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PolitikSyrien

Immer weniger Hilfen für Menschen in Syrien

Diana Hodali | Omar Albam (Syrien)
22. Februar 2024

Immer mehr Hilfsprogramme für Nordwest-Syrien werden reduziert oder sogar eingestellt. Betroffen sind Gebiete, die nicht der Kontrolle des Regimes unterstehen. In den Flüchtlingslagern dort hat dies schwere Konsequenzen.

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Eine Frau sitzt in einem Zelt. Neben ihr steht ein spartanischer Ofen, auf dem ein Topf steht, der mit Plastikplane abgedeckt ist.
"Es fehlt an Grundnahrungsmitteln", sagt Hanaa A. Bild: Omar Albam/DW

Seit fast fünf Jahren leben Hanaa A., ihre Kinder und Enkelkinder in einem Flüchtlingscamp in Maarat Misrin, gut 25 Kilometer nördlich der syrischen Stadt Idlib. Ein Flüchtlingscamp, auf unbefestigtem Boden, der im Winter so matschig wird, dass man beim Laufen fast steckenbleibt.

Im Sommer wiederum werden die Zelte so heiß, dass man es drinnen kaum aushält, berichten die Bewohner. Hanaa A. und ihre 14 Familienmitglieder leben dort dicht an dicht, ohne fließendes Wasser. "Unsere Situation ist schlecht, die Zelte sind undicht und die Waschmöglichkeiten sehr begrenzt", erzählt die 55-Jährige. "Ich bin Witwe und muss mich um alles allein kümmern."

Früher ging es ihnen besser. Früher, das war als ihre Heimatstadt Maarat an-Numan im Gouvernement Idlib noch unter der Kontrolle der Aufständischen stand und noch nicht vom syrischen Regime zurückerobert wurde. Und früher - das war auch die Zeit, als ihr Mann noch lebte, bevor sie ihn auf der Flucht aus Maarat an-Numan durch russische und syrische Angriffe verlor.

Die Provinz Idlib ist die in weiten Teilen letzte von syrischen Rebellen und Islamisten gehaltene Region. Sie steht überwiegend unter der Kontrolle islamistischer Milizen, insbesondere der Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die wiederum aus der Al-Kaida-nahen so genannten "Al-Nusra-Front" hervorgegangen ist.

Flucht ins Ungewisse 

Die Flucht war für Hanaa A. und ihre Familie nicht einfach: Die eigenen vier Wände zurückzulassen, die vielen Erinnerungen, eigentlich das ganze Leben - und auch die Gewissheit, genug Essen auf dem Tisch zu haben. Diese Gewissheit haben sie heute nicht mehr. "Alles ist teuer geworden, ich habe keinen Job und wir bekommen weniger Hilfen von internationalen Organisationen", so die Syrerin. So wie Hanaa A. geht es in der Region Idlib vielen.

Von den 4,5 Millionen Menschen, die im Nordwesten Syriens leben, sind 2,9 Millionen Binnenflüchtlinge. Etwa zwei Millionen von ihnen leben in Flüchtlingslagern, meist an der Grenze zur Türkei.

Luftaufnahme eines Flüchtlingslagers mit vielen einfachen Zelten auf sandigem Boden
Seit fast fünf Jahren lebt Hanaa A. mit ihrer Familie in diesem Camp in Maarat MisrinBild: Omar Albam/DW

In den Camps mangelt es an grundlegender Versorgung. Organisationen vor Ort kommen kaum noch nach, den Menschen zu helfen. "Die Lage in diesem Teil von Syrien hat sich verschlechtert", sagt Abdullah al-Kumait, Mitarbeiter der lokalen Hilfsorganisation Molham Team. "Die Menschen sind hier sehr stark auf die Hilfe der Vereinten Nationen angewiesen, und die ist weniger geworden."

Immer weniger Hilfsgelder für Syrien

Der anhaltende Krieg, die schwierige wirtschaftliche Lage in Syrien und auch das Erdbeben am 6. Februar 2023 haben dazu geführt, dass bereits über 90 Prozent der 4,5 Millionen Menschen im Nordwesten des Landes auf internationale Hilfe angewiesen sind. Durch den Beschuss und die Angriffe des syrischen und des russischen Militärs wurden dort seit August 2023 zahlreiche Menschen getötet und mehr als 100.000 vertrieben.

Bereits 2023 hätten die UN in Syrien  nur 37 Prozent der benötigten humanitären Hilfen in Gesamthöhe von 4,9 Milliarden Dollar sichern können, sagte David Carden, der stellvertretende UN-Regionalkoordinator für die Syrien-Hilfe, der Nachrichtenagentur AP während eines Besuchs vor Ort Ende Januar.

Aufgrund erheblicher finanzieller Engpässe sah sich daher das UN-Welternährungsprogramm (WFP) gezwungen, ab Januar 2024 seine Nahrungsmittelhilfe in ganz Syrien einzustellen - mit fatalen Folgen für die Bevölkerung, besonders in den Flüchtlingslagern im Nordwesten. Dort waren Menschen wie Hanaa A. es gewohnt, regelmäßig eine Kiste mit Grundnahrungsmitteln wie Reis, Mehl und Linsen vom WFP zu erhalten. "Diese Lebensmittel fehlen uns sehr und in den (benötigten) Mengen ist es teuer, sie zu kaufen. Ich habe leider auch keine Arbeit", sagt sie.

Eine Frau arbeitet mit einer Plane zwischen mitgenommen aussehenden Zelten, Containern und Wäscheleinen auf steinigem Boden. Im Bildvordergrund stehen einige Eimer und Tonnen, in denen kümmerliche Pflanzen wachsen.
Hanaa A. kümmert sich um ihre gesamte Familie - die Bedingungen im Camp sind jedoch alles andere als einfachBild: Omar Albam/DW

Die steigende Inflation und die zunehmende Arbeitslosigkeit verschärfen die Situation zusätzlich und stellen die Bevölkerung vor enorme Herausforderungen. Ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken ist für viele Menschen zu einer fast unlösbaren Aufgabe geworden. Denn es herrscht nicht nur ein Mangel an Lebensmitteln, sondern auch an Medikamenten und dringend benötigter medizinischer Versorgung. Ross Smith, stellvertretender WFP-Landesdirektor in Syrien, befürchtet, dass durch die Beendigung der generellen Nahrungsmittelhilfe immer mehr Menschen an Unterernährung leiden werden. 

Eine Milliarde Euro für Syrien - ein Tropfen auf den heißen Stein 

Viele machen eine Art Gebermüdigkeit und die wachsende Zahl an Krisen auch an anderen Orten dieser Welt dafür verantwortlich, dass es Finanzierungsprobleme bei Hilfsprogrammen gibt: "In der heutigen Welt, nach der Corona-Pandemie, ist der akute Hunger weiterhin auf einem Rekordniveau. Dennoch ist die Finanzierung der humanitären Hilfe auf das Niveau von vor der Pandemie zurückgegangen", berichtet Martin Penner, Sprecher des WFP, auf Anfrage der DW. Die Kürzungen beim WFP in Bezug auf Syrien spiegelten die schwieriger gewordene finanzielle Situation wider, in der sich heute der gesamte humanitäre Sektor befinde. 

Ein Kind steht in einem Flüchtlingslager auf sandigem Boden vor einem roten Tank
Wasserversorgung und sanitäre Anlagen im Camp von Maarat Misrin lassen zu wünschen übrig Bild: Omar Albam/DW

Um das Risiko einer sogenannten Gebermüdigkeit zu verringern, die syrische Zivilgesellschaft zu unterstützen und die UN-Bemühungen weiter zu fördern, hat die EU 2017 bereits die sogenannte die Brüsseler Konferenzen zur "Unterstützung der Zukunft Syriens und der Region" ins Leben gerufen. Dabei wurden 2023 internationale Zusagen in Höhe von insgesamt 5,6 Milliarden Euro getroffen: 4,6 Milliarden Euro für 2023 - aber nur eine Milliarde Euro für 2024: Ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man bedenkt, dass die Weltbank davon ausgeht, dass allein das Erdbeben von 2023 einen Schaden in Höhe von fast fünf Milliarden Euro im Norden Syriens verursacht hat.

Abdullah al-Kumait vom Molham Team zeigt sich daher besorgt: "Die Menschen brauchen jetzt eigentlich mehr Hilfe als zuvor - und nicht weniger!" Immerhin plant das WFP weiterhin, Kinder unter fünf Jahren sowie schwangere und stillende Mütter durch Ernährungsprogramme zu unterstützen. Schulspeisungsprogramme sind ebenso vorgesehen wie die Förderung von Bauernfamilien.

Das WFP werde "weiterhin landesweit von Notfällen und Naturkatastrophen betroffene Familien durch kleinere, zeitgebundene und gezieltere Notfalleinsätze unterstützen", sagt Ross Smith, stellvertretender WFP-Landesdirektor Syrien, auf DW-Anfrage.

Hanaa A. und ihrer Familie bringen diese Hilfen aber vorerst nichts. Sie weiß noch nicht, wie sie sich und ihre Angehörigen satt bekommen soll -  ohne Hilfe und ohne eigenes Einkommen.