zugleich wissen humanitäre Helfer um die wachsende Not der Zivilbevölkerung.

Bei der Frage der Ausreise geht es kaum mehr um deutsche Kräfte. Misereor-Chef Spiegel berichtet, dass rund zwei Wochen vor der Einnahme Kabuls durch die Taliban noch ein deutsches Ärzteehepaar für Weiterbildungsarbeit mit lokalen Kräften in die Hauptstadt geflogen sei. Sie hätten dann Mitte voriger Woche mit einem der deutschen Evakuierungsflüge das Land verlassen können. Auch Stefan Recker von Caritas international, der die kritischen Tage in Kabul erlebt hatte und bleiben wollte, ist mittlerweile in Deutschland. Er sei "auf Anweisung seines Arbeitgebers" mit der Bundeswehr ausgeflogen, sagte er am Montag im Deutschlandfunk. Er "wäre selber gerne da geblieben". Caritas international sei eine Hilfsorganisation, die sich auch in einer solchen Situation engagiere, erläutert er seine Sicht auf Hilfe unter der Herrschaft der Taliban. "Da müssen wir auch mit Leuten reden, mit denen wir sonst nicht gerne reden." 

Lange Erfahrung

Mit wem man spricht: Die Organisationen stehen im Austausch mit den zuständigen deutschen Ministerien und sorgen sich um den Verbleib oder die Ausreise einheimischer afghanischer Kräfte. Aber humanitäre Arbeit in Afghanistan läuft seit vielen Jahren. So wissen die Expertinnen und Experten auch von vielen, die vor Ort weiter die Hilfe in ihrem Land sicher stellen wollen. Und sie unterscheiden je nach Einsatzregion in Afghanistan. Pirmin Spiegel nennt die Lage im Land im DW-Gespräch "desolat" und "widersprüchlich". Aber es wäre das "falsche Signal, die Entwicklungszusammenarbeit zu stoppen". Denn "die" Taliban gebe es nicht. Man müsse Unterschiede sehen.

Afghanistan, Herat | Mädchen gehen wieder in die Schule
Eine Mädchenschule in Herat Bild: Shamshadnews/REUTERS

Spiegel schildert ein aktuelles Beispiel aus dem Norden des Landes. Dort habe eine Bildungseinrichtung für Frauen und Mädchen, als vor Wochen die Taliban in der Region die Macht übernommen hatten, die Schilder am Gebäude entfernt, die auf die Einrichtung hingewiesen hatten. Doch nach Gesprächen mit lokalen Taliban-Vertretern gehe die Arbeit weiter - mit Einschränkungen: dass nicht mehr Männer Frauen unterrichteten, und dass ein Mann die Frauen zur Schule begleite. So kämen nun mehrere Frauen in einem Konvoi von Rikscha-Taxis zur Schule, der von einem Mann begleitet werde. "Das ist nicht optimal", sagt der Misereor-Vertreter. "Wir haben andere Visionen." Aber die Arbeit in der Region gehe weiter. Dahinter steht auch die lange Beziehung von Hilfswerken zu ihren lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Abfindung statt Ausreise?

In Deutschland sorgte am Wochenende eine Nachricht für Debatten und Kritik, bei der es um die "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" (GIZ) ging, die im Auftrag von Bundesministerien international tätig ist. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", den das Entwicklungsministerium (BMZ) bestätigte, zahlt die GIZ afghanischen Ortskräften, die ihr Land nicht verlassen wollen, zur "Überbrückung der schwierigen Lage" ein Jahresgehalt. Das BMZ bestätigte nach vehementer Kritik, dass die Zahlungsempfänger sich dabei aus rechtlichen Gründen verpflichten müssten, sich nicht in das Programm für die Rückführung von Ortskräften nach Deutschland aufnehmen zu lassen. Aber falls die Ortskräfte ihre Meinung ändern oder sie konkret gefährdet sein sollten, "dann können sie sich immer noch auf die Ausreiseliste setzen lassen", sagte ein Ministeriumssprecher.

Afghanistan UNICEF Programm für die Schulen
Eine Unicef-Schule in der Provinz BamiyanBild: DW/A. Akramy

Für die humanitären Hilfsorganisationen, die nicht so nah am Staat sind, stellt sich diese Frage nicht. Caritas International schaut derzeit nach Möglichkeiten der Ausreise für Mitarbeiter. Auch Simone Pott von der Welthungerhilfe sagt: "Falls Kollegen das Land verlassen wollen, tun wir alles, um sie zu unterstützen." Zu entsprechenden Zahlen gebe sie aber keine Auskunft. Pott betont, dass es ihrer Organisation auch nicht um eine Bewertung der Gründe gehe, die zum raschen Vorrücken der Taliban geführt hätten. "Das ist nicht das, worauf wir schauen." Im Fokus ihrer Organisation stünden Ernährungsnotlagen oder Dürren, die es im Interesse der Menschen zu bekämpfen gelte.

"Der Staat funktioniert nicht"

"Wir haben uns entschieden, die Afghaninnen und Afghanen nicht im Stich zu lassen", betont Marga Flader vom Verein "Afghanistan-Schulen". Das sei das Ziel nachhaltiger Unterstützung. So blieben bislang in der Provinz Faryab im Nordwesten des Landes Schulen mit rund 150 eigenen Mitarbeitern offen, auch eine Ausbildungseinrichtung, drei Frauenzentren.

Ja, sagt Flader, die lokalen Mitarbeiter seien gewiss nicht sicher. Das schnelle Ende der Republik habe auch die einheimischen Kräfte überrascht. Aber die Kräfte vor Ort wüssten um die Bedeutung ihrer Arbeit. "Und dass der Staat Afghanistan nicht funktioniert, wussten sie schon lange."