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Impfpflicht: Werden die Zahnärzte verschwinden?

15. Januar 2022

Sachsens Zahnärzte schlagen Alarm: Viele ihrer Praxen müssten schließen, wenn im März die Corona-Impfpflicht für Gesundheitsberufe kommt. Was ist da los?

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Brasilien Sao Paolo | Coronavirus | Zahnarzt & coronapositiver Patient
Bild: Amanda Perobelli/REUTERS

Es ist ein Brandbrief, den die Vereinigung der Zahnärzte in Sachsen an den CDU-Ministerpräsidenten des Bundeslandes, an Michael Kretschmer, geschickt hat: Die Vereinigung, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, zeigt sich extrem besorgt darüber, was geschieht, wenn das Impfen gegen das Corona-Virus in den Gesundheitsberufen in ganz Deutschland wie geplant ab Mitte März zur Pflicht wird. Das hatte der Bundestag noch vor Weihnachten beschlossen. In dem Brief heißt es, eine Umfrage unter den rund 2600 Zahnarztpraxen in Sachsen habe ergeben, dass rund 25 Prozent der Zahnärztinnen und Zahnärzte bislang nicht geimpft seien, und unter den Mitarbeitern seien es sogar 40 Prozent. Allerdings haben bis jetzt nur rund 490 Praxen an der Umfrage teilgenommen. Und die Vereinigung weist selbst darauf hin, dass die Umfrage nicht repräsentativ sei.

"Impfpflicht führt eben nicht zu mehr Impfungen" 

Dennoch geht der Berufsverband von erheblichen Auswirkungen der Impfpflicht auf die Versorgung in Sachsen aus: "Die Impfpflicht führt nach den Rückmeldungen, die wir aus der Zahnärzteschaft erhalten, eben in der Regel nicht dazu, sich umgehend impfen zu lassen, sondern eher dazu, den Beruf zu wechseln beziehungsweise die Praxen zu schließen." Für die kommende Woche haben die Spitzenvertreter der Vereinigung einen Gesprächstermin mit Kretschmer vereinbart.

Deutschland Michael Kretschmer
Will sich bald mit den Zahnärzten treffen: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).Bild: Robert Michael/ZB/dpa/picture alliance

In dem ostdeutschen Bundesland mit rund vier Millionen Einwohnern, so heißt es zur Begründung, seien die Praxen durch neue Verwaltungsauflagen schon jetzt überfordert, in vielen Regionen seien die Ärzte 60 Jahre und älter und oft am Ende mit ihrer Kraft, und: "Wenn nun zusätzlich eine verstärkte Abwanderung des Personals zu erwarten ist, beziehungsweise der Praxis-Inhaber selbst eine ablehnende Haltung zur Impfpflicht hat, besteht die Gefahr, dass diese Praxen schließen."

Die Vereinigung wehrt sich trotz der Umfrage-Zahlen dagegen, Sachsens Zahnärzte nun zu Corona-Sündenböcken zu machen: "Sie waren zu keinem Zeitpunkt der Pandemie Infektions-Treiber und werden nun erneut in die Pflicht zur Impfung genommen, nur um diejenigen zu schützen, die zu einer Impfung nicht bereit sind." Ähnliche Zahlen lieferte übrigens auch eine Umfrage aus Thüringen, an der rund 630 Zahnärzte teilnahmen. 

"Umfrage nicht überbewerten"

Dass die Zahnarzt-Praxen in Sachsen überaltert sind und oft an ihre Belastungsgrenzen stoßen, weiß auch Paula Piechotta, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Leipzig und von Beruf Ärztin. Dennoch möchte sie das Ergebnis der Umfrage nicht zu hoch bewerten, wie sie der DW sagte. Es hätten eben nur ein Bruchteil der 2600 Zahnarztpraxen überhaupt geantwortet.

Landesparteitag Grüne I Paula Piechotta
Paula Piechotta: "Bei Sachsens Zahnärzten verschärft die Impfpflicht nur die ohnehin vorhandene Frustration und Überforderung."Bild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Und Rückschlüsse auf die Impf-Bereitschaft im gesamten Gesundheitswesen in Sachsen lasse die Umfrage schon gar nicht zu. So sei die Zahl der geimpften Ärzte und Pfleger in den großen Kliniken des Freistaates, etwa in Dresden oder Leipzig, sehr hoch. Dort also, wo der Kontakt zu schwer an COVID-19 Erkrankten besonders intensiv ist. Piechotta: "Die Beschwerde der Zahnärzte muss man sicher im Kontext einer sehr großen Frustration über die ambulante Versorgung an sich einordnen." Eine ohnehin angespannte Situation werde also durch Corona noch verschärft. 

Impfquote in Sachsen allgemein gering

Dennoch: Ein Viertel der Ärzte, die gegen eine Impfpflicht sind und die sich selbst noch nicht haben impfen lassen? Und gar 40 Prozent deren Mitarbeiter? Auch aus anderen Bundesländern, aus Krankenhäusern und Pflegeheimen im ganzen Land kommen besorgniserregende Berichte über hohe Anteile von Ungeimpften. Sachsen mag insofern eine Besonderheit darstellen, als die Impfquote in dem Bundesland nach offiziellen Angaben mit 61,4 Prozent an Zweitimpfungen die niedrigste in ganz Deutschland ist. Die Skepsis ist hier besonders groß, die Politikverdrossenheit auch. Immer wieder sind sächsische Städte und Gemeinden Schauplatz von demonstrierenden Impf-Skeptikern.

Coronavirus Pulsnitz | Patienten auf der Intensivstation
In den großen Kliniken in Sachsen, hier in Pulsnitz, ist die Impfquote bei Ärzten und Pflegern hoch. Bild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Lange Zeit lag Sachsen auch bei der Zahl der neuen Ansteckungen weit vorn, aber das hat sich geändert: Momentan liegt das Land bei diesem Wert am Ende der Rangfolge aller Bundesländer. Die Hotspots bei der Verbreitung der Omikron-Variante haben sich verlagert. Vom Osten und Süden Richtung Norden und in die Region rund um die deutsche Hauptstadt Berlin. Experten mutmaßen, dass die gemeldeten geringen Neu-Infektionen in Sachsen auch darin begründet sind, dass sich die Menschen dort weit weniger testen lassen als in anderen deutschen Regionen. 

Am Limit, frustriert, mit einem Hang zum Fatalismus

Aber warum sind gerade in einzelnen Gesundheitsberufen so viele Menschen nicht bereit, sich impfen zu lassen? Wolfgang Kreischer, Vorsitzender des Hausärzteverbandes in Berlin und Brandenburg, kann da auch nur aus persönlichen Erfahrungen berichten, eine Umfrage wie in Sachsen hat sein Verband nicht in Auftrag gegeben. Kreischer sagt im Gespräch mit der DW: "Ich kenne viele Praxen, in denen alle geimpft sind, ich kenne vereinzelt Praxisinhaber, die gegen das Impfen sind und sich nicht geimpft haben. Da ist sicher auch ein bisschen Fatalismus dabei."

Wolfgang Kreischer, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Berlin Brandenburg,
Wolfgang Kreischer: "Bei vielen ist auch Fatalismus dabei."Bild: Hausärzteverband Berlin Brandenburg

Kreischer nennt etwa Wohngemeinschaften mit beatmeten Patienten, mit schweren Lungenkrankheiten, auch nach COVID-19-Infektionen, mit Menschen, die ihr Leben lang beatmet werden müssen, und auch dort gebe es Personal, das sich nicht impfen lasse. Pfleger, Ärzte und Mitarbeiter arbeiteten in der Pandemie am Limit und würden aus der Politik doch nur Versprechungen hören. Das erhöhe die Haltung, sich den Impfungen schlicht zu verweigern. Kreischer über den früheren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU: "Es gibt viele, die der Pflege den Rücken kehren. Herr Spahn hat ja damals versprochen, über 8000 Menschen mehr in die Pflege zu bringen. Das Gegenteil ist der Fall."

Kreischer: "Impfpflicht kommt zur falschen Zeit."

Und nach Kreischers Ansicht fehlt bei der gegenwärtigen Debatte über eine mögliche allgemeine Impfpflicht, also nicht nur für die Gesundheitsberufe, ein wichtiges Argument: Sie komme, selbst wenn sie noch in diesem Frühjahr komme, schlichtweg zu spät. Es fehle der Solidaraspekt, an den man zu früheren Zeitpunkten hätte appellieren können, weil jetzt die Omikron-Variante so sehr ansteckend sei. Kreischer: "Es ist mittlerweile für die Pandemie und die Verbreitung egal, ob jemand geimpft ist oder nicht. Denn jetzt findet ja die Durchseuchung statt. Man kann sich zwar selbst durch die Impfung schützen, vor tödlichen Verläufen etwa, aber andere durch eine Impfung zu schützen, gelingt ja kaum noch. Weil auch Geimpfte das Virus übertragen können." Dennoch hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte der Woche im Bundestag nochmals für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen.