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Importiert Deutschland russisches Gas?

Dirk Kaufmann
16. November 2024

Das Bundeswirtschaftsministerium hat Medienberichten zufolge die LNG-Terminals an der Nordseeküste angewiesen, kein Flüssiggas aus Russland zu löschen. Heißt das, sie haben es bislang getan - trotz des Boykotts?

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Ein russischer LNG-Tanker vor der Insel Sachalin
Ein russischer LNG-Tanker vor der Insel Sachalin - aber vielleicht auch an deutschen Terminals?Bild: Natalia Kolesnikova/AFP/Getty Images

Die gerade geplatzte Regierungskoalition hat nicht viele Erfolgsgeschichten geschrieben. In einem aber sind sich viele Beobachter einig: Dass in Deutschland nach dem Importverbot für russisches Gas nicht "die Lichter ausgegangen sind", dass es gelungen ist, andere Lieferanten zu gewinnen und in kurzer Zeit eine Flüssiggas-Infrastruktur aufzubauen - dafür war die Regierung gelobt worden.

Doch nun könnte darauf ein Schatten fallen: Als die Einfuhr von LNG (Liquefied Natural Gas - Flüssiggas) aus Russland als Reaktion auf den von Moskau vom Zaun gebrochenen Krieg gegen die Ukraine in Deutschland verboten wurde, hätten auch keine Schiffe mit LNG aus Russland an den deutschen Terminals anlegen und ihre Ladung löschen dürfen.

Die Financial Times berichtet jedoch, sie habe Einblick gehabt in ein Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) vom 6. November. Empfänger: der Betreiber der deutschen Flüssiggas-Terminals an der Nordseeküste. Darin habe das Ministerium diesen angewiesen, keine russischen Lieferungen zu akzeptieren. Auch die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am 14. November: "Die Bundesregierung hat Industriekreisen zufolge die Anlandung von russischem Flüssigerdgas (LNG) in Brunsbüttel verhindert."

Russlands "Schattenflotte" vor dänischer Küste

Wieso jetzt und warum überhaupt?

Dass das Ministerium erst in diesem Monat noch darauf hinweist, kein russisches LNG in Deutschland zu löschen, wirft die Frage auf: Ist das bislang trotz des Boykotts geschehen? Aber auch: Gibt es diese Anweisung überhaupt? Das Ministerium sagt nämlich: Nein. Auf Anfrage der DW antwortete der Leiter der Pressestelle: "Zu etwaigen geleakten Dokumenten können wir wie üblich keine Stellung nehmen."

Auch die Bundesnetzagentur, die unter anderem für das deutsche Gasleitungsnetz zuständig ist, will sich dazu nicht äußern. Im Namen der Agentur schrieb uns Pressesprecherin Nadia Affani: "Zu möglichen Anweisungen des Bundeswirtschaftsministeriums gegenüber der DET können wir Ihnen keine Auskunft geben."

Die deutschen LNG-Terminals an der Nordseeküste - diese Einrichtungen sind für das Löschen von Flüssiggas nötig - werden von der Deutschen Energy Terminal (DET) betrieben. Sie unterhält die vier deutschen LNG-Terminals Brunsbüttel, Wilhelmshaven I und II sowie in Stade. Auf die Frage der DW, ob die DET eine solche Anweisung erhalten habe, antwortete sie: "Aus rechtlichen Gründen geben wir keine Auskunft über Vertragsgegenstände mit Dritten."

Aus rechtlichen Gründen? Das erschließt sich nicht. Denn die DET ist laut Eigendarstellung die "bundeseigene Gesellschaft für den Betrieb von Terminals, über die LNG per Schiff angelandet wird." Ein Bundesministerium und eine bundeseigene Gesellschaft dürfen oder können keine Auskunft geben? Eine solche Auskunftsverweigerung ist befremdlich - und sie leistet Gerüchten Vorschub.

Arbeiter an der Erdgasleitung im Elbehafen von Brunsbüttel
Arbeiten an der Landverbindung des LNG-Terminals in Brunsbüttel am Nordostsee-KanalBild: Dirk Jacobs/IMAGO

Ein Unternehmen in Russland und Deutschland

Sollte LNG aus Russland durch deutsche Netze fließen, muss es natürlich bestellt und eingekauft worden sein. Dazu lohnt sich ein Blick nach Kassel. Dort sitzt nämlich die SEFE Energy GmbH (vormals Wingas) - ein weiteres bundeseigenes Unternehmen.

Die Firma hat eine verwirrende Geschichte: Gegründet 1993 als deutsch-russisches Gemeinschaftsunternehmen, wurde sie im Oktober 2015 an den russischen Energiekonzern Gazprom verkauft. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wurde das Unternehmen dann in Deutschland verstaatlicht. Seit 2022 ist die Bundesrepublik der alleinige Eigentümer der SEFE.        

Wenn also ein Unternehmen in Deutschland den Import russischen Flüssiggases in Auftrag gegeben haben könnte, dann wäre es am wahrscheinlichsten die SEFE. Dafür gibt es aber derzeit keine Belege. Das Unternehmen selbst hat eine entsprechende Anfrage der DW nicht beantwortet.

Baustelle des LNG-Terminal auf Rügen von Land aus fotografiert
Auch in der Ostsee sind LNG-Terminals gebaut worden - hier vor Deutschlands größter Insel, RügenBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Freundschaftsdienste?

Ein anderes denkbares Szenario, das den Brief des BMWK an die DET, wenn es ihn denn gegeben hat, erklären könnte, wären mögliche Transitgeschäfte innerhalb der EU. Vielleicht wurde russisches LNG an deutschen Terminals angelandet und an andere europäische Länder weitergeleitet. Die Financial Times weist darauf hin, dass etwa Belgien, Spanien und Frankreich langfristige Verträge mit Russland abgeschlossen haben und noch immer Gas aus Russland beziehen.

Bundesnetzagentur-Sprecherin Affani kann einen möglichen Gastransfer durch deutsche Netze nicht ausschließen, denn es sei "denkbar, dass russische Gasmoleküle nach Deutschland oder durch Deutschland als Transitland fließen." Das könne sie aber auch nicht bestätigen: "Ob deutsche Importeure russische LNG-Mengen direkt kaufen, erhebt die Bundesnetzagentur nicht. Ebenso wenig erhebt die Bundesnetzagentur Importdaten aus den Nachbarstaaten."

Das Wirtschaftsministerium stellt in dieser Hinsicht aber unmissverständlich fest: "Grundsätzlich ist es richtig, dass Deutschland kein russisches Gas bezieht und für das BMWK ist auch klar, dass dies nicht über deutsche LNG-Terminals geschehen darf", schrieb uns das Ministerium.

Erstes Flüssiggas-Terminal in Deutschland

Die Lösung liegt in Brüssel

Wie man in diesem Punkt zu einer gewissen Transparenz gelangen könnte, lässt sich vielleicht in Brüssel erfahren - und dazu richteten wir eine Anfrage nach Berlin. Dort sitzt die "Zukunft Gas e.V.", die Lobbyismus für die Deutsche Gaswirtschaft bei der EU betreibt. Pressesprecher Charlie Grüneberg zitiert den belgischen Think-Tank Bruegel zur Bedeutung von der LNG-Mengen in der EU. Demnach habe der Anteil russischen LNGs in der Europäischen Union im Oktober ungefähr 16 Prozent an den gesamten LNG-Einfuhrmengen betragen.

Grüneberg verweist dann auf das 14. Sanktionspaket gegen Russland, auf das sich die Union am 24.7.2024 geeinigt hat: "Das Paket enthält auch neue Auflagen für russisches LNG. Verboten werden soll das Umladen von russischem LNG in europäischen Häfen für den Weitertransport an nicht-EU Drittstaaten." Das Paket muss bis Ende März 2025 umgesetzt werden. Damit wird dann jedenfalls eine Möglichkeit für Russland verschlossen, eigenes LNG in europäischen oder deutschen Terminals anzulanden.

Und die zumindest denkbare Anlandung russischer LNGs in Deutschland und dessen Weiterleitung in andere EU-Staaten? Da zuckt auch Charlie Grüneberg mit den Schultern: "Darüber hinaus gibt es keine allgemeinen Sanktionen der EU gegen russisches Gas."

Auch wenn wir nicht genau sagen können, ob russisches Gas in deutschen Häfen angelandet wurde, eins steht auf jeden Fall fest: Bei allgemeinen EU-weiten Sanktionen gegen russisches Gas wäre die Sachlage klarer und auf deutscher Seite wahrscheinlich transparenter. Dann könnte die Informationsverweigerung auf deutscher Seite nicht wieder zu neuen Gerüchten führen.