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Immer mehr Ärzte - und doch nicht genug?

Stephanie Höppner21. April 2014

Jedes Jahr wächst die Zahl der Ärzte in Deutschland - und doch sind es nicht genug, beklagen Verbände. Vor allem in den ländlichen Regionen und in ärmeren Stadtteilen klaffen langsam Lücken.

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Arzt legt Verband bei Patientin an (Foto: picture alliance / Arco Images)
Bild: picture alliance/Arco Images

Der junge Arzt von heute mag es urban, teamorientiert und nicht allzu stressig. Und das hat Folgen: Zwar gab es in Deutschland noch nie so viele Ärzte wie heute, doch mancherorts fehlen sie. Trotz eines weiteren Plus von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr spricht der Vorsitzende der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, von "Ärztemangel" in vielen Regionen Deutschlands. Laut Ärztekammer sind in den nächsten fünf bis zehn Jahren 20 Prozent mehr Ärzte nötig als bislang vorhanden. Auch in den einzelnen Bundesländern schlagen die Verbände Alarm: In absehbarerer Zeit könnte in Bayern jede vierte Hausarztpraxis nicht mehr besetzt werden, warnt etwa der Bayerische Hausärzteverband.

"Zugegeben, das klingt zunächst einmal paradox", sagt Max Kaplan, Vizepräsident der Bundesärztekammer. "Denn seit Jahren haben wir jedes Jahr ein Mehr an Kollegen. Auf der anderen Seite wird die Versorgung immer schwieriger." Doch das scheinbar Paradoxe hat viele Gründe. Ein Faktor: die Demographie. Denn nicht nur die Ärzte werden immer älter, auch die Patienten werden im Schnitt betagter. "Und ältere Patienten haben mehr chronische Erkrankungen, benötigen also eine intensivere medizinische Betreuung", erklärt Kaplan.

Leere auf dem Land

Auch die ungleiche Verteilung ist ein Problem. Während sich in den Metropolen wie Berlin, Hamburg, München oder Köln die Arztpraxen ballen, herrscht in manchen ländlichen Regionen Leere. Besonders betroffen sind die ostdeutschen Bundesländer: So müssen die Einwohner von Finsterwalde und Elsterwerda - brandenburgische Kleinstädte mit immerhin rund 16.000 und knapp 9000 Einwohnern - seit diesem Jahr ohne Augenarzt auskommen. Im gesamten Landkreis Prignitz im Nordwesten Brandenburgs gibt es inzwischen nur noch einen Hautarzt.

Wartezimmer bei Hausarzt in Brandenburg (Foto: dpa)
Volle Wartezimmer könnten künftig der Regelfall seinBild: picture-alliance/ dpa

Doch auch innerhalb der Großstädte ist die Ärzteschaft ungleich verteilt. Denn die meisten Mediziner zieht es in die wohlhabenderen Gegenden, die sozial benachteiligten werden eher gemieden. So sind in der Hauptstadt nach Informationen der "Berliner Zeitung" Randbezirk Marzahn-Hellersdorf oder Stadtteile wie Kreuzberg, Wedding und Neukölln nur noch unzureichend mit Praxen ausgestattet. Besonders drastisch zeigt sich die ungleiche Verteilung bei den Psychotherapeuten: Während im wohlhabenden Charlottenburg-Wilmersdorf rund 500 Therapeuten ihre Dienste anbieten, sind es in Marzahn-Hellersdorf lediglich 30.

Gewünscht: Gute Work-Life-Balance

Gravierend verändert hat sich auch die Einstellung zum Job: Die jungen Ärzte hätten vielfach keine Lust mehr, Überstunden en masse zu leisten, glauben Branchenvertreter. "Die nachwachsende Generation hat gewisse Ansprüche an die sogenannte Work-Life-Balance, also den Ausgleich zwischen Beruf und Freizeit", sagt Kaplan. Die Folge: Immer mehr Ärzte arbeiten Teilzeit und suchen auch im niedergelassenen Bereich nach einem Angestelltenverhältnis. Das verspricht nicht nur weniger Arbeitsstunden, sondern auch mehr Sicherheit. Das betriebswirtschaftliche Risiko einer eigenen Praxis fällt weg.

Die Folge: "Wir haben immer mehr Arztköpfe, aber immer weniger Arztstunden", sagt Kaplan. Hinzu kommt, dass gerade der Beruf des Hausarztes vielen jungen Ärzten nicht mehr attraktiv erscheint: Lange Arbeitszeiten, Hausbesuche und wenig Möglichkeiten zur Teamarbeit wirken abschreckend. Während die Zahl der Unfallchirugen 2013 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als vier Prozent gestiegen ist, sank die Zahl der Hausärzte im gleichen Zeitraum um 0,13 Prozent.

Landarzt Wolfgang Dinslage bei einem Hausbesuch (Foto: dpa)
Viele ältere Landärzte fürchten um ihre NachfolgeBild: picture-alliance/dpa

Insgesamt ist die Beliebtheit des Faches Medizin nahezu ungebrochen. Denn trotz aller Klagen über Arbeitsbelastung und Bürokratie: Der Arztberuf ist für viele noch immer sinnstiftend - und macht manch einen zudem auch wohlhabend. So ist nach Angaben des GKV-Spitzenverbands, der Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland, das durchschnittliche Brutto-Honorar niedergelassener Ärzte nach Abzug der Praxiskosten auf 166.000 Euro pro Jahr gestiegen.

Mehr Teamarbeit

Um den Beruf des Hausarztes attraktiver zu machen, fordert der Bayerische Hausärzteverband nun, den Numerus clausus als alleiniges Zulassungskriterium zum Medizinstudium abzuschaffen. "Viele junge Menschen würden gerne Medizin studieren und wären sehr engagierte und fähige Allgemeinmediziner, aber wir lassen sie nicht studieren", sagt Dieter Geis, der Vorsitzende des Verbandes. Allein im vergangenen Wintersemester bewarben sich 44.334 Abiturienten um einen Studienplatz in Humanmedizin - obwohl es nur knapp 9000 Plätze gab. Bei einem Numerus Clausus, also der verlangten Abiturnote, von mancherorts 1,2 gingen die meisten von ihnen leer aus.

Aus Sicht der Krankenkassen greift dieser Vorschlag zu kurz. "Einfach nur mehr Ärzte ausbilden - das würde nicht automatisch zu mehr qualifizierten Hausärzten führen", warnt Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK. "Wir haben die letzten 20 Jahre eine stetige Zunahme der Arztzahlen, aber eine ungünstige Entwicklung in der regionalen Verteilung und zwischen Haus- und Fachärzten." Er fordert stattdessen mehr Hausarztweiterbildungen und Anreize für eine Praxis im ländlichen Raum. Vielerorts wird um den Nachwuchs bereits mit Stipendien geworben, die an eine spätere Tätigkeit auf dem Land gekoppelt sind. Auch die Bundesärztekammer fordert ein Umdenken. Künftig soll es das geben, was viele Absolventen vermissen: mehr Teamarbeit, weniger Überstunden.