Hunderte Haftbefehle in der Türkei ausgestellt
17. Dezember 2019Mehr als drei Jahre nach dem Putschversuch von 2016 suchen die türkischen Behörden weiter intensiv nach angeblichen Mitverschwörern. Die Staatsanwaltschaft in Ankara lasse nach insgesamt 260 Personen fahnden, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Mehr als 240 von ihnen seien bereits festgenommen worden.
Den Gesuchten werden Verbindungen zur Bewegung um den islamischen Prediger Fethullah Gülen vorgeworfen, der im US-Exil lebt. Sie sollen den Mitteilungsdienst Bylock genutzt haben, der nach Ansicht türkischer Behörden für "geheime Absprachen" unter Anhängern von Gülen genutzt wird. Diesen bezichtigt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, er sei für den versuchten Umsturz verantwortlich. Gülen selbst weist die Anschuldigungen zurück.
Meldungen im Wochentakt
Anadolu berichtet praktisch wöchentlich über neue Fahndungen und Festnahmen. Erst am Freitag waren mehr als 150 Menschen wegen ähnlicher Vorwürfe in Gewahrsam genommen worden. Kritiker sehen die Anschuldigungen vielfach als Vorwand, um Erdogan-Gegner festzusetzen.
Auch der Bürgermeister des türkischen Küstenortes Urla, Burak Oguz, ist von der jüngsten Festnahmewelle betroffen. Wie sein Anwalt der Deutschen Presse-Agentur mitteilte, setzten ihn Sicherheitskräfte unter der Anschuldigung fest, er sei Mitglied der Gülen-Bewegung. Konkret werde ihm vorgeworfen, mit angeblichen Gülen-Anhängern telefoniert zu haben.
"Schlag gegen die Demokratie"
Oguz gehört der größten Oppositionspartei CHP an. CHP-Sprecher Faik Öztrak erklärte, die Inhaftierung eines Bürgermeisters, der knapp 68 Prozent der Stimmen erhalten habe, sei ein "Schlag" gegen die Demokratie. Seit den Kommunalwahlen im März gingen die Behörden gegen zahlreiche Bürgermeister vor und stellten etliche Gemeinden unter Zwangsverwaltung. In den meisten Fällen waren die Amtsinhaber Mitglieder der pro-kurdischen Partei HDP. Deren Co-Chef, Selahattin Demirtas, sitzt seit rund drei Jahren in Haft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2018 seine Freilassung angeordnet hatte.
Unterdessen begann in der Hauptstadt Ankara der Prozess gegen den Grünen-Politiker Memet Kilic, der die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Er ist wegen angeblicher Beleidigung Erdogans angeklagt. Das Gericht erließ Haftbefehl gegen Kilic und lehnte einen Antrag seines Verteidigers ab, ihn in Deutschland zu vernehmen, wo er seinen Wohnsitz hat.
Für den 52-Jährigen bedeutet dies, dass er bei der Einreise in die Türkei mit großer Wahrscheinlichkeit festgenommen würde. Kilic gehörte von 2009 bis 2013 dem Deutschen Bundestag an und arbeitet heute als Rechtsanwalt in Heidelberg. Vom Ausgang des Prozesses könnte auch seine Zulassung als Anwalt abhängen.
jj/se (dpa, afp)