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Ifo-Institut schlägt Exit-Strategie vor

3. April 2020

Bis zum 19. April soll sich an den in der Corona-Krise geltenden Beschränkungen nichts ändern. Und dann? Eine Gruppe von Wissenschaftlern legt jetzt einen Plan zum Ausstieg vor. Der wird wohl eine ganze Weile dauern.

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Symbolbild Exit Shutdown
Bild: picture-alliance/Eibner-Pressefoto/Weber

Drastische Ausgangsbeschränkungen, weitgehend geschlossene Unternehmen, Geschäfte und Restaurants, immer mehr Arbeitslose, eine bislang unvorstellbare Neuverschuldung des Staats - der wirtschaftliche und gesellschaftliche Stillstand, mit dem die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamt werden soll, belastet die Republik und die Welt. Zwar steht Deutschland in vielerlei Hinsicht noch vergleichsweise gut da, doch mit jedem Tag steigt die Gefahr von irreparablen Schäden.

Wie lange kann Deutschland das aushalten? Das haben sich auch 14 Wissenschaftler gefragt, die unter Federführung des Münchener Ifo-Instituts eine interdisziplinäre Exit-Strategie entworfen haben. Darunter Ökonomen, Ärzte, Medizinethiker, Sozialpsychologen und Juristen. Ihr Fazit: "Die Rückkehr zur Normalität kann aller Wahrscheinlichkeit nach nur langfristig und mit bedeutsamen Anstrengungen und Kosten erreicht werden."

Je länger, je teurer

Die drei Ökonomen unter den Wissenschaftlern, allen voran der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, rechnen vor, dass jeder Tag, den Deutschland im Shutdown verbringt, milliardenschwere Schäden verursacht. Je länger der wirtschaftliche Stillstand anhält, umso gravierender würden die Folgen für die Konjunktur sein. Auch andere Ökonomen warnen davor, dass ein länger als drei Monate andauernder wirtschaftlicher Stillstand die Konjunktur so einbrechen lassen, dass sie sich auf lange Zeit wahrscheinlich nicht erholen würde.

Interview mit ifo-Chef Clemens Fuest zum Rettungsschirm

Würden die aktuellen Einschränkungen vollständig aufgehoben, könnte sich das weiterhin in Deutschland vorhandene Virus in der weitgehend nicht immunen Bevölkerung erneut sehr rasch ausbreiten und eine große Zahl schwerer Erkrankungen verursachen, schreiben die Wissenschaftler in ihren 30 Seiten langen Empfehlungen. Denn eine wirksame Schutzimpfung oder eine breit anwendbare Therapie stünden voraussichtlich nicht vor 2021 zur Verfügung.

Jede Öffnung: Eine Gratwanderung

Das berücksichtigend soll die Exit-Strategie "flexibel und risikoadaptiert" sein. Empfohlen wird "ein schrittweiser Übergang zu einer am jeweils aktuellen Risiko orientierten Strategie, die eine Lockerung von Beschränkungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld mit weiterhin effektivem Gesundheitsschutz verbindet". Eine Gratwanderung also, die darauf hinausläuft, dass erst einmal nur die größten Härten abgemildert werden können und das auch nur, wenn damit eine erneute rasche Ausbreitung des Erregers weitgehend unterbunden werden kann. Wenn nicht, dann muss das Rad zurückgedreht werden.

Unter dieser generellen Überschrift sind allerdings bestimmte Kriterien zu berücksichtigen. Denn was nützen drastische Ausgangsbeschränkungen, wenn in der Folge an anderer Stelle viel größere Schäden entstehen. Es gelte, "soziale und psychische Härten bei der Pandemiebekämpfung so weit wie möglich zu vermeiden", sagen die Wissenschaftler, "wirtschaftliche Aktivitäten möglich zu machen, ohne unnötige gesundheitliche Risiken einzugehen" und "Grundrechtseingriffe dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gemäß auf das erforderliche und angemessene Maß zu beschränken".

Kinderbetreuung steht ganz oben

Konkret wird in der Strategie vorgeschlagen, Bereiche mit niedriger Ansteckungsgefahr, also zum Beispiel hochautomatisierte Fabriken zuerst wieder anlaufen zu lassen. Hohe Wertschöpfung, wie sie insbesondere Teile des verarbeitenden Gewerbes aufweisen, sollte als Kriterium für prioritäre Öffnung berücksichtigt werden. Ganz wichtig sei die massive Steigerung der Produktion von Schutzkleidung und -masken sowie die Sicherung von Produktionskapazität für Impfstoffe und Medikamente in Deutschland.

Als Voraussetzung für das Wiederanlaufen der Wirtschaft sehen die Wissenschaftler die Notwendigkeit, Kindertagesstätten und Schulen so schnell wie möglich wieder zu öffnen. Zumal jüngere Menschen die geringste Gefährdung hätten, schwerwiegend an Covid-19 zu erkranken. Im Gegensatz dazu werden Menschen, deren Erkrankungsrisiko besonders hoch ist, länger isoliert bleiben müssen. Für sie müsse es erweiterte Hilfen geben und die entsprechende Finanzierung.

Deutschland Krankenhausärzte erhalten Anweisungen zu einem Beatmungsgerät am Universitätsspital Eppendorf in Hamburg
Schulen für den Ernstfall: Intensivstationen weisen Pflegepersonal einBild: picture-alliance/AP Photo/A. Heimken

Keine Planwirtschaft

Wann und wo Betriebe wieder produzieren können, muss den Empfehlungen nach auch von regionalen Kriterien abhängen. Wie hoch sind die Infektionsraten? Wie verbreitet ist das Virus? Sind bereits viele Menschen immunisiert? Gibt es genügend Krankenhäuser und Ärzte, um Infizierte zu behandeln? Regionen, in denen diese Fragen zufriedenstellend beantwortet werden können, sollen schneller Lockerungen umsetzen können als andere Regionen. Zudem könnten Menschen, die gut mit Homeoffice und digitalen Techniken arbeiten könnten, am längsten zuhause bleiben.

Das Wiederanlaufen der Wirtschaft für ganz Deutschland vorzugeben, davon halten die Wissenschaftler nichts. "Der Versuch, die Wiederaufnahme der Produktion zentral zu steuern, hätte planwirtschaftlichen Charakter und würde in der Praxis nicht funktionieren. Diese Wiederaufnahme muss vorrangig von den Einrichtungen und Unternehmen selbst gesteuert werden." Auf Bundesebene könnten hier nur Rahmenbedingungen und Kriterien empfohlen werden.

Experten sollen sich vernetzen

Die sollen von einer Corona-Taskforce kommen, die bundesweit sowie regional auf der Ebene der Bundesländer gebildet werden soll. In ihr sollen Experten für die verschiedenen genannten Ziele mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zusammenwirken. Aufgabe der Taskforce soll sein, die politische Entscheidungsfindung vorzubereiten und entsprechende Empfehlungen zu geben sowie die Umsetzung dieser Entscheidungen zu begleiten und zu kommunizieren.

Das Thema Kommunikation wird im interdisziplinären Strategiepapier ganz großgeschrieben. Ein geordneter und erfolgreicher Ausstieg aus dem Shutdown sei nicht möglich sein, ohne die Bürger wirklich mitzunehmen. "Planungen für die stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit/Produktion müssen hinreichend früh vorliegen und kommuniziert sein, damit die betroffenen Akteure, etwa Unternehmen und Bildungseinrichtungen, eigene Vorkehrungen für die Öffnung beginnen können"

Empfohlen wird eine offene und transparente Kommunikation. Die Menschen müssten das Gefühl haben, umfassend informiert zu sein und den staatlichen Stellen vertrauen zu können.