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"Sehen nur die Eisbergspitze"

Wolfgang Dick3. Dezember 2013

CDU/CSU und SPD wollen die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu regeln. Christian Humborg von "Transparency Deutschland" erklärt, wo es in Deutschland Korruption gibt.

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Portrait von Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland. Foto: Robert Schlesinger dpa/lbn
Bild: picture-alliance/dpa

"Wir werden die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu regeln", heißt es im Wortlaut im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD unter Punkt 5.2. Moderner Staat, lebendige Demokratie und Bürgerbeteiligung, Abschnitt Transparenter Staat. Eine Absichtserklärung - mehr nicht. Oder doch? Fragen, die wir Christian Humborg von Transparency Deutschland stellen. Er beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Abgeordnetenbestechung.

DW: Wie bewerten Sie die Absichtsbekundung im Koalitionsvertrag, die Abgeordnetenbestechung neu regeln zu wollen?

Christian Humborg: Es ist natürlich ein erfreuliches Signal. Aber wir müssen jetzt erst einmal sehen, was konkret folgt. Das Thema war lange ein wirklich trauriges und peinliches Kapitel. Seit zehn Jahren warten wir darauf, dass Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption bestätigt. Das ist bis heute nicht geschehen. Bisher ist der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung in Deutschland nicht ausreichend geregelt. Das wurde in der Vergangenheit einfach ausgesessen. Getan wurde nichts.

Warum war es bisher so schwierig, Strafen für Abgeordnetenbestechung einzuführen?

Hauptsächlich befürchtete man erhebliche Imageschäden in allen Fällen, bei denen Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete am Ende belegen, dass an einem Verdacht oder einem Vorwurf nichts dran war. Das ist im Kern die Angst, um die es geht. Aber man sollte es den anderen Ländern weltweit nachmachen, die Abgeordnetenbestechung bestrafen. Das sind immerhin schon 160 Länder weltweit. Und ich bitte doch auch darum, etwas mehr Vertrauen in die Justiz in Deutschland haben. Die wird damit verantwortlich umgehen.

Deutschland belegt im internationalen Korruptionsranking von Transparency International von 177 untersuchten Ländern Platz zwölf - zu Recht?

Wenn man in Deutschland zum Bürgeramt geht, dann muss man nicht damit rechnen, dass man Schmiergeld zahlen muss, um schneller dran zu kommen. Da wird eine Nummer gezogen und man kommt dran, wenn die Nummer aufgerufen wird. Man muss in Deutschland kein Schmiergeld zahlen, um Studienplätze an Universitäten zu erhalten. Man muss nicht an Polizisten Schmiergelder bezahlen, wenn man angehalten wird, wegen zu schnellem Fahren. Das sind alles Beispiele, wo man sehen kann: hier funktioniert die Korruptionsbekämpung. Auch die Korruptionsprävention in Deutschland gut.

Was garantiert denn auf Dauer, dass die Korruption in Deutschland nicht ansteigt?

Was zunächst mal wichtig ist, dass man ein funktionierendes Justizsystem hat. Herzstück davon sind hinreichend bezahlte Richter, die deswegen unabhängig sind und dann auch frei urteilen können. Nachvollziehbare Gesetze und Strafen bei Fehlverhalten sind wichtig. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Polizei. Wenn auch hier die Strafverfolgung funktioniert, ist ein weiterer Schritt getan in Richtung korruptionsfreie Gesellschaft. Letztlich ist Korruption ja eine Spirale, die sich nach oben oder unten entwickeln kann. Wenn alle glauben, dass sich die anderen an die Regeln halten, dann zeigen diese Menschen auch alle an, die sich nicht an die Regeln halten. Aber wenn keiner mehr glaubt, dass sich irgendjemand noch an die Regeln hält, dann kann es auch eine Spirale nach unten geben.

Können Sie für Deutschland einen Bereich nennen, der durch Korruption oder Vorteilsannahme besonders gefährdet erscheint?

Zu nennen wäre der Pharmabereich. Bis vor kurzem gab es überhaupt gar keine Regel für Fälle, bei denen Ärzte von der Pharmaindustrie Geld dafür erhalten, dass sie bestimmte Medikamente verschreiben. Jetzt gibt es eine gesetzliche Regelung. Die steht aber immer noch nicht im Strafgesetzbuch. Da muss man sich nicht wundern, wenn Ärzte in den Verdacht geraten, dass sie wegen der Zuwendung der Pharmaindustrie Entscheidungen fällen, die nicht immer nur am Interesse der Patienten orientiert sind.

Inwieweit ist gesichert, dass Korruption in Deutschland aufgedeckt wird?

Allgemein gehen wir erst mal davon aus, dass die meisten Korruptionsfälle gar nicht an die Öffentlichkeit kommen. Das Bundeskriminalamt nennt in seinem eigenen Bericht zur Lage Zahlen von 80 bis 95 Prozent an Korruptionsfällen, die immer verborgen bleiben. Das heisst, das was wir sehen und das, was berichtet wird, ist nur die Spitze des Eisbergs.

Was macht Ihnen denn Hoffnung, dass es eines Tages nicht noch schlimmer wird?

Ein wesentlicher Pfeiler einer integren Gesellschaft ist, dass wir in Deutschland unabhängige Medien haben. Die geraten zwar zunehmend unter wirtschaftlichen Druck und es gibt große Probleme. Aber im internationalen Maßstab wird über Korruptionsfälle berichtet und es gibt noch Journalisten, die diesen Themen nachgehen. Das ist schon ein wesentlicher Faktor zur erfolgreichen Korruptionsbekämpfung.

Welche weiteren Gesetze zur Korruptionsbekämpfung werden Sie der neuen Regierung in Deutschland vorschlagen?

Neben größeren personellen Ressourcen würden wir uns eine größere Unabhängigkeit von Staatsanwälten wünschen. In Deutschland sind Staatsanwälte nach wie vor noch in die Hierarchie im Justizministerium eingeordnet. Also der Generalstaatsanwalt berichtet an das Justizministerium. Diese Staatsanwaltschaften sollten deshalb unabhängiger sein.

Was ist mit all jenen Menschen, die Fälle von Korruption öffentlich machen?

Diese Menschen müssen wir schützen. Wir haben in Deutschland keinen ausreichenden Hinweisgeberschutz. Das war auf globaler Ebene beim G20-Gipfel Thema und Deutschland hat sich auch verpflichtet, etwas zu tun. Aber bisher ist hier nichts geschehen. Wir müssen uns einfach einmal genauer ansehen, was andere Länder machen. Können wir davon lernen? Zwei Länder, wo man sagt, das ist besser geregelt, als in Deutschland, sind Großbritannien und Norwegen. Dort sind zum Schutz von so genannten Whistleblowern Gesetze erlassen. Es wäre ein erster Schritt, sich daran zu orientieren.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.

Christian Humborg (39) leitet seit 2007 am Hauptsitz in Berlin die Nichtregierungsorganisation Transparency Deutschland. Der promovierte Betriebs- und Verwaltungswissenschaftler war zuvor unter anderem bei der Deutschen Bahn AG und der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfield Bruckhaus Deringer tätig.

Die internationale Antikorruptionsorganisation Transparency wurde 1993 vom ehemaligen Direktor der Weltbank, Peter Eigen und etlichen Mitstreitern aus aller Welt gegründet. Ziel ist es, wirksame Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung zu erarbeiten und bei den jeweils verantwortlichen Politikern durchzusetzen.