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Politik

Hungerstreikende Akademiker bleiben in Haft

14. September 2017

Begleitet von Ausschreitungen begann in Ankara der Prozess gegen Nuriye Gülmen und Semih Özakca. Sie gelten als Symbolfiguren des Protests gegen die Massenentlassungen in der Türkei nach dem gescheiterten Putsch.

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Türkei Ankara Protest während Prozess gegen Nuriye Gülmen & Semih Özakca
Vor dem Gerichtsgebäude geht die Polizei rigoros gegen Unterstützer der Angeklagten vor Bild: Reuters/U. Bektas

Die Literaturdozentin Nuriye Gülmen und der Lehrer Semih Özakca konnten selbst nicht an der Anhörung in dem Gericht in Ankara teilnehmen. Die Behörden hatten es am Morgen abgelehnt, sie aus dem Gefängniskrankenhaus abzuholen. Begründet wurde dies mit ihrem kritischen Gesundheitszustand und einer Überlastung der für Gefangenentransporte zuständigen Gendarmerie. Die Richter entschieden kurz nach Beginn des Verfahrens, dass beide in Haft bleiben müssen. Zur Begründung hieß es, sie hätten kein eigenes Plädoyer halten können.

Vor dem Gebäude versammelten sich zahlreiche Unterstützer der Angeklagten. Die Polizei setzte laut Augenzeugen Tränengas und Schlagstöcke ein, um die Menge, die immer wieder skandierte: "Nuriye und Semih sind nicht allein", zu zerstreuen. Abgeordnete der oppositionellen CHP und HDP wollten zu den Anhängern der Angeklagten sprechen, wurden jedoch von Sicherheitskräften daran gehindert. Polizisten nahmen mindestens 24 Menschen fest. Auch vor dem Gerichtssaal gab es Tumulte, als Anwälte, Angehörige und Unterstützer versuchten, in den Raum zu gelangen. 

Türkei Hungerstreik Nuriye Gülmen & Semih Özakca, Archivbild
Nuriye Gülmen (l.) und Semih Özakca im Mai, einige Tage vor ihrer Festnahme Bild: picture-alliance/AFP/A. Altan

Anklage: "Mitgliedschaft in verbotener Terrorgruppe"

Unter "Terrorvorwürfen" ließen die Behörden vor Prozessbeginn auch mindestens 15 Anwälte des Büros für Volksrechte (HHB) festnehmen, die Gülmen und Özakca vertreten sollten. Andere Mitglieder des Büros übernahmen die Verteidigung. Gülmen und Özakca müssen sich wegen Mitgliedschaft in der verbotenen DHKP-C verantworten, einer linksextremen antiwestlichen Gruppierung, die gelegentlich Anschläge in der Türkei verübt. Die Angeklagten weisen die Vorwürfe entschieden zurück und werfen der Justiz vor, sie auf diese Weise zum Schweigen bringen zu wollen.

Viele linke Oppositionsgruppen haben sich mit Gülmen und Özakca solidarisiert. In den vergangenen Monaten gab es im Zentrum der türkischen Hauptstadt fast täglich Kundgebungen zu ihrer Unterstützung. Zugleich drängen viele Oppositionelle die beiden Akademiker, nicht ihr Leben aufs Spiel zu setzen und den Hungerstreik zu beenden.

Eine Frau gegen Erdogan

Fast 100.000 Beschwerden wegen Entlassung

Gülmen und Özakca gehören zu den mehr als 140.000 Staatsangestellten, die seit dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 in der Türkei per Notstandsdekret ohne Angabe von Gründen entlassen oder suspendiert wurden. Neben Anhängern der verbotenen Gülen-Bewegung sind auch viele andere Regierungsgegner betroffen. Nach Angaben von Vize-Regierungschef Bekir Bozdag haben inzwischen 98.252 Menschen bei der zuständigen Regierungskommission Beschwerde gegen ihre Entlassung oder Suspendierung eingelegt.

Über Monate demonstrierten Gülmen und Özakca aus Protest gegen ihre Entlassung täglich auf einem kleinen Platz in Ankara, bevor sie am 9. März einen Hungerstreik begannen. Die beiden Akademiker nehmen seit Monaten nur gesalzenes und gezuckertes Wasser, Kräutertee und Vitamin B1 zu sich. Sie wurden etliche Male von der Polizei in Gewahrsam genommen, bevor sie am 22. Mai ins Gefängnis kamen. Auch Özakcas Ehefrau Esra ist seit der Festnahme ihres Mannes im Hungerstreik und steht seit Juli unter Hausarrest.    

se/jj (dpa, ard, afp, rtr)