IGH ordnet "sofortigen" Stopp von Israels Rafah-Offensive an
24. Mai 2024Israel muss auf Anordnung des Internationalen Gerichtshofs die Militäroffensive in Rafah unverzüglich einstellen. Weiter untersagte das oberste UN-Gericht in Den Haag jegliche andere Aktion Israels, die eine Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung insgesamt oder in Teilen zur Folge haben könnte. Die Gefahr eines Völkermords sei weiterhin "plausibel", heißt es in dem Beschluss.
Gerichtspräsident Nawaf Salam begründete die neuen Maßnahmen mit der verschlechterten humanitären Lage im Süden des Gazastreifens. Mit seiner Entscheidung gab der Gerichtshof einem Eilantrag Südafrikas statt.
Was hat Südafrika vor dem IGH in Den Haag gegen Israel beantragt?
Der Staat Südafrika bezieht sich mit seiner Klage gegen Israel auf die Völkermord-Konvention. Demnach solle der Gerichtshof "vorläufige Maßnahmen" anordnen, die Israel dazu bringen sollen, seine Militäroperation gegen die Hamas im Gazastreifen einzustellen. Dies solle die Versorgung der Palästinenser im Gazastreifen ermöglichen. Israel solle außerdem Rechenschaft über seine bisherigen Schritte ablegen.
Südafrika begründet seinen neuerlichen Antrag auf vorläufige Anordnungen des Gerichts mit der sich weiter zuspitzenden Lage rund um die Stadt Rafah im Gazastreifen. Weil Israel nun auch in Rafah militärisch gegen die Hamas vorgeht, sind Hunderttausende Menschen erneut auf der Flucht. Der Grenzübergang Rafah zu Ägypten, der für die Versorgung unerlässlich ist, ist geschlossen.
Wie reagiert Israel auf die IGH-Entscheidung?
Aus dem Büros von Benjamin Netanjahu heißt es, der Premierminister werde sich unter anderem mit der Generalstaatsanwältin, dem Justizminister, dem Außenminister sowie dem Verteidigungsminister beraten. Vor dem Gerichtshof hatten die israelischen Vertreter stets darauf hingewiesen, dass ein militärisches Vorgehen gegen die Hamas-Terroristen in Rafah unabdingbar sei. Die Hamas hatte am 7. Oktober 2023 über 1400 Menschen, hauptsächlich israelische Bürger, getötet oder verschleppt.
Zivile Opfer seien im Häuserkampf in dicht besiedelten Städten nur schwer zu vermeiden, so die israelische Regierung. Die Kämpfe würden sofort eingestellt, sobald die Hamas sich ergebe oder geschlagen sei. Sie wird von den USA, der EU und anderen als Terrororganisation eingestuft. Israel bestreitet deshalb, alleine für die katastrophale humanitäre Lage der Zivilisten verantwortlich zu sein und nicht genug für deren Versorgung zu unternehmen.
Was hat das Gericht bisher entschieden?
Der Internationale Gerichtshof hatte bereits zweimal, im Januar und im März 2024, auf Antrag Südafrikas "vorläufige Maßnahmen" gegen Israel angeordnet. Im Januar hatten die Richterinnen und Richter entschieden, dass Israel alles unternehmen müsse, um die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung sicherzustellen und zivile Opfer zu vermeiden. Bisher sollen nach palästinensischen Angaben 35.000 Menschen getötet worden seien. Im März hat der Gerichtshof seine Anordnungen noch einmal wiederholt und verschärft, weil sich die Lage der Zivilbevölkerung in Gaza nach Angaben der Vereinten Nationen einer Hungersnot annäherte.
Welche Folgen haben Entscheidungen des Gerichts?
Auf die Lage in Gaza und Israel hatten sich die bisherigen Anordnungen des Gerichts wenig ausgewirkt. Zwar ist der politische Druck auf Israel gestiegen, doch dessen Regierung zeigte sich bislang unbeeindruckt. Dabei sind die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes für Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, zu denen Israel gehört, bindend. Das Gericht hat aber keine Mittel, keine Polizei oder andere Sicherheitskräfte, um seine Urteile tatsächlich durchzusetzen. Auch in anderen Fällen ignorieren die Beklagten die Entscheidungen aus Den Haag. Russland wurde zum Beispiel verurteilt, seine rechtswidrige Invasion der Ukraine zu stoppen - ohne Konsequenzen.
Warum hat Südafrika Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermordes verklagt?
Im Dezember vergangenen Jahres hat Südafrika Israel wegen Verletzung der UN-Konvention zur Verhinderung von Völkermord verklagt. Israels Vorgehen im Gazastreifen im Krieg gegen die Hamas führe zur Ausrottung der palästinensischen Bevölkerungsgruppe. Israel bestreitet, gegen die Völkermord-Konvention zu verstoßen, weil es sein Recht auf Selbstverteidigung ausübe. Der Gerichtshof hat sich für zuständig erklärt und die Klage Südafrikas angenommen. Auf der Grundlage dieses Hauptsacheverfahrens hatte Südafrika erneut "vorläufige Maßnahmen" beantragt, die das Gericht vor dem Hintergrund der Völkermordklage nun auch angeordnet hat. Die Hauptsache, also die Frage, ob Israel eventuell Völkermord begeht, wird aber erfahrungsgemäß erst in einigen Jahren nach ausführlichen Verhandlungen und Beratungen entschieden. Kolumbien und die Türkei wollen sich der Klage Südafrikas anschließen.
Warum ist der Gerichtshof in Den Haag zuständig?
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist ein Organ der Vereinten Nationen. Jedes reguläre Mitglied der Vereinten Nationen ist automatisch dem Gerichtshof gegenüber verantwortlich. In Den Haag können nur Staaten andere Staaten verklagen, um Streitigkeiten untereinander zu regeln oder Verstöße gegen die UN-Charta oder andere UN-Konventionen klären lassen. Für die Durchsetzung der Urteile sind die Staaten selbst verantwortlich. Das Gericht hat - wie gesagt - keine Polizeitruppe zur Verfügung. Der Internationale Gerichtshof ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), vor dem natürliche Personen wegen Verstößen gegen das Völkerrecht belangt werden können. Der Chefankläger des IStGH hat bereits Haftbefehle gegen die Hamas-Führung und Vertreter der israelischen Regierung beantragt. Der Sitz des IStGH ist ebenfalls in Den Haag.
Dieser Artikel wurde am 16.05.2024 erstmals veröffentlicht und am 24.05.2024 aktualisiert.