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PolitikEuropa

"USA und Russland müssen abrüsten"

16. Juni 2021

Die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Abrüstungsinitiative ICAN fordert vom USA-Russland-Gipfel in Genf schnellere Fortschritte. Das weltweite Risiko ist hoch, sagt die Chefin von ICAN, Beatrice Fihn, im DW-Interview.

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Korea USA Atomraketen
Bild: picture-alliance/dpa/Jeon Heon-Kyun

DW: Die USA und Russland besitzen den überwiegenden Teil der nuklearen Waffen in der Welt. Die beiden Präsidenten treffen sich hier in Genf. Was erwarten Sie von ihnen?

Beatrice Fihn: In den letzten zehn Jahren haben sich die Beziehungen der beiden Länder ständig verschlechtert. Wir haben den Rückzug aus bilateralen Rüstungsverträgen und eine Modernisierung der Waffenarsenale erlebt. Deshalb hoffe ich sehr, dass die beiden die große Bedrohung anerkennen und sich darauf verständigen, wieder an Abrüstung, Rüstungskontrolle und an einem erneuten START-Vertrag (zur Reduzierung strategischer Atomwaffen, Anm. der Red.) zu arbeiten. 

Es sind nicht mehr viele Verträge übrig zwischen den beiden Staaten, die Abrüstung oder Rüstungskontrolle regeln würden, nach dem die Abkommen über Mittelstreckenwaffen und Kontrollflüge gekündigt wurden. Was wäre notwendig?

Am 1. Januar dieses Jahres ist der globale Vertrag der Vereinten Nationen zur Abschaffung von Atomwaffen in Kraft getreten, aber weder die USA noch Russland sind diesem Vertrag bisher beigetreten. Ich hoffe, dass die beiden dies als Anstoß dazu nutzen können, das zu tun, was der Rest der Welt will: eine Reduzierung der Atomwaffen. Das fängt damit an, dass die beiden Staaten ihre Arsenale reduzieren und die Bedeutung dieser Waffen in ihren militärischen Doktrinen verringern.

Glauben Sie, dass die neue Biden-Regierung sich hier wirklich engagieren will?

Schweiz Genf | Beatrice Fihn, Executive Director von ICAN
Beatrice Fihn ist die Direktorin der Internationalen Kampagne für die Abschaffung von Nuklearwaffen (ICAN) mit Sitz in Genf.Bild: Bernd Riegert/DW

Ich denke, es gibt den Willen. Unmittelbar nachdem Präsident Biden sein Amt antrat, hat er die Laufzeit des New START-Vertrages über Interkontinentalwaffen verlängert. Es war sehr positiv, dass er das so schnell gemacht hat. Das bedeutet, dass beide Seiten jetzt vier Jahre Zeit haben, um über neue Abkommen zu verhandeln. Wir brauchen keine Verlängerung des status quo, der uns in einer sehr riskanten Situation verharren lassen würde. Wir brauchen mehr Reduzierung, weil es um so viel geht. Die globale Sicherheit steht auf dem Spiel. Ich hoffe, die beiden Anführer finden heute zu einander, nicht um schon konkrete Vereinbarungen zu treffen, sondern um den Kurs für die nächsten vier Jahre zu bestimmen. Der New START-Vertrag, der 2010 geschlossen worden war, wäre ausgelaufen. Der sollte ja eigentlich zu einer Reduzierung der Atomwaffen führen, was nicht gelang. Also leben wir jetzt sozusagen mit geborgter Zeit. Jetzt muss man sich beeilen, denn niemand weiß, was nach Putin oder was nach Biden kommt. Wir brauchen eine Vereinbarung zur Abrüstung jetzt, um das Risiko zu verringern.

Wie sieht es auf der russischen Seite aus? Welchen Anreiz hätte Wladimir Putin, sich für Abrüstung zu engagieren?

Das anhaltende nukleare Wettrüsten ist extrem riskant. Jeder Einsatz atomarer Waffen hätte katastrophale humanitäre Konsequenzen. Russland hat keine Kapazitäten, um mit den Folgen eines nuklearen Krieges fertig zu werden. Es gibt kein Gesundheitswesen in der Welt, das mit einem solchen Desaster umgehen könnte. Noch mehr Atomwaffen werden die Unsicherheit nur noch steigern. Deshalb hat auch Russland den Anreiz, diese Waffen zu reduzieren und eine sichere Welt zu schaffen.

Müssen die beiden Präsidenten sich nicht auch Gedanken über andere Atommächte machen? Andere Staaten, wie Nordkorea, China, Indien, Pakistan, Israel und Iran streben nach Atomwaffen oder haben sie.

Wir sehen einen Besorgnis erregenden Trend. China, aber auch Großbritannien, steigert die Zahl seiner Atomsprengköpfe um 40 Prozent. Trotzdem bleibt es dabei, dass Russland und die USA über 90 Prozent des weltweiten Arsenals verfügen. Sie müssen die Führung übernehmen. Wenn sie wollen, dass andere an den Verhandlungstisch kommen, müssen sie anfangen.

Beatrice Fihn (39) ist Direktorin der "Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen" (ICAN), die weltweit die Zivilgesellschaft gegen atomare Rüstung mobilisiert. Die schwedische Juristin nahm 2017 den Friedensnobelpreis für ICAN entgegen.

Die Fragen stellte Bernd Riegert in Genf. 

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union