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Hunger-Katastrophe im Tschadsee-Becken

Jens Borchers19. September 2016

Erst kam der Terror von Boko Haram. Dann kam der Hunger. Der Ausweg aus der Krise - für Millionen Menschen rund um den Tschadsee ist er nicht greifbar, weil Hilfskräfte das umkämpfte Gebiet noch immer meiden.

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Im Spital von Ärzte ohne Grenzen in Maiduguri Foto: MSF/C. Magone
Im Spital von Ärzte ohne Grenzen in MaiduguriBild: MSF/C. Magone

Die humanitäre Krise im Tschadsee-Becken sei so gravierend wie kaum eine andere, sagen hochrangige Mitarbeiter der Vereinten Nationen. Samantha Power, Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen, hat sich die Lage in der Region um den Tschadsee persönlich angeschaut. Es sei die größte Vertreibungskrise in Afrika: "Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat kürzlich gewarnt: Im Nordosten Nigerias vergeht kein Tag, ohne dass ein Kind verhungert", so Power. "Das kann man verhindern. Wir brauchen mehr Medienberichte darüber. Und ehrgeizigere Maßnahmen gegen die Krise."

Von solchen Appellen in internationalen Konferenzräumen bekommt Fatima Ali nichts mit. Die junge Frau ist vor Wochen mit ihrer Familie im Nordosten Nigerias vor der Terror-Miliz Boko Haram geflohen. Jetzt besucht sie eine Hilfseinrichtung von Ärzte ohne Grenzen in der Stadt Maiduguri. Einer ihrer Söhne, zwei Jahre alt, droht zu sterben. Er hat blutigen Durchfall. Fatima hat lange versucht, mit traditionellen Heilmitteln dagegen anzukämpfen - ohne Erfolg. "Wir haben kein Geld für Ärzte", sagt Ali. Erst jetzt hat sie erfahren, dass die Behandlung in der Klinik von Ärzte ohne Grenzen nichts kostet.

Zwei Millionen Menschen von jeder Hilfe abgeschnitten

In der Klinik werden die Helfer überrannt: Eltern bringen ihre bis auf die Knochen abgemagerten Kinder. Schwangere hoffen, hier entbinden zu können. Mehr als eine Million Menschen haben sich in die Stadt Maiduguri geflüchtet. Vertriebene aus den riesigen Gebieten, in denen die Terror-Miliz Boko Haram wütet.

Karte Niger Nigeria Tschad Tschadsee Maiduguri Deutsch

Kürzlich war Arjen de Wagt vom Kinderhilfswerk UNICEF in der Region. "Wir schätzen, dass immer noch zwei Millionen Menschen in komplett unzugänglichen Gebieten stecken", sagt er. "Menschen, die keine Nahrungsmittel anbauen können. Und wenn sie es konnten, dann haben Boko Haram-Kämpfer sie gestohlen."

Die Sicherheitslage erlaubt es immer noch nicht, Hilfskonvois, Ärzte und Helfer dorthin zu schicken. Was an Informationen verfügbar ist, stammt zu einem großen Teil aus Erzählungen der Vertriebenen. Sie berichten von Gewalt, von Mord, Vergewaltigung, Krankheit und vor allem von Hunger.

Klimawandel verschärft die Lage

Die humanitäre Katastrophe ist keineswegs auf den Nordosten Nigerias beschränkt. Die Nachbarstaaten Niger, Kamerun und Tschad sind ebenso betroffen.

Samantha Power zu Besuch bei Familien, die vor Boko Haram nach Kamerun geflohen sind Foto: picture alliance/AP Photo/A. Harnik
Samantha Power traf sich im April 2016 mit Familien, die vor Boko Haram nach Kamerun geflohen sindBild: picture alliance/AP Photo/A. Harnik

Und die Krise ist auch nicht ausschließlich Folge des Terrorismus. Der Klimawandel lässt den Tschadsee austrocknen. Dadurch fehlt Wasser auf den einst fruchtbaren Feldern, die Nahrungsmittelproduktion reicht nicht mehr aus. "Wenn man sich anschaut, dass rund neun Millionen Menschen in der Tschadsee-Region humanitäre Hilfe brauchen - das ist enorm", warnt deshalb auch Toby Lanzer, Koordinator der Vereinten Nationen für die Sahel-Region. "Keine Regierung der Welt kommt mit so etwas alleine klar."

Internationale Hilfe kommt aber nur langsam. Und vergleichsweise spärlich. Deshalb mahnte die US-amerikanische Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, schon vor Monaten: "Die humanitäre Katastrophe im Tschadsee-Becken hat nicht die internationale Beachtung gefunden wie das Leiden der Syrer, Iraker oder der Süd-Sudanesen."