Besuch auf Robben Island
6. Dezember 2013"Wir dienen mit Stolz" steht über dem Tor, durch das die Touristen das mit Stacheldraht umsäumte Gefängnisareal betreten. Mit dem Schnellboot sind sie aus Kapstadt gekommen. Wer hier heute wem dient, ist nicht zu ergründen - in den 1970er und 1980er Jahren waren es teilweise sadistische Gefängniswärter, die einem weißen, rassistischen Minderheitsregime zu Dienst waren. "Hier ist Dein brauner Zucker für den Maisbrei. Du weißt ja, der weiße Zucker ist für uns Weiße reserviert", beschreibt Mandela in seiner Biographie "Langer Weg zur Freiheit" die alltäglichen Unterdrückungsrituale:
"05.30: Aufstehen und Zelle aufräumen. 06:00: Frühstück aus Maisbrei und Maiskaffee. 07:00 bis 11:00: Arbeit im Steinbruch.14:30: Abendessen: jeden zweiten Tag altes Fleisch.15:00 - 06:00 Zelleneinschluss: Lernen und Schlafen."
Musik und Theater gegen den Wahnsinn
"Wie ist es für Sie, heute wieder hier zu sein, an diesem Ort der Erniedrigung?", fragt eine Teilnehmerin unseren Touristenführer, Itumeleng Makwela. Er war 1982 als Guerillakämpfer der ANC-Armee "Speer der Nation" verhaftet wurden. Zunächst wurde er in einem politischen Gefängnis in Pretoria gefoltert und später nach Robben Island gebracht. Dort saß er sieben Jahre ein. Heute arbeitet er als Touristenführer. "Nein", antwortet Makwela auf die Frage, "dies war kein trauriger Platz. Wir haben Robben Island zu unserem Heim gemacht". Grinsend erzählt er von der Jazzband und dem Gefangenenchor - in beiden mischte er kräftig mit. Zu Weihnachten gab es Auftritte vor den Mithäftlingen. "Sie hätten mal unsere Zulu-Tänze sehen sollen", scherzt er.
Auf dem Gefängnishof deutet Makwela auf die staubigen Gartenbeete - damals liebevoll gepflegt von Mandela und seinen Mitgefangenen. In den späteren Jahren bekamen sie einige Privilegien, durften Theater spielen oder Tennis. "Wir haben die Tennisbälle aufgeschlitzt und Geheimbotschaften hineingeschoben. Die Bälle haben wir dann wie zufällig über die Mauer in die andere Sektion geschlagen - so konnten wir untereinander kommunizieren", erklärt der ehemalige Freiheitskämpfer.
Der Höhepunkt der Touristentour ist der Zellentrakt B und Mandelas ehemalige Zelle mit der inzwischen weltberühmten Nummer 5. Der Raum ist vier Quadratmeter groß, und spärlich ausgestattet: Ein tiefer und ein flacher Teller, ein Löffel, ein kleiner Schrank, eine zwei Zentimeter dicke Schlafmatte, eine Wolldecke. Auch Mandelas Häftlingsnummer ist weltbekannt: "46664" - das war sein Name, 18 Jahre lang.
Pilgerstätte nicht länger nur für Weiße
Schon auf der Fähre auf dem Weg von Kapstadt ist die große Zahl schwarzer Besucher aufgefallen. Jahrelang war das Museum Robben Island eine Anlaufstelle für mehrheitlich weiße, oft europäische Touristen. Nun kommen auch Besucher aus dem Rest der Welt und schwarze Südafrikaner.
Einer hält sich auffällig am Rand der Gruppe. Ndikho Mtshizelwa, ein Akademiker von der Universität Südafrika (UNISA) in Pretoria, kann dem Trubel wenig abgewinnender. Er besucht Robben Island auf Drängen seiner Frau. "Wissen Sie, ich habe eine etwas andere Sichtweise auf Mandela", erklärt er. Was die politische Befreiung angeht, gebühre ihm alle Ehre. Doch was die wirtschaftliche Befreiung angehe, habe der erste schwarze Präsident versagt. "Die Befreiung schwarzer Südafrikaner aus der Armut, die aus der Apartheid resultiert, hätte seine oberste Priorität sein sollen." Der Besucher bittet deshalb um Verständnis, dass er Mandelas Beitrag zum neuen Südafrika "nicht feiern" möchte.
Es gibt dieser Tage wenige Südafrikaner, die sich kritisch zur Freiheitsikone Mandela äußern. Dabei haben diverse Biographen über die Jahre Details veröffentlicht, die Mandela nicht nur in einem positiven Licht erscheinen lassen.
Madiba-Magic
Die Rundfahrt geht später vorbei am Inselfriedhof und dem berüchtigten Steinbruch, in dem die Gefangenen unter glühend heißer Sonne viele Stunden am Tag arbeiten mussten. Nelson Mandela schützte sich nach seiner Freilassung 1990 bei Presseterminen vor Blitzlichtgewitter: Seine Augen waren von der Reflektion der afrikanischen Sonne im Kalkbruch schwer geschädigt.
Im etwas lieblosen Souvenirshop der Insel steht auf der Eistheke ein gerahmtes Foto mit Aufnahmen von Mandela und einem schnauzbärtigen Weißen - Christo Brand. Im Laufe seiner Gefangenschaft freundete sich Mandela mit dem damals erst 18-jährigen, stramm konservativen Wärter an und blieb ihm nach seiner Freilassung 1990 freundschaftlich verbunden. Es sind diese Anekdoten, die Mandelas Ruf als einer der größten Versöhner der Geschichte begründen.
Keine Friedensdividende für die alten Kämpfer
Am Ende der Tour ergibt sich noch ein Schwätzchen mit Tourguide Itumeleng Makwela. Hat er seine Opfer für den Struggle, für den Unabhängigkeitskampf, jemals bereut? "Wir haben ein Problem hier: Die, für die wir gekämpft haben, und die heute reich und mächtig sind, kümmern sich einen Dreck um uns. Warum kümmern die sich nicht um uns? Sie sind doch nur wegen uns so weit gekommen, wegen der Opfer, die wir erbracht haben." Makwela meint die Politiker seiner eigenen Partei, des ANC.
Am Fähranleger hat Mandela-Kritiker Ndikho Mtshizelwa dann noch eine letzte Botschaft für den Reporter. "Sehen Sie", sagt er und rückt bedächtig seinen Hut zurecht. "Mandela hat von Versöhnung gesprochen. Stellen Sie sich vor, ich stehle Ihnen jetzt Ihre Ausrüstung - so wie die Weißen uns unsere Minen gestohlen haben. Und dann komme ich zu Ihnen und sage: Nun wollen wir uns aber versöhnen - aber die Tasche bekommen Sie nicht zurück."
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