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Immobilienbranche entdeckt Crowdfunding

Anja Steinbuch
3. Oktober 2017

Schwarmfinanzierung bietet der Immobilienbranche die Möglichkeit, an frisches Kapital zu kommen und Anlegern die Chance, auch mit kleinen Summen am Boom teilzuhaben - allerdings nicht ohne Risiko.

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Berlin Wohnen
Bild: picture-alliance/JOKER/A. Stein

An der Neubrandenburger Straße in Schwerin wird seit Juni letzten Jahres ein fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus mit 50 Wohnungen revitalisiert. Neben einer Schadstoffsanierung und Entkernung, einem Teilrückbau, Dacharbeiten und Markisenanbauten werden die Außenanlagen neu gestaltet, die Treppenhäuser bekommen einen frischen Anstrich und es werden Fahrstühle eingebaut. Kosten: 4,5 Millionen Euro.

Die WGS-Wohnungsgesellschaft Schwerin, die sich in Besitz der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns befindet und rund 11.500 Einheiten verwaltet, ist bei der Finanzierung der Sanierung einen außergewöhnlichen Weg gegangen: Das kommunale Unternehmen hat nicht nur Eigen- und Fremdkapital eingesetzt, sondern sich zusätzlich 850.000 Euro von 100 Schweriner Bürgern geliehen. Die konnten sich ab Januar dieses Jahres über die auf Immobilien spezialisierte Schwarmfinanzierungs-Plattform Exporo.de an dem Projekt beteiligen. Innerhalb von zwei Tagen war das Geld zusammen. Die Laufzeit der Darlehen: 13 Monate. Dafür erhalten die Anleger vier Prozent Zinsen pro Jahr.

Die Bürgerfinanzierung in Schwerin ist ein Beispiel für alternative Wege, die Immobilienunternehmen seit geraumer Zeit beschreiten, um das für Neubau- oder Sanierungsprojekte notwendige Kapital zusammenzubekommen. In Mecklenburg-Vorpommern hat das zu einer Win-Win-Situation geführt: Die Bürger wurden von der Kommune an dem Projekt beteiligt und erhalten dafür eine gute Verzinsung, die Wohnungsgesellschaft konnte das Finanzierungsvolumen schnell und unbürokratisch aufbringen und bezahlbaren Wohnraum zügig wieder dem Immobilienmarkt zuführen.

Projekt: Neubrandenburger Straße
Sanierung mit Bürgerbeteiligung - in Schwerin an der Neubrandenburger StraßeBild: Exporo

Diese Beteiligung von "Nachbarn" an einem regionalen Immobilienprojekt wird kein Einzelfall bleiben: Dafür wollen die Crowdinvesting-Plattform Exporo.de und die auf Stadtentwicklung spezialisierte Terragroup sorgen und auf der Fachmesse "Expo Real", die vom 4. bis 6. Oktober in München stattfindet, vorstellen, wie sie künftig bei der Finanzierung von Immobilienvorhaben kooperieren wollen.

Win-Win-Situation

Exporo-Vorstand Julian Oertzen ist überzeugt, mit dem neuen Modul "Bürgerfinanzierung" eine für Kommunen attraktive Alternative anbieten zu können: "Viele Städte und Landkreise stehen momentan vor der Herausforderung, rasch neuen Wohnraum schaffen zu müssen. Vielerorts ist die Bürgerbeteiligung nicht ausreichend, was zu Verärgerungen und Verzögerungen führt", meint Oertzen. Über ein digitales Immobilien-Investment wie das kommunale Immobilienportal der Terragroup würden Bauvorhaben transparenter. "Die Kommune profitiert von der Einbindung der Bürger in die Stadtentwicklung und die Bürger können sich an regionalen Projekten finanziell beteiligen."

Zweifacher Nutzen: frisches Kapital und eine wohlgesonnene Community. Privatwirtschaftliche Unternehmen der Immobilienbranche nutzen solche neuen Finanzierungsinstrumente schon länger. Seit etwa drei Jahren greifen Projektentwickler bundesweit auf Crowdkapital zurück. Laut dem Branchenverband wurden bisher schon mehr als 100 Millionen Euro für Immobilienprojekte von Anlegerschwärmen bereitgestellt, davon etwa 40 Millionen 2016 und weitere 40 Millionen zwischen Anfang Januar und Ende April dieses Jahres.

Der Branchenführer Exporo.de hat bisher 72 Projekte mitfinanziert. Davon sind 14 bereits abgeschlossen, das heißt die Anleger haben ihr eingesetztes Kapital plus Zinsen zurückbekommen. Daneben spielen die Plattformen Zinsland.de, Zinsbaustein.de und Bergfürst.com in der obersten Liga der jungen Branche. Seit Juni mischt mit Engel & Völkers sogar ein ganz Großer der Immobilienbranche mit. Mit einer eigenen Crowdinvesting-Plattform will sich die Maklerkette ein Stück vom Kuchen sichern.

Transparent und unbürokratisch

Warum besorgen sich Projektentwickler Geld von Kleinanleger-Schwärmen? Zum einen lässt sich mit Crowdkapital schnell und ohne großen administrativen Aufwand die Eigenkapitalquote stärken, was die Fremdkapitalkosten senkt, zum anderen gewinnen die Unternehmen etwas Unabhängigkeit von Banken. Klaus Michael Thiele, Chef des Lüneburger Bauunternehmens Garbers Partner, spricht von einem Liquiditätspuffer, "der ein Plus an unternehmerischer Freiheit verschafft".

Exporo-Vorstand Julian Oertzen
Exporo-Vorstand Julian OertzenBild: Exporo

Daniele Fuscà vom Projektentwickler SoHo Turley Development, baut in Mannheim gerade mit Schwarmkapital 35 neue Wohnungen. Das kostet ihn zwar rund zehn Prozent Zinsen, "ist aber günstiger, als wenn ich mir bei einer Bank einen Kredit genommen hätte, die ihre Kosten auf das Projekt-Gesamtvolumen von 15 Millionen Euro berechnet hätte", so Fuscà.

Ein weiteres starkes Argument für den innovativen Finanzierungsweg: Ein Schwarm von Anlegern ist ein guter Indikator für die Markttauglichkeit eines Projektes. Und: Ein Schwarm kann sich als Marketinginstrument entpuppen. Wer 200, 300 oder 400 private Investoren hat, hat 200, 300 oder 400 Fürsprecher, die für das Projekt die Werbetrommel rühren - kostenlos und glaubwürdig.

Hoher Zins für hohes Risiko

Dass Anlegern aber selbst im boomenden Immobiliensektor "böse Überraschungen beim Crowdfunding drohen können", wie Renate Daum, Finanzexpertin der Stiftung Warentest, betont, zeigt der Fall "Luvebelle" in Berlin-Tempelhof. Der Entwickler des Appartementhauses, die Münchener Arplan Projektgesellschaft Alpha 1, und seine Muttergesellschaft Conrem-Ingenieure mussten Anfang September Insolvenz beantragen. Die beiden Firmen hatten sich für ihr Projekt über die Crowdfunding-Plattform Zinsland.de von 286 Anlegern rund 1,25 Millionen Euro geliehen. Sieben bis neun Prozent Zins waren pro Jahr versprochen worden.

Für Zinsland-Chef Carl von Stechow kam der Crash "völlig unerwartet". Er betont, sein Haus habe die privaten Anleger, denen nun der Verlust ihrer Gelder droht, auf die Risiken einer Finanzierung in Form eines sogenannten Nachrangdarlehens aufmerksam gemacht. Nachrangdarlehen werden im Falle einer Insolvenz erst bedient, wenn andere Forderungen beglichen wurden: "Hundert Prozent Sicherheit kann es bei Bauvorhaben nicht geben", sagt von Stechwo. Sein Portal hat bisher 32 Immobilien-Projekte mit 25,5 Millionen Euro von rund 3.000 Privatanlegern mitfinanziert.

Crowdkapital ist eine Mezzanine-Finanzierung. Es lässt sich nicht sicher vorhersagen, wie sich eine Investition entwickeln wird. Mezzanine Anlagen sind weniger stark reguliert als beispielsweise Investments in geschlossene Fonds. Die Laufzeiten und Kündigungsmöglichkeiten variieren ebenso wie die Zins- und Rückzahlungsmodalitäten. Anleger, die Unternehmen Mezzanine-Kapital zur Verfügung stellen, hängen in hohem Maße vom zukünftigen Cashflow der Company ab. Läuft es gut, profitieren sie, läuft es schlecht, trifft das die Anleger wie die Gesellschafter - bis zum Totalverlust der eingesetzten Summe.

Deshalb raten seriöse Vermittler Anlegern, ihr Geld auf mehrere Immobilienprojekte zu verteilen. "Die Streuung des Kapitaleinsatzes auf mehrere Bauvorhaben bedeutet eine Portfolio-Diversifikation, mit der das Risiko minimiert wird", sagt auch Julian Oertzen. Für Lars Hornuf, Professor an Universität Trier, steht ohnehin fest, dass Immobilien-Crowdinvesting sicherer ist als ein Investment in Startups, bei denen der Anleger auf nicht viel mehr als eine Geschäftsidee setze: "Bei der Finanzierung eines Gebäudes steht die Immobilie als Wert da."

Auf dem Programm der diesjährigen Expo Real stehen diverse Vorträge, Events, Foren und Podiums-Diskussionen rund um Immobilienfinanzierung. Die Themen reichen von Cashflow-Orientierung über die Kombination mehrerer Finanzprodukte bis zu Off-Balance-Finanzierungen. Über allem aber schwebt die Frage nach der künftigen Zinsentwicklung. Eine Befragung der Messeteilnehmer ergibt: 97 Prozent der Befragten erwarten keine radikale Zinswende, sondern einen nur moderaten Anstieg, der ohne große Verwerfungen aufgefangen werden kann.