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"Barbarischer Akt"

Cornelia Wegerhoff6. Dezember 2012

Trotz eines gesetzlichen Verbotes nimmt die weibliche Genitalverstümmelung in Ägypten überraschend wieder zu. Die Islamisten wollen die Frauen-Beschneidung sogar wieder legalisieren lassen.

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Eine Ägypterin steht am Nil und blickt in die Ferne (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/akg

Umm Mohamed lebt in Kairo genau dort, wo andere ihren Müll hinbringen lassen. Doch den Alltag in Dreck und Elend sei sie ihr Leben lang gewohnt, sagt die Ägypterin tapfer. Nur die Erinnerung an ihr persönliches Leid, das ihr vor 35 Jahren passiert ist, kann die Muslimin bis heute nicht ertragen. Als sie zwölf Jahre alt war, brachten fast alle Eltern in ihrem Viertel ihre Töchter, die im gleichen Alter waren, zu einem Friseur. "Wir wussten nicht wieso. Wir haben uns noch gefreut, denn jedes Mädchen hatte vorher ein neues, weißes Kleid bekommen", erzählt Umm Mohamed. Ihre Hände wurden zur Feier des Tages mit Henna bemalt. Sie seien stolz gewesen, aber dann kam der Schock. "Der fremde Mann zog uns plötzlich aus. Dann holte er sein Rasiermesser".

"Warum tut meine Familie mir das an?"

Drei Tage lang habe sie geblutet. Schließlich hätte ihr Vater beim Bäcker Asche geholt, um die Wunde zu stopfen. Durch den Schmutz sei alles noch schlimmer geworden. "Ich weiß noch, dass ich mich immer wieder gefragt habe, warum meine Familie mir das antut", sagt die heute 47-Jährige mit Tränen in den Augen. Ein anderes Mädchen aus ihrer Nachbarschaft sei damals sogar nach dem Eingriff gestorben.

Ein Slum in der äyptischen Hauptstadt Kairo (Foto: DPA)
Besonders in den Armenvierteln ist die Rate hochBild: picture-alliance/dpa

Nach einer Häufung von Todesfällen wurde die weibliche Genitalverstümmelung 2008 in Ägypten gesetzlich verboten. Ärzten und Hebammen, die traditionell auf dem Land den Eingriff vornehmen, droht seither eine Gefängnisstrafe. Auch der ägyptische Großmufti hatte in einer sogenannten Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten, vorab klargestellt, dass die weibliche Genitalverstümmelung nicht mit den Werten des Islam vereinbar sei.

Mädchen-Beschneidungen zum doppelten Preis

Doch seit der Revolution nehme die Zahl der Mädchen-Beschneidungen plötzlich wieder zu, hat Umm Mohamed in ihrer Gegend beobachtet. Zu Zeiten des Mubarak-Regimes hätten sich die Leute noch vor den Strafen gefürchtet. Doch jetzt würden es die Ärzte in ihrem Viertel nicht mal mehr heimlich tun, ärgert sich die Ägypterin. "Sie beschneiden tagsüber kleine Jungen. Und Mädchen beschneiden sie nachts zum doppelten Preis. Alle Leute wissen das."

Couragiert ist die einfache Frau sogar selbst zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten. Aber die Beamten sagten mir, sie hätten andere Probleme, berichtet die dreifache Mutter, die ihrer eigenen Tochter das Leid der Beschneidung ersparen konnte.

Was für die meisten Ägypterinnen tabu ist, spricht Umm Mohamed offen aus: Dass die meisten der Opfer unter chronischen Schmerzen leiden, sexuelle Probleme haben und Schwierigkeiten bei Schwangerschaft und Geburt. Das bestätigt auch die Kairoer Frauenärztin Omayma Idris. Derzeit sollen über 90 Prozent der verheirateten Ägypterinnen beschnitten sein, so die Gynäkologin. Nach dem gesetzlichen Verbot hätte man einen Rückgang beobachten können. "Aber seitdem die Muslimbrüder und andere Islamisten in Ägypten das Sagen haben, steigen die Zahlen wieder. Sie ermutigen die Familien, es wieder zu tun." Dabei würden nicht mal die streng gläubigen Muslime in Saudi-Arabien Mädchen oder Frauen beschneiden.

Islamisten streben Legalisierung an

Salafisten und Vertreter der Muslimbruderschaft, der politischen Heimat von Ägyptens Präsident Mohamed Mursi, fordern trotzdem die erneute Legalisierung. Das rief auch die deutsche Frauenorganisation "terre des femmes" auf den Plan. Sie sammelte 12.000 Unterschriften gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Ägypten. Zusammen mit einer Petition übergaben Vertreterinnen von "terre des femmes" die Unterschriften Anfang November in Berlin dem ägyptischen Botschafter.

Doch die Islamisten hätten mancherorts bereits Fakten geschaffen, erklärt Mervat Tallawy, Präsidentin des Nationalen Frauenrates für Ägypten. Vor einigen Wochen sei sie darüber informiert worden, dass die Muslimbruderschaft in der ländlichen Region der Provinz Minia Busse als mobile Kliniken einsetzen würden. "Die Beschneidung von Mädchen wurde dabei als eine Art Gesundheitsservice angeboten. Und das kostenlos", sagt Tallawy. Aufkleber mit dem Logo der "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit", dem politischen Arm der Muslimbruderschaft, hätten auf diesen Bussen geklebt.

Demonstranten mit Fahnen und Plakaten (Foto: Reuters)
Salafisten wollen die Beschneidung und demonstrieren auch für die Scharia (November 2012)Bild: Reuters

Der Nationale Frauenrat schaltete den zuständigen Gouverneur und das Gesundheitsministerium in Kairo ein. Aber die Sprecher der Muslimbrüder-Partei hätten alles abgestritten und den Dorfbewohnern vorgeworfen, das Logo gefälscht zu haben. Darüber muss Mervat Tallawy, eine elegante ältere Dame, bitter lachen. Die Dorfbewohner lebten sehr einfach und könnten oft kaum lesen. Ihnen traue sie eine derartige Fälschung gar nicht zu. Dass die Muslimbruderschaft womöglich illegale Beschneidungsaktionen auf dem Land finanziere, glaubt sie da schon eher. "Das ist Kindesmisshandlung, das ist ein barbarischer Akt", kommentiert Tallawy verächtlich. "Aber solange der ägyptische Präsident diese Praktiken nicht selbst ausdrücklich verurteilt, werden die Fundamentalisten weitermachen und uns in Mittelalter zurückführen. Ich weiß nicht, warum sie die Frauen so hassen."